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Eine Reise durch die USA
Ein Reisebericht
> 2023 aktualisierte Version <
Wilfried R. Virmond
Wandel und Wechsel liebt, wer reist!
Ich reite auf einer HONDA GoldWing
von New York City durch die Neuengland-Staaten im Nordosten der USA
bis an die Niagara-Fälle und zurück nach New York.
Mehr Reisebericht geht nicht!
– August/September 2013 –
Letztes Update 28.02.2023
New York City, Long Island, Connecticut, Rhode Island, Massachusetts, Maine, New Hampshire, Vermont, Canada.
Kancamagus-Highway, Mt. Washington, Adirondack Mountains, Niagara Falls, Woodstock, Newburgh.
HINWEIS: Nach Lesebeginn sollte dieser Reisebericht innerhalb von drei Tagen bis zu Ende gelesen werden.
Unwichtiges, Persönliches, Subjektives schreibe ich oft kursiv, so kann man es beim Lesen leichter unbeachtet lassen.
Ich verwende die alte Rechtschreibung die von 1882 bis 1996 gut war. Die Neue interessiert mich nicht!
Die Fahrtroute ist etwas verschlungen, weil ich mich immer erst morgens entschieden habe, wohin ich fahre.
Inhaltsverzeichnis:
21.08.2013 Flug nach Newark/New York
22.08.2013 Mit dem Fahrrad durch New York City
29.08.2013 Lebanon – Potterville
30.08.2013 Potterville – Brockville
31.08.2013 Brockville – Niagara Falls
01.09.2013 Ein Tag in Niagara Falls
02.09.2013 Niagara Falls – Waterport
03.09.2013 Waterport – Lake Placid
04.09.2013 Lake Placid – Newburgh
05.09.2013 Newburgh – Newark, Heimflug + Nachwort
Mittwoch, 21. August 2013
Frankfurt – New York, Ground Zero
6.200 km
21. August 2013. Mittwoch-Morgen. 9:08 Uhr. Ein weiterer warmer sonniger Augusttag kündigt sich an. Der Moment des Aufbruchs ist gekommen, mein neues Abenteuer beginnt. Gleich bringt mich das Taxi zum Bahnhof. Mein Zug ist überpünktlich. Ich staune unterwegs wirklich sehr, der Zugführer hält unseren Zug fahrplanmäßig in Mainz Hbf an. Die Probleme der letzten Wochen (wegen urlaubender Fahrdienstleiter und der dadurch verursachten Stellwerkprobleme) sind offenbar über Nacht abgehakt. Dabei herrschte hier gestern noch Chaos. Ich hätte keinen Tag eher losfahren dürfen. Allen Unkenrufen zum Trotz und wider alles Erwarten geht die Bahnfahrt also gut, und ich komme pünktlich in Frankfurt an.
Ich wäre ja zu gerne wieder in einem/einer A380 geflogen, aber das geht von Deutschland aus nach NYC offenbar zurzeit nur mit Singapore Airlines – doch da hätte ich keine wertvollen Meilen sammeln können. Und die brauche ich im Dezember. Also fliege ich diesmal „nur“ mit einem Jumbo 747-400 der Lufthansa. (Ja, leider keiner der neuen 800er-Ausführung.)
Der Security-Check am Frankfurter Flughafen ist wie immer schnell überstanden. Diesmal muß ich keine besonderen Kontrollen durchleiden. Insgesamt habe ich wieder Glück gehabt. Die US-Terrorwarnung von Anfang August 2013, also von vor ein paar Tagen, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt.
Unser Jumbo startet pünktlich gegen halb zwei nachmittags. In NYC ist es jetzt erst halbacht morgens. Unsere Flugzeit wird 7:45 Stunden für die 6.215 Kilometer betragen.
Im LH-Bordmagazin lese ich: „In diesem Monat jährt sich zum fünfundsiebzigsten Mal der erste Nonstop-Flug, den die (viermotorige) Focke-Wulf-Fw 200 aus deutscher Herstellung zwischen Berlin und New York vollbrachte“.
Es ist also der richtige Zeitpunkt, daß ich mir NYC auch endlich mal ansehe. So viel Zeit bleibt mir ja nun nicht mehr dafür, meine biologische Uhr tickt – und ihre „Federspannung“ läßt schon deutlich nach.
Im Flieger sind sämtliche Plätze um mich herum besetzt. Wir überfliegen Bonn und die rheinländischen Braunkohle-Reviere; Düsseldorf liegt rechts unter uns. Ob Ingrid fühlt, daß ich gerade über sie hinwegfliege? Weiter geht es zwischen Brüssel und Rotterdam hindurch. Deutlich erkenne ich, unter uns ist der Ärmelkanal mit seiner schmalsten Stelle – und die sieht von hier oben tatsächlich sehr schmal aus – und Dover.
Die Themsemündung und London sieht man wegen der Wolken nur etwas undeutlich. Weiter geht unser Flug an der englischen Südküste entlang. Dann noch etwas Irland und flugs sind wir über dem Atlantik.
Flugkapitän Engel hält es nicht für nötig, sich aus dem Cockpit zu melden. Sein Co auch nicht. Naja, Jumbopiloten verdienen ja auch mehr als jeder Bundeskanzler resp. jede Bundeskanzlerin. Da kann man auch auf dem hohen Roß sitzen.
Im leichten Bogen geht es südlich an Grönland vorbei und über Neufundland hinweg. Dann wieder endlose Wolken. Maine und Bangor sehe ich auch nur auf der Karte des Monitors im Flieger. Da unten werde ich in den nächsten Tagen herumfahren. Jetzt ist es nicht mehr weit.
Wir fliegen inzwischen genau südlich und die amerikanische Ostküste ist die ganze Zeit rechts unter mir.
Immer noch nichts vom Käpt’n. Dann, ganz zum Schluß meldet er sich nur ganz kurz aus seinem Cockpit. Das habe ich so armselig noch nie erlebt.
Wir landen auf dem Liberty Airport in Newark um 3:30 pm Ortszeit. In Deutschland ist es jetzt bereits 21:30 Uhr. (Die Airports Newark Liberty, JFK und LaGuardia sind ungefähr gleich weit von Manhattan entfernt. JFK ist deutlich größer, sprich unübersichtlicher. Und LaGuardia macht nur Inlandsflüge und Kanada. Deshalb bin ich mit Newark ganz zufrieden.)
Ich bemühe mich stets, bei den Ersten zu sein, die ihren Flieger verlassen. Hier in den USA noch mehr. Mitten in einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter wetze ich wie die Spitzengruppe beim Marathon los, um mich vor dem großen Rest an der Immigration Control anzustellen. Diese Taktik erspart einem lange Wartezeit. Wenn die Flutwelle der übrigen dreihundertfünfzig Leute aus unserem Jumbo, gleichsam das „Hauptfeld“, erst einmal angerollt ist, kann es dauern. Was heißt „kann“? Dann wird es dauern!
Für die Immigration Control Immigration brauche ich nur eine viertel Stunde, aber dann stehen wir alle lange vor dem ewig leer laufenden Band, bis dann endlich nach und nach und ab und zu Koffer und Taschen aus dem Orkus angetrudelt kommen. Nach weiteren zwanzig Minuten bin ich dann endlich draußen. Hier ist es glühend heiß.
Zwei Stunden nach der Landung fahre ich mit einem kleinen Shuttlebus in die Stadt. Artin, unser armenischer Taxifahrer, ist ziemlich clever und smart. Trotzdem benötigt er sein Handy als Navi. Um den Weg zu finden und um den Polizeifunk abzuhören. Er erspart uns Mitfahrern auf ein paar Schleichwegen einige Minuten Stau. Als Vorgeschmack auf New York bekommen wir ein paar schöne Ausblicke auf Manhattans Skyline und auf Liberty Island. Die Freiheitsstatue scheint mir ein freundliches Hello zuzuwinken. Zweimal muß Maut bezahlt werden.
Weiter geht es durch den Holland-Tunnel, der nach seinem damaligen Chefingenieur benannt worden ist, und ein kurzes Stück durch die Stadt. Wir sind hier im Financial District. Wallstreet ist gleich um die Ecke. Trotzdem, nach viel Geld sieht es hier eher nicht aus. Kleine Geschäfte, Schnellimbisse, Straßenverkäufer mit ihren Anhängern, mobile Kioske, Handkarren. (Ja, OK, die 5th Avenue und die Luxusgeschäfte mit ihrem Chichi und Bling-Bling sind viel weiter oben, nördlicher, Nähe Central-Park.) Über alledem die hochaufragenden Wolkenkratzer.
18 Uhr. 6 pm. Super, ich bin tatsächlich der allererste, der an seinem Hotel abgesetzt wird – und unser Van ist übervoll. Wir sind am Hotel Gild Hall in der Gold Street. Das Hotel wirkt klein zwischen den deutlich höheren Hochhäusern, die es geradezu umzingeln. Es möchte ein Designhotel sein. Ist es aber nicht. Ich frage und bekomme tatsächlich ein Zimmer in der obersten Etage, die Achtzehnte. (Allerdings gibt es hier, wie meistens in den USA, kein 13. Stockwerk.) Wie schon gleich befürchtet, wenig Aussicht aus meinem Fenster.
Später, als ich mir den Grundriß in der Lobby und das Haus außen ansehe, wird mir schnell klar, daß ich hier oben, an der schmalen Stirnseite des Hauses, tatsächlich das schönste Zimmer mit Aussicht hinunter auf den winzigen Platz bekommen habe. Naja, die Zimmer senkrecht unter mir natürlich auch, aber „ganz oben“ gibt es natürlich nur einmal! Alle anderen Zimmer an der breiteren Längswand blicken nur gegen die höchstens zehn Meter entfernte Wand eines anderen Hochhauses.
Mein Bett ist so breit wie lang. Jetzt fehlen nur noch ein paar junge freundliche Damen auf meiner Spielwiese.
Ich staune über mich selbst, mein Zeitplan geht auf die Minute auf, denn ich will noch zum „Ground Zero 9/11 Memorial“ rüberlaufen, das hier ganz in der Nähe liegt.
Häuserschluchten in Lower Manhattan. Nachdem ich wieder unten bin, erkenne ich sofort, wie das gemeint ist. Die Wolkenkratzer ragen an beiden Seiten unendlich hoch auf. Hier unten strömt der Verkehr wie Bäche und Flüsse in einem engen Tal. Dunkel ist es hier, solange die Sonne nicht hineinstrahlt. Und alle Straßen hier sehen irgendwie gleich aus. Da muß man sich erstmal drin zu Recht finden.
Als zweites fällt mir auf, daß sich die meisten Fußgänger von einer roten Ampel nur sehr selten aufhalten lassen.
Ich eile an der ebenso winzigen wie altehrwürdigen berühmten St. Paul’s Chapel vorbei, die nach dem 11. September zu neuer Würdigung kam. Leider ist sie zurzeit wegen Bauarbeiten geschlossen.
St. Paul’s Chapel (Manhattan) – Wikipedia
Pünktlich um kurz nach halbsieben bin ich da. Der Eintritt ins WTC ist kostenlos. Aber man muß zwei Dollar „Service Fee“ für den Visitor Pass bezahlen. (Amis wissen es, wie man Gesetze umgeht. „Eintritt“ ist vom Gesetz her frei! Aber der Parkplatz an einer Sehenswürdigkeit kostet entsprechend viel. Oder hier das „Permit“.) Und man muß sich vorher übers Internet anmelden, die gewünschte Zeit (jeweils eine halbe Stunde) angeben und per Kreditkarte im voraus bezahlen. Deshalb habe ich gestern gerade noch rechtzeitig und eher zufällig von zu Hause aus dieses zwingend vorgeschriebenes Permit für das Zeitfenster 6:30 – 7:00 pm bestellt. Naja, die Amis machen es einem halt nicht leicht. Schon gar nicht, wenn es um ihr Heiligtum WTC geht..
Ich muß erstmal jede Menge Kontrollen und den üblichen Security-Check überstehen.
(Leider findet man beim Scannen schon wieder ein Messer in meinem Rucksack! An das ich mal wieder nicht mehr gedacht hatte. Ach ja, von heute Morgen, ist mir „zugelaufen“, von der LH. Fuck! Schon wieder aufgefallen. Und das ausgerechnet hier an dieser sensiblen Stelle. Aber, wie immer, ich habe Glück und darf es tatsächlich behalten. Und werde noch nicht mal verhaftet und abgeführt.)
Die Gedenkstätte ist wahrhaft überwältigend. Man weiß ja, daß an der Stelle der beiden früheren Tower jetzt zwei großflächige Wasserbecken sind. Gewaltige Mengen Wasser fließen ununterbrochen von den vier Rändern wie riesige Wasserfälle hinein und dann noch einmal in ein weiteres innenliegendes Becken. So imposant habe ich es mir aber nicht vorgestellt. Ich bin wirklich sehr beeindruckt. Sämtliche Namen der beim Einsturz unmittelbar und mittelbar gestorbenen Menschen wurden im Blech am Rand der Wasserbecken eingraviert. In manchen steckt eine Blüte. Von Angehörigen oder Freunden. Ergreifend. Und wer dies nicht empfindet, der hat keine Gefühle.
Um mich herum die fast fertiggestellten neuen Türme des World Trade Center, allen voran natürlich der gläserne Turm des „1WTC“. (Nicht vergessen, ich habe diesen Bericht 2013 geschrieben.) Gänsehautfeeling pur!
National September 11 Memorial and Museum – Wikipedia
ground zero memorial wikipedia – Google-Suche (Fotos)
One World Trade Center – Wikipedia
http://goo.gl/maps/JmO9Q (Link zur 360° Panorama-Ansicht)
Tower 1 ist fast fertig, jedenfalls von außen. Die andern Türme sind auch fertig und zum Großteil wohl auch schon bewohnt.
Obwohl hier so viele Menschen sterben mußten, fühle ich doch keine schlechten Strahlen. Ganz im Gegenteil. Die Seelen der Toten sind offenbar einverstanden mit der architektonischen Umsetzung. Ich auch, es ist okay. „Gefällt mir“ wollte ich in diesem traurigen Zusammenhang nicht schreiben.
Mir fallen die unzähligen Linienflugzeuge auf, die hier die Stadt überfliegen. Wie will man eigentlich einen neuen Anschlag verhindern?
Im „National September 11 Memorial and Museum“ nebenan steht Paulies 9/11 Motorrad „Never forget“. Gut, daß ich auch diese OCC-Folge, wie alle anderen, gesehen habe.
Leider ist alles ringsum noch riesige Baustelle. Wenn es mal fertig ist, wird es noch viel schöner hier sein.
Eigentlich hatte ich daran gedacht, jetzt anschließend von hier aus noch mit der Metro (U-Bahn) zum Empire State Building (mit einmal Umsteigen) zu fahren, aber das wäre doch eindeutig übertrieben. Morgen kann ich das viel besser bewerkstelligen.
Deshalb schlendere ich ganz gemütlich und entspannt zurück zum Hotel. Es ist dunkel geworden. Ich bin sehr erleichtert, daß heute wirklich alles perfekt nach Plan gelaufen ist. Da hätte nur eines der vielen Zahnrädchen haken müssen.
Offenbar kennt man es in NYC nicht, daß man auch draußen essen kann. OK, es gibt auch nirgendwo Platz in den engen Straßen. (Die „streets“ sind alle sehr eng und zwischen den Hochhäusern noch viel mehr.) Deshalb hole ich mir unterwegs einen Atlantik-Burger bei BurgerKing und verspeise ihn auf einer der vielen steinernen Bänke des kleinen Zuccotti Park sitzend. (Dieses Menü hat die wenigsten Kalorien, „nur“ 1.080 kcal.) Hier ist offenbar ein Treffpunkt vieler Homeless People.
Eigentlich möchte ich noch meine Willkommens-Zigarre rauchen, entscheide mich dann aber doch dagegen, es ist immerhin bald zehn Uhr abends und schon vier Uhr (morgens) Zuhausezeit. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Hier draußen ist es immer noch deutlich über 30 Grad warm.
Im Hotelzimmer kann ich mein Fenster öffnen! Es läßt sich zwar nur ein Stück hochschieben, aber immerhin. Wahnsinn! Im 18. Stock! Für Morgen wird Regen angekündigt. Nicht schlimm, dann fahre ich halt mit der U-Bahn in der Stadt herum. Müllermilch (ja unser „Müllermilch“) macht hier Reklame im TV.
Also dann: Gute Nacht. War ein langer aufregender Tag. Bis morgen.
Donnerstag, 22. August 2013
New York City mit dem Fahrrad
ca. 25 km
Guten Morgen Ihr alle da draußen. Ich habe selten in einer ersten Hotelnacht so gut geschlafen. Bett und Kissen waren perfekt. Jetzt fehlt nur noch das Breakfast.
„The city that never sleeps“? Naja, hier um mich herum hat alles geschlafen. Nur ein paar Müllwagen waren am frühen Morgen zu sehen, die die Millionen zu Bergen aufgestapelten vollen Müllsacke am Straßenrand eingesammelt haben. Mülltonnen kennt man hier eher weniger.
Um sechs stehe ich auf. Das ist normal, die innere Uhr, („Uhr“ habe ich gesagt – nicht „Schweinehund“), also mein Zeitsinn muß sich erst neu einpendeln. Es ist draußen schon hell geworden. Die ersten wenigen Autos sind zu hören. Der Himmel blickt tatsächlich etwas wolkig auf mich herunter.
Mein Badezimmer ist auch OK, alles funktioniert einwandfrei. Auch die Handtücher sind dick genug. (Kürzlich, vor drei, vier Tagen, in Suhl, noch in Deutschland, hatten wir ja nur Hand“tücher“, also ganz dünne schäbige. Beim nächsten Besuch werden wir dorthin eigene Handtücher mitnehmen.)
Das Hochhaus nebenan hat (gezählte!) fünfzig Etagen. Die andern um mich herum auch ähnlich viele. Da kommt man sich mit weniger als zwanzig doch eher klein vor.
Mein Frühstück nehme ich im Subway. Ich bestelle das kleinste, kürzeste Sandwich, und es hat trotzdem mindestens 700 kcal.
(Ich mag Subway und Starbucks nicht. Tausend Fragen und Entscheidungen bis zum Ziel. Und den bekloppten Starbucks-Leuten immer einen erfundenen Vornamen nennen müssen. Also, für mich ist das nichts. Bin schon zu alt für so einen Quatsch.)
Nach dem anstrengenden Verzehr, alles wollte an allen Seiten ständig rausflutschen, laufe ich zum Broadway und zur Trinity Church und sehe mir diese auch von innen an.
Trinity Church (New York City) – Wikipedia
Danach komme ich an der NYSE-Börse vorbei, die ringsum weitläufig hermetisch für alle Fahrzeuge abgeriegelt ist und schwer bewacht wird. Ich bin froh, daß man mich nicht gleich erschießt oder mich gar festnimmt. Nur weil ich dumm gucke oder sogar ein Foto mache.
Jetzt kommt der gestern schon avisierte Regen. Ich suche erst einmal Zuflucht bei McDonald’s und trinke einen Kaffee. Nach einer halben Stunde kann ich weiter zum berühmten und schwer bewachten Charging Bull am Bowling Green-Park. Er lacht und freut sich offenbar über die vielen Menschen um ihn herum.
Der gewaltige Bulle soll ein angeblicher „Scherz“ des Bildhauers Arturo Di Modica sein. Für einen Scherz dürfte die riesige lebensgroße Figur aus Bronze allerdings etwas zu schwer sein. Und zu teuer.
Es sollen übrigens noch ein paar gleiche Bullen in anderen Städten aufgestellt sein, einer in Shanghai.
Die Figur ist nicht nur überlebensgroß, sondern auch lebensecht, mit allen Details, auch diesen, die man normalerweise einem Jungbullen möglichst früh abschneidet, um ihn zukünftig statt eines wilden Stieres einen willfährigen Ochsen werden zu lassen.
Es herrscht ein unglaublicher Andrang, nein, Ansturm, die Statue ist immer von hunderten Menschen umzingelt. Ich habe keine Chance auf ein vernünftiges Foto. Übliche Vorgehensweise hier: Man muß sich in einer langen Reihe anstellen, läßt sich vorne angekommen von seinen mitgekommenen Freunden oder Familienmitgliedern fotografieren und wird dann sofort von den andern Leuten weggedrängelt, ähm, weggebissen. Ich verspüre wenig Lust, einen Fremden deswegen anzusprechen und lass es, ein Selfie hier zu machen. Die sind hier sowieso alle viele zu aufgeregt. (Dagegen muß ich jede Menge Leute mit ihren Kameras knipsen.)
Vor allem Asiaten tummeln sich hier, aber auch Inder, Pakistani, Lateinamerikaner. Jeder muß ihm mal hinten unten an die Ei…, ähm, an die edlen Teile fassen und dabei mehr oder weniger verschämt grinsen. Alte Frauen wie junge Mädchen. Männer natürlich erst recht. Als ob es ihre Potenz stärken könnte…
Wahnsinn, man müßte dafür Eintritt nehmen. Wahrscheinlich gibt es hier soviel Gedränge wie an der Freiheitsstatue.
https://www.google.de/bulle (Fotos)
Mir fällt auf, fast alle Hochhäuser und viele Wolkenkratzer sind eine Baustelle. Ständig muß man sich an Baugerüsten vorbeiquetschen oder unter dunklen Bretterschutzdächern laufen. Manchmal ist der Bürgersteig sogar ganz gesperrt. Überall wird renoviert oder umgebaut.
Und noch etwas bemerkt man hier sofort: New York geht nur „hochkant“. Alles ist einfach nur groooß! Und hooooch! So viele Hochkantfotos habe ich noch nie gemacht.
Danach laufe ich rüber zum East River und miete mir ein schwarzes Fahrrad für völlig überzogene 53 Dollar. Ein „Performance Hybrid/Mountain Bike“. Was, bitte, ist daran „Hybrid“? Emily bleibt hart und gewährt mir keinen Nachlaß. Ich habe keine Lust, noch woanders zu fragen. (Dabei kostet eine GoldWing vielleicht schlappe 150 Dollar am Tag.) 21-Gang-Schaltung und ein schwules Körbchen vorne am Lenker. Dazu Flaschenhalter und Gepäckträger. Ein Bügelschloss gibt es auch dazu. Den doofen Helm lehne ich ab. Technisch ist alles einwandfrei, alles funktioniert.
Erst einmal fahre ich auf und über die weltbekannte Brooklyn Bridge. Längst ist es wieder heiß und sonnig geworden. Unheimlich viele Leute tummeln sich hier. Der lebhafte Autoverkehr läuft eine Etage unter uns und kostet offenbar keine Maut. Hier oben kann man schon gleich die weltweit einmalige Skyline bewundern. Ich muß mich dazu nur umdrehen. (Noch viel besser bzw. einfacher dürfte es daher in umgekehrter Richtung sein, von Brooklyn nach Downtown.) Wieder winkt mir Miss Liberty von weitem zu. ‚Gib Gummi!‘ scheint sie mir dabei zuzurufen. Und wedelt dazu mit ihrer Fackel rum.
Drüben, an der berühmten „Brooklyn Icecream Factory“ angekommen, bewundere ich ausgiebig das berühmte Panorama auf der gegenüberliegenden Seite. Manhattan! New York Skyline! Sehr beeindruckend. Wollte ich mein halbes Leben lang sehen. Ach was, mein ganzes Leben! Wenn ich jetzt genügend Zeit hätte, würde ich mich hier am liebsten ganz gemütlich auf eine der Bänke setzen, mir ausnahmsweise ein Eis genehmigen und in Ruhe dabei, nein, danach, meine Zigarre rauchen.
Hubschrauber fliegen emsig hin und her. Boote und Wassertaxis nicht minder. Das Viertel hier heißt übrigens „DUMBO“, „Down Under Manhattan Bridge Overpass“. („DUMB“ geht nicht, es hieße „dumm“, deshalb ist das „O“ sehr wichtig.)
Gut, daß die Sonne noch da ist und drüben alles zum Glitzern bringt. Da wirkt die Szenerie erst richtig und jeder wird davon gebannt und ist ergriffen. Mit einem Wort: Keine Gänsehaut, aber Faszination pur. Die Gänsehaut kriegt man vielleicht während und nach der Abenddämmerung.
Aber, husch, husch, keine Zeit! Nicht Rumtrödeln! Aufstehen! Aufsitzen! Weiter geht‘s! Ich will und muß noch mehr vom Big Apple sehen!
Über die Manhattan Bridge fahre ich zurück in die Stadt. Diese Brücke lohnt eigentlich nicht, denn sie ist bei weitem nicht so schön. Spektakulär schon erst gar nicht. Und wegen des zusätzlichen U-Bahnverkehrs auch noch sehr laut. Jede Bahn bringt alles zum Vibrieren. Der Brücke fehlt leider jegliche Ausstrahlung. Hier sind deshalb auch nur ein paar ganz wenige Radfahrer unterwegs. Fußgänger so gut wie gar nicht. Nachdem ich sie jetzt kenne, würde ich beim nächsten Mal unbedingt auf der Brooklyn Bridge zurückfahren.
Drüben angekommen berühre ich kurz Chinatown. Ich will irgendwie schräg nach Norden rauf, egal auf welchen Straßen, verirren ist hier unmöglich. Zumal alle Straßen schachbrettartig und mit den bekannten Zahlen angeordnet sind.
Bisher hatte ich keine Angst vor New York, aber immer ein ungutes Gefühl und wollte erst gar nicht hierher. Aber NYC, jedenfalls Manhattan, ist wirklich ganz einfach. Die Stadt auf unserer Erde, in der sich wirklich jeder auf Anhieb leicht zurechtfindet. Sogar ich.
Hier eine interessante Information über das Straßensystem:
Fahrradfahren in New York City ist im Übrigen sehr einfach. Gaaanz einfach! Es gibt nämlich keine Regeln, Vorschriften oder gar Gesetze. Man fährt einfach los und hält möglichst nicht an. Egal, ob es rote Ampeln sind, Fußgänger, Autos. Man fährt ganz einfach und locker mittendurch oder dran vorbei. Niemand schimpft oder schreit einen an, kein Gehupe, nichts. Polizisten an den Straßenecken der Kreuzungen beachten Fahrradfahrer nicht – und umgekehrt. Deshalb gibt es auch keinen Streß. (Mein Schutzengel bekommt nur etwas mehr Arbeit.)
Ich muß zum Empire State Building. („ESB“. Amerikaner können ja auch sehr pragmatisch sein und kürzen gerne mit ein paar Anfangsbuchstaben ab.) Ist ja klar, kurz vorher fängt es wieder zu regnen an. Dabei sehe den Tower schon. Er ist nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Da heißt es locker bleiben, abwarten – und Wasser trinken, (Pellegrino gibt es hier auch). Und eine Zigarre rauchen.
Der angekündigte Thunderstorm (Gewitter), den ich gestern im TV nicht wahrhaben wollte, kommt auch noch vorbei, und es rumst nicht schlecht. Nach einer Stunde verzieht sich das Gewitter und ich kann endlich weiter.
Umständlicher Security Check unten im ESB. Viele Angestellte in roten Uniformen regeln den Besucherstrom. Im Viereck müssen alle Leute um die Aufzüge drumrum laufen. Danach, endlich im Aufzug, geht es blitzschnell in die achtzigste Etage. Unglaublich, man spürt nicht das Geringste. Noch nicht einmal beim Abbremsen oben. Wahnsinn! Leute mit Höhenangst bekommen sie hier erst gar nicht. Das Ganze nennt sich Hochgeschwindigkeitsaufzug. Oder wird einem alles nur vorgespielt? Nein! Hier ist nichts getürkt, die spätere Aussicht kann einem gar nicht vorgegaukelt werden, sie ist schlicht und einfach großartig.
Aber erst noch ein kurzes Stück mit einem weiteren Aufzug ins 86. Stockwerk. Man könnte noch weiter ins 102., gegen Aufpreis, versteht sich, aber das spar ich mir bei dem Wetter. Es fusselt nämlich schon wieder. Wir sind hier noch etwas höher als der Eifelturm. Bis jetzt war das Empire State das höchste Gebäude New Yorks. 381 Meter. Das ist aber ab jetzt “One World Trade Center”.
Empire State Building – Wikipedia
empire state – Google-Suche (Fotos)
Trotz des Regens sind die Wolkenkratzer in Lower Manhattan, in Newark und natürlich die hier um uns herum immer mal wieder gut zu sehen. Dazwischen gibt es nur unzählige deutlich niedrigere Hochhäuser. Auch Liberty Island kann ich deutlich erkennen. Der Central Park im Hintergrund sieht gar nicht so groß aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Chrysler Building, der ehemalige PanAm-Wolkenkratzer, Rockefeller Center, das runde Gebäude des Madison Square Garden, alles da. Ein paar Lichtreklamen vom Times Square sind dem Eingeweihten sichtbar.
Spätestens jetzt wird einem auch sofort klar, warum der Airbus kürzlich (2009) nur auf dem Hudson River notlanden konnte. Dort gibt es nämlich nur zwei, drei unsichtbare Tunnel und keine Brücken. (Ein weiterer Tunnel wird, glaub ich, gerade gebaut.) Drüben, auf der anderen Seite Manhattans, auf dem East River dagegen, gibt es drei, vier Brücken. Eine Notlandung wäre dort also gar nicht möglich gewesen. Jedenfalls nicht ohne Crash und Totalverlust…
Schade, den Flugzeugträger Intrepid kann ich von hier aus nicht erkennen. Den wollte ich eigentlich auch noch heute besuchen. Und das UNO-Hochhaus. Auch irgendwo versteckt. (Auf meinen Fotos finde ich es dann später aber ganz leicht.)
Intrepid Sea-Air-Space Museum – Wikipedia
Als ich wieder unten bin und mich durch den obligatorischen Andenkenladen gewurstelt habe, Erinnerungsfotos kosten völlig überzogene zwanzig Dollar, kommt die Sonne zurück. Ist doch logisch.
Nächster Punkt zum Ansteuern: Times Square! Hier ist der Nabel der Welt! Aber Bauchnabel sind ja meistens gar nicht so wichtig, wie sie sich oft nehmen…
Ich weiß, ich habe es weiter oben schon geschrieben. Aber weil es so schön, so einmalig ist, kann ich es nicht löschen, ich muß es einfach nochmal schreiben, aber kursiv, zum leichteren Nichtbeachten:
Inzwischen fahre ich längst wie ein New Yorker. Keine roten Ampeln halten mich auf, keine lästigen Fußgängerströme, kein entgegenkommender Verkehr in den doofen Einbahnstraßen. Alles, was bei uns eigentlich verboten ist, ist hier in NYC möglich. Amerika, Land der unbegrenzten Möglichkeiten. (In Paris fahre ich ja auch wie ein Paris…, hmm, wie ein dort wohnender.)
Kreuzungen bei roter Ampel und bei fließendem Querverkehr zu überqueren ist gleich zu Anfang schon obligatorisch. Das macht mich wieder jung und wirkt geradezu wie ein Gesund-/Jungbrunnen. Die Polizisten an den Kreuzungen pfeifen nicht, meckern noch nicht mal mit mir, überhaupt niemand, es herrscht eine friedliche Koexistenz. Manchmal, zwischen den stehenden Autokolonnen, wird es manchmal etwas eng, sehr eng, sodaß ich steckenbleibe und nicht mehr weiterkomme. Beim Wiederlosfahren muß ich etwas aufpassen, damit ich nicht zerquetscht werde. Ja, und dann auch immer mit plötzlich aufgehenden Autotüren rechnen! Oder mit schlechtgelaunten Busfahrern. Und ja, es wird auch schonmal gehupt, aber doch eher freundschaftlich. Nein, nie wegen mir…
Hier bin ich Superman, nein, Bicycleman, (den gibt’s doch noch nicht?!), und unverwundbar. Man nenne mich ab jetzt bitte nur noch „Wilf, the Bicycleman“. Wenn die Welt Rettung braucht und sonst niemand mehr helfen kann, ich bin da, sie muß nur noch nach mir rufen. „Bicycleman, komm und hilf uns!“ Und schon komme ich mit wehendem Umhang quer über den Erdball angeradelt. Hanni vielleicht noch neben mir. Ein Mäntelchen habe ich vorhin schon für sie gekauft. Bicycledog! Ja, das kriegt sie noch draufgestickt. Sie hilft dann allen um Rettung rufenden Tieren. Muß ich mir unbedingt schützen lassen und sofort einen Comic draus machen. Was heißt Comic? Das ist Ernst! VOLLER ERNST!
(Ts, ts, ts, was Adrenalin doch aus einem machen kann. …mit einem machen kann!)
Weiter geht es. Zum Central Park. War mir auch ganz wichtig. Um hier ein paar schöne Attraktionen zu finden, sollte man allerdings einen Plan des Parks mit seinen Sehenswürdigkeiten und viel Zeit haben. Beides habe ich jetzt nicht.
Eine Vorschrift halte ich jetzt lieber ein: Man muß/soll auf dem asphaltierten Fahrweg und der Fahrradspur bleiben, sonst meckern die Fußgänger schonmal hinter einem her. Wegen der nassen Fahrbahn bekomme ich einen schönen nassen Strich auf den Rücken gezeichnet; das Bike hat keine Schutzbleche.
Central Park ist doch ganz schön groß, so groß, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte. Nur vorhin, aus der Höhe des Empire State, sah er etwas klein aus.
Bethesda Terrace, Angel of the Waters – Wikipedia,
Strawberry Fields, Strawberry Field – Wikipedia,
Belvedere Castle, Belvedere Castle – Wikipedia,
und ein paar andere Dinge kann ich mir ansehen. Übrigens, die meisten sehenswerten Dinge sind eher in der südlichen Hälfte des Central Parks.
Schade, ich fahre gegen die Einbahnstraße nördlich um den ganzen Park drumrum und finde den Obelisk doch nicht. Es soll ein original Ägyptischer sein. Ich frage ein paarmal, mindestens die Hälfte der Befragten kennen ihn noch nicht einmal, und die Uhr drängelt, ich habe noch einen ewiglangen Rückweg. Zuhause erkenne ich, daß ich die Leute wahrscheinlich eher nach „Cleopatra’s needle“ hätte fragen müssen.
Nadeln der Kleopatra – Wikipedia
Hier, in der Nähe des Metropolitan Museums, müßte er eigentlich sein. Ich gebe mir inzwischen höchstens noch fünf Minuten. Aber dann muß ich definitiv erfolglos abbrechen und zurückradeln. (Dabei könnte ich jetzt fast hinspucken! Er wäre nur noch ein paar Meter entfernt gewesen! Schade, ich hätte mich halt doch etwas besser vorbereiten sollen!)
Die Fahrradleute machen offiziell um 7:30 pm (halbacht) zu, wahrscheinlich früher, kennt man ja, heute Morgen war dort nicht viel los, wenn ich also bis dahin nicht zurück bin, habe ich das Bike über Nacht am Hals und muß vielleicht nachzahlen, für nichts. Es ist kurz nach sechs. Höchstens anderthalb Stunden Zeit für den Rückweg. Schade, die heute Morgen im Regen und die vorhin im Gewitter vertrödelte Zeit fehlt mir jetzt hinten und vorne.
(Im Nachhinein würde ich mich jetzt anders entscheiden. Alles weiter in Ruhe ansehen, später gemütlich zurückfahren, auch wenn es dann schon dunkel wäre. Was heißt „dunkel“? In NYC? In Manhattan??! Und das Bike lässig am nächsten Morgen zurückgeben. Ich müßte noch nicht einmal nachzahlen.)
Ein Polizist, den ich frage, schüttelt den Kopf und meint, daß ich das bis halbacht nicht schaffe. Nicht bei dem Verkehr. Dabei bin ich doch „nur“ in der 85. Straße und muß genauso viele Blocks, also fünfundachtzig runter und dann noch ein Stück weiter. Ich sause die 7th Avenue und den Broadway runter. Um den Times Square mach ich jetzt lieber einen Schlenker; da dürfte man jetzt um die Zeit gar nicht mehr durchkommen. Am Ende verfranze ich mich ein bißchen und frage mich etwas durch. Unnötigerweise. (Dabei hätte ich nur auf dem Broadway bleiben brauchen. Aber ich muß ja immer ein paar Extratouren machen!)
Trotzdem, um zehn nach sieben bin ich da! Ziemlich genau eine Stunde gefahren. Rückgabe ist ganz einfach und locker. Fünfzehn Minuten später bin ich zurück im Hotel. Alles wieder gutgegangen. Wegen der Hetzerei und überhaupt bin ich nur etwas groggy. Aber doch sehr erleichtert. Danke, mein lieber guter, starker, geduldiger und nachsichtiger Schutzengel.
Auch heute war es wieder warm, immer um die 80 Grad (~25 °C).
Vieles Anvisierte konnte ich leider nicht machen, doch es gibt ja immer ein nächstes Mal. Aber wenigstens beim Vorbeisausen habe ich vorhin kurz von außen sehen können: Das wunderschöne strahlendweiße Guggenheim, St. Patrick’s Cathedral, die zurzeit komplett eingerüstet ist, das altehrwürdige Waldorf Astoria, und, und, und. Das berühmte und wirklich superschmale „Flat Iron Building“ habe ich vorhin wenigstens vom Empire State aus gesehen.
Mit der New Yorker U-Bahn bin ich auch (noch) nicht gefahren. Ein weiterer Grund, nochmal hierher zu kommen. Grand Central wartet auch noch auf mich.
Heute Abend muß ein Stück wohlschmeckende vegetarische Pizza (620 kcal) genügen, das ich ganz in der Nähe meines Hotels bekomme.
Beim Heimlaufen sehe ich, daß schon wieder überall am Straßenrand neue Müllsäcke aufgestapelt werden. Berge, nein, ganze Gebirge. Pappkartons flach daneben. Sperrmüll auch, Drehstühle, Sessel, Sofas, Regale. Täglicher Kampf mit dem Müll. Unglaublich. Und für uns eigentlich nicht vorstellbar. Ein Hausmeister, mit dem ich ins Gespräch komme, meint, daß der ganze Müll nach Ohio und/oder Virginia transportiert wird. Täglich! Glaube ich aber nicht. Die werden doch wohl solche Massen gleich hier in der Nähe verbrennen? Müll sogar trennen?! In fünf, sechs, sieben und noch mehr verschiedene Sorten? Nein, kennt man hier nicht. Ex und hopp-Mentalität. (Energie und Wasser wird hier auch noch nicht gespart.)
Ein aufregender Tag, der wohl auf dieser Reise nicht mehr getoppt werden kann. Oder?
Sehr gut, daß ich heute Morgen noch eine Kerze angezündet habe. Vielleicht ist mir deshalb nichts passiert?! Der auf- oder vielmehr anregendste und schönste Tag seit langem. Ich hatte ja bisher reichlich Bammel vor NYC, aber das hat sich ab heute geändert und ich muß bald noch einmal hierher, um weitere „Erfahrungen“ zu sammeln. Aber nur per Fahrrad! Alles andere ist viel zu langweilig. Und zu spießig. Taxi und Subway kann ja jeder. Um halbelf gehe ich schlafen. Soviel Adrenalin wie heute war noch nie in meinen Adern. Deshalb gibt’s auch nichts zum Rauchen.
Freitag, 23. August 2013
New York City, NY – Medford, NY
75,8 Meilen
Heute beginnt endlich mein neues, großes Abenteuer. Heute muß ich mal ganz brav sein, mein Schutzengel soll sich erstmal erholen und neue Kräfte sammeln.
Aber erst einmal verabschiede ich mich von meinem bequemen Lotterbett. Ungern. Es ist kurz vor sieben. Blauer Himmel, ein schöner sonniger Tag kündigt sich an.
Ich möchte mal wieder ganz allein mit einem Motorrad in den USA unterwegs sein. Dabei hilft mir (und bestärkt mich) eine Lebensweisheit meiner (leicht erkennbar in Köln geborenen) Mutter:
Et es wie et es. Et kütt wie et kütt. Un et hät noch emmer joot jejange. Auszug aus Das Rheinische Grundgesetz – Wikipedia
Mit anderen Worten: Es wird mir schon nichts passieren.
Frühstück im 7eleven. Ein Sandwich mit angeblichen nur 320 kal. Ich fürchte, es sind in Wirklichkeit mehr. Bestimmt doppelt so viele. Vier Becher Kaffee müssen es jetzt auch immer jeden Morgen sein. Mindestens. Ich mag American Coffee.
Dann packe ich meine Sachen und checke aus. Mein Hotel war durchaus zufriedenstellend. (Bis auf die Aufzüge. Einer von zweien ist seit gestern defekt und es dauert beide Male immer etwas, bis der andere sämtliche Stationen unterwegs abgeklappert hat und dann endlich oben ankommt und mich abholt. Runter dauert es noch länger; an fast jeder Etage wird gestoppt.
Da noch genügend Zeit ist, stelle ich mein Gepäck in der Lobby ab und sehe mir die Südspitze Manhattans zu Fuß an. Ich erhalte vom Battery Park einen schönen Blick auf die Bucht und auf meine neue Freundin, Miss Statue of Liberty-Freiheitsstatue; dazu gibt’s geschäftige Boote, Fähren, Wassertaxis. Wie jeden Tag herrscht heftiger Hubschrauberverkehr.
Um halbzwölf kommt pünktlich mein Shuttle-Van ans Hotel, mit dem ich zum Flughafen fahre. Diesmal fährt Alex, der nicht viel quatscht. Das Auto ist wieder voll und ich kann (muß) mich wieder vorne auf den Beifahrersitz setzen. (grins+freu!) Zum Glück bin ich der letzte Fahrgast und wir müssen nicht noch ewig rumkutschieren, um weitere Leute einsammeln. (nochmehrfreu)
Alex: Where are you from? Norway? Ich: No, I’m from Germany. Alex: Ah, Stockholm? Ich: No, Berlin, Frankfurt, Munich. Alex: Ah, Deutschmark... (Dabei haben wir schon seit über zehn Jahren Euros...)
Wir machen einen kurzen Umweg durch Chinatown, das riesig ist und sich wie ein Geschwür immer weiter ausdehnt. Und durch Little Italy, das aber nur aus einer einzigen Straße mitten durch Chinatown zu bestehen scheint. (Ab jetzt weiß ich auch, wie McDonald’s auf Chinesisch geschrieben wird.)
Dann wieder durch den Hollandtunnel, der aus der Stadt raus nichts kostet; hinein bis zu zwölf, dreizehn Dollar. (EZ-Pass ist dringend für alle Mautstationen unterwegs zu empfehlen und es wird damit auch deutlich billiger.)
Am Airport suche ich mir die richtige Bus-Haltestelle und fahre mit dem GO28-Bus für 1,50 Dollar ein paar Haltestellen bis zur Broadstreet. Hier muß ich Umsteigen. Stewardess Claudia ist deutsche Einwanderin und wartet hier auf den gleichen Bus und fährt genau dieselbe Strecke. Da kann ich die richtige Haltestelle zum Umsteigen ja gar nicht verpassen.
(Irmgard und Ingrid raten mir zwar immer zu einem Taxi, besonders auch diesmal, aber Taxi kann jeder, ich möchte doch Abenteuer haben und erleben. Und bin bisher noch immer dort angekommen, wo ich hinwollte. Früher oder später.)
Hier muß ich in den 13er Omnibus nehmen, der nochmal ein, zwei Dollar kostet und mich nach 24 (ja, vierundzwanzig) Haltestellen unterwegs in Belleville an der Washington Avenue absetzt. Wie immer in einem amerikanischen Bus werde ich gerne schonmal verwundert angeguckt; Weiße fahren in den USA-Städten halt eher selten mit diesem Transportmittel. Die schwarze, dicke, gutmütige Busfahrerin gibt mir einen hilfreichen Hinweis zum richtigen Aussteigen und wünscht mir noch „Have a nice day!“.
Von hier aus sind es nur noch zwei-, dreihundert Meter zu Fuß bis zu meinem Ziel. Es ist halb zwei als ich eintreffe. EagleRider ist in einem riesigen Motorradhaus untergebracht. Ich glaube, es ist der größte Motorradhändler, den ich je gesehen habe. Hunderte Motorräder und Scooter stehen hier und warten auf Kunden, viele (alle?) Fabrikate, zwei Verkaufsetagen. Dazu eine entsprechend große Werkstatt im Untergeschoß. Absoluter Wahnsinn, auch BRP Can-Ams und sogar riesige Victory-Schlachtschiffe gibt es hier. Dagegen sieht eine GoldWing eher grazil aus. Die stehen hier natürlich auch herum. Sogar zwei, in meinen Augen unglaublich häßliche Honda-F6B „Bagger“ (abgespeckte GoldWing) warten auf Käufer. (Dieses Motorrad hat nach meiner Meinung überhaupt keine Daseinsberechtigung.) Und Motorboote gibt es schließlich auch noch.
HONDA F6 Bagger, kein richtige Scheibe vorne und hinten kein Topcase. Wär nix für mich. Da würd ich mir lieber ein „richtiges“ Sport-Bike holen..
Rick (Richard) empfängt mich gleich mit meinem Vornamen. Ich habe mir hier ein Motorrad gemietet, mit dem ich die nächste Zeit herumfahren werde. Allein. Mutterseelenallein. Oder soll ich sagen: Nur wir beide?
Ich bin Einzelkämpfer. Da ist kein Platz für Freunde. Und die sind ja sowieso nie da, wenn man sie braucht. (In der Not erkennt man seine Freunde. Alte Weisheit. Erkannte schon Jesus.) Oder sie sind neidisch. (Auf was überhaupt?) Oder schwierig. (Ich selbst bin schon schwierig genug.) Oder ständig eingeschnappt. (Das brauche ich schon gar nicht!) Eigentlich bin ich wie Niki Lauda, den ich so sehr schätze. Der kennt ja wirklich genug Leute, aber Freunde?, Freunde?!, Freunde hat er keine. Sagt er von sich selbst. (Ich wäre überhaupt gerne wie Niki. Intelligent, schlagfertig, tiefgründig.) Also, so richtig „beste“ Freunde habe ich leider keine. (Vielleicht ein paar weniger „gute“ Freunde.) Deshalb fahre ich auch am liebsten ganz alleine rum. Und Harry ist schon lange tot. Und andern bin ich zu schnell.
Halt, stopp, einen besten Freund, nein, eine beste Freundin habe ich: Meine geliebte Hanni! Das ist (neben vielem anderen) das Besondere, das Liebenswerte an einem Hund. Er ist einem nie böse, auch wenn man ihn noch so sehr beleidigt, beschimpft, anschreit, tritt, quält oder gar hungern läßt. (Was ich natürlich alles niemals machen würde!) Ein Hund kommt immer wieder schwanzwedelnd zu einem zurück. Ganz besonders meine so sehr geliebte Hanni.
Die Papiere sind schon so weit wie möglich ausgefüllt. Überhaupt überraschen und überschütten mich Rick und sein Kollege Josh mit offenbar ehrlicher und ausgiebiger Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit. Das habe ich bei den andern EagleRider-Filialen bisher noch nie erlebt. Niemals! Kostenloser eiskalter Drink. Fehlte nur noch ein Kaffee, den ich wahrscheinlich auch noch bereitwillig bekäme. Aber ich bin jetzt zu aufgeregt und will raus ans Moped.
EagleRider-Leute sind ja in der Regel eher krokodilfreundlich. Erstmal „freundlich“ – und früher oder später wird zugeschnappt. Wenn sie überhaupt mal freundlich tun. Erst ist alles ganz nett – und bei der Rückgabe wollen sie einen nicht mal mehr kennen.
Hier nicht. Die scheinen hier ehrlich freundlich und überhaupt angenehm entgegenkommend zu sein. Das ist gleich ein ganz anderes Gefühl. Ich bin mal gespannt, ob die Rückgabe später genauso freundschaftlich und entspannt ablaufen wird.
Ah, da steht ja meine Schönheit und lächelt mich schon erwartungsvoll an, mein goldenes Pferd, auf dem ich die nächsten Tage durchs Land reiten werde. Naja, okay, es ist nicht gerade golden, es ist vielmehr metallic-blau, und eigentlich ist es auch kein Pferd, sondern eine HONDA GoldWing der aktuellen Ausführung.
Die GoldWing erwartet mich mit frisch gewaschen und mit glänzenden Augen (Scheinwerfern). Extras: Eingebautes Navi. (Steinrunterfall! Ich brauche mein altes TomTom nicht wieder umständlich „einzubauen“.)
Und ein SiriusXM Satellite Radio ist auch dabei, das hunderte (genauer gesagt über 160) werbefreie Sender abspielt und dazu auch noch Verkehrsmeldungen und aktuelle Wetterberichte und Vorhersagen bringt.
21.000 Meilen auf der Uhr. Kein Airbag, aber den brauche ich hier ja auch nicht. Nur ein paar kaum erkennbare winzige minimale Kratzer im Lack. Hoffentlich hat sich dies bei der Rückgabe nicht geändert. (Und hoffentlich gebe ich das Moped am Schluß in einem Teil zurück.)
In Ruhe verstaue ich meine sieben Sachen. Handy anstöpseln, schon spielt die Musik. Die Lautsprecher bringen echt genug Power. Auf die Einweisung verzichte ich natürlich. Wir beratschlagen noch, ob ich durch NYC hindurch oder um die Stadt herumfahre. Rick empfiehlt mir den Schlenker nördlich um die Stadt drumrum. (Fehler! Wenn ich es jetzt noch einmal entscheiden müßte, würde ich, ohne groß weiter darüber nachzudenken, den direkten Weg nehmen. Durch einen der Tunnel und durch Manhattan. Frage: Dürften Motorräder eigentlich durch die langen Tunnel?? Im Netz habe ich nichts darüber gefunden. Dann weiter über eine der Brücken und anschließend durch Queens.) Rick meint es gut mit mir und druckt mir meine Route auch noch extra aus – und läßt sich nicht davon abhalten, mir auch noch das Navi zu programmieren.
Um viertel nach drei fahre ich fröhlich und gutgelaunt los. Es ist 84 Grad warm.
Wenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere; wenn ich auf meinem Pferd angeritten komme, halten alle andern Verkehrsteilnehmer vor Ehrfurcht an. Wäre zu schön wenn es so wäre, aber dem ist leider nicht so. Ganz im Gegenteil. Hier auf der holprigen Interstate aus der Stadt hinaus ist der Teufel los. Ist denn jetzt um halbvier schon rush-hour? Ach so, es ist früher Freitagnachmittag. Alles was kann, fährt raus „ins Jrüne“. Und ich schwimme mittendrin.
Ich muß also einen riesigen Halbkreis nördlich um die Stadt herum fahren und dann nach Osten, immer auf der langen Halbinsel Long Island bleibend. Die George-Washington-Bridge unterwegs, kurz „GWB“, kostet teure zwölf Dollar Maut. (Autos siebzehn.) Später muß ich nochmal günstige drei Dollar (statt 7,50 Dollar) an einer Brücke bezahlen.
Wiki: „Diese Straßenbrücke mit insgesamt bis zu vierzehn Fahrstreifen gilt als die meistbefahrene Brücke der Welt…“
Wie schon befürchtet, der ebenso heftige wie lästige Freitagnachmittagsverkehr bleibt mir heute den gesamten Nachmittag erhalten. Long Island ist Feriengebiet. Viele Leute haben hier und weiter am Ostende, in den Hamptons, ihre Wochenendhäuser oder zumindest Freunde und Verwandte, die sie besuchen wollen. (Wiki: Der Name leitet sich von den dortigen Städten Southampton, East Hampton, Westhampton, Bridgehampton und Hampton Bays ab.)
Ich bleibe auf der Interstate 495 und kann mich ein paarmal an und durch die drei, vier zähen Kolonnen am Stau vorbeimogeln. Die HOV-Spur darf ich hier benutzen, sie bringt aber auch nicht viel, auch viel Stau.
(Rick wußte noch nicht einmal, ob ich hier als Motorrad die HOV-Spur benutzen darf. Dabei fährt er selbst eine blaue Monster. Das ist in USA sehr unterschiedlich. Aber hier darf ich, es steht auf den Schildern. )
Um kurz nach 6 pm (18 Uhr) erreiche ich Medford, NY und suche mir hier wie geplant ein Hotel. Ich bekomme ein Comfort Inn-Zimmer für 155 Dollar. Für so viel Geld habe ich sonst bisher immer ein eine Klasse besseres Hotel bekommen. (Da dies hier eine teure Gegend zu sein scheint, wie alle Halbinseln und Inseln, hatte ich mir zuhause noch drei etwas weniger teure Hotels zur Auswahl herausgesucht, bleibe aber hier.) Ich habe Glück, ein Zimmer ist noch für mich frei.
Wenigstens läßt sich mein Fenster öffnen. Mein Bett ist breit und hat diesmal sogar üppige fünf Kissen. Und es gibt Morgen früh ein Hot-Breakfast.
Ich esse nebenan in einem Quizno ein Lobster-Sandwich und hole mir in der Tankstelle gegenüber einen Drink zu meiner abendlichen Gute-Nacht-Zigarre. Ich finde aber nur im Motel nebenan ein paar Stühle, seitlich am Gebäude versteckt. Die Grillen veranstalten dazu ihr allabendliches Konzert. (Ich werde sie auf dieser Reise jeden Abend hören. Außer an den Wasserfällen.) Noch immer schön warm. So langsam komme ich runter und kann etwas relaxen.
Schon wieder ein perfekter Tag, an dem alles wie geplant abgelaufen ist, ohne irgendein Problem. Ich bin wirklich sehr froh und erleichtert und mindestens genauso zufrieden. Dabei gab und gibt es doch so viele Unwägbarkeiten, auf die ich gar keinen Einfluß habe. Ob das so bleibt? Um halbelf gehe ich frohgemut schlafen. War wieder ein langer schöner Tag.
Samstag, 24. August 2013
Medford, NY – Somerset, MA
154.4 Meilen
Was kitzelt mich denn da? Ah, die ersten Sonnenstrahlen, die sich zu mir ins Zimmer drängeln. Mann, habe ich gut geschlafen. Nicht ein einziges Mal aufgewacht. Ich habe mich also bereits akklimatisiert und an die Zeitumstellung gewöhnt. Geht bei mir ja immer schnell.
Die Morgenkühle ist angenehm und kündigt einen neuen heißen Tag an. Ich liebe es, so in den neuen Tag zu starten und genieße es, noch ein paar Minuten liegen zu bleiben und in meinem Reisetagebuch zu schreiben.
Es ist viertel vor sieben. Gerade der richtige Zeitpunkt, um aufzustehen. Endlich ein typisches amerikanisches Hotel-Frühstück. Ich hätte es früher nicht geglaubt, mich darüber (in Maßen) freuen zu können. Auf jeden Fall aber ist es besser, als die beiden fetten Sandwiches in NYC.
Im TV höre ich während des Frühstücks, daß der „General Pulasky Skyway“, auf dem wir vorvorgestern und gestern in New York noch gefahren sind, heute und morgen geschlossen bleibt. Das wird für viel „gute“ Stimmung unter den betroffenen Autofahrern sorgen.
Gegen neun geht es los, mein Pferd wartet schon auf mich und scharrt mit den Hufen. Etwas kühl ist es, das Meer ist in der Nähe. Mein Ziel: Bis zum Horizont und dann weiter…
Ab hier sind die Hamptons („Suffolk County“, die Gegend im Osten auf Long Island) schön und ländlich, mit vielen Farmen und entsprechenden Verkaufsständen und Vinerys (Weinverkaufsläden). Bis hierher war alles nur städtisch bebaut. Jetzt bekommt Mutter Natur nach und nach die Überhand.
Wikipedia:
Seit vielen Jahrzehnten gelten die Hamptons als das Mekka der Superreichen und dienen vorrangig wohlhabenden US-Amerikanern als Wochenend- bzw. Sommerresidenz. Zahlreiche Milliardäre sowie Persönlichkeiten aus Industrie, Finanzwirtschaft, Film und Fernsehen haben hier ihre Domizile. Zu den bekanntesten Besitzern einer hiesigen Immobilie gehören u.a. Maria Carey, Steven Spielberg, Tiger Woods und Jennifer Lopez. Die Immobilienpreise der Hamptons gehören mit zu den höchsten weltweit.
Hier sehen sogar die McDonald’s-Filialen ganz anders und deshalb total ungewohnt aus:
Samstagsverkehr. Die Leute sind heute alle gutgelaunt und friedlich unterwegs. Die Straße berührt jetzt ein paarmal das Meer und ich mache ein paar Fotostopps. Auch später. Überhaupt eine angenehme, kurvige, schöne Landstraße, die viel Spaß macht. Der Zeiger auf meiner nach oben offenen Freudenskala ist schon wieder am Anschlag. (Ja, ihr Erbsenzähler, widerspricht sich, die Formulierung soll einfach nur witzig sein.)
Hier ist der natürliche Lebensraum einer GoldWing. Hier findet sie genug Auslauf.
Bikes are boy‘s best friend. Schade, der liebe Gott hat mir keinerlei musikalisches Talent mitgegeben, (eigentlich gar kein Talent, zu nichts), aber wenn ich es hätte, würde ich jetzt dieses Lied, mein Lied, wieder laut singen. Aber man kann ja auch stumm singen, im Kopf. Hauptsache, man hat Spaß! Und den bekommt man hier.
In Orient, einem winzigen Ort am Ende der Halbinsel, nehme ich die Autofähre („Cross Sound Ferry“) für 28 Dollar. Jede Menge Fahrzeuge in den drei Warteschlangen. Ich habe unverschämtes Glück und kann mich unauffällig in einer Gruppe Harleys dazwischenmogeln, die gerade darauf warten, auf die Fähre zu fahren. Die Kassiererin fragt mich, ob ich „zu der Gruppe“ gehöre. „Yes, M’am! Sure!“ Ich darf mich den andern Mopeds anschließen, die kurz darauf auf die Fähre rollen. Sonst müßte ich auf die nächste Fähre und mindestens eine halbe Stunde länger warten. Die Fähren sind meistens lange im voraus voll ausgebucht und man soll(te) rechtzeitig vorher reservieren. Lange Autokolonnen warten. Dazwischen zwei Motorräder, deren Fahrer nicht so pfiffig wie ich waren.
Merkwürdig: Die Mopeds werden auf dem Schiff nicht festgebunden. Die Überfahrt auf der „Susan Anne“ selbst dauert dann immerhin anderthalb Stunden. Wer will, bekommt hier genug zu Essen. Wer satt ist, kann die Sonne, das Meer und die frische Seeluft genießen. Man kriegt also eine schöne Schiffsreise für sein Geld, wenn das Schiff auch schon reichlich mitgenommen aussieht. Ein paar große Eimer frische Farbe wären dringend nötig. Die Gegenfähre begegnet uns unterwegs. Alles geht gut und wir erreichen schließlich New London, CT. (Wobei das „CT“ für Connecticut steht.)
Beim Wiederanlassen und Losfahren machen die sechs, sieben Harleys vor mir einen unglaublichen Krach. Mir platzen hier innerhalb der Fähre beinah die Trommelfelle. Ohrenbetäubend ist noch untertrieben. Ohrenzerfetzend ist hier wohl der richtige Ausdruck. Beim Gaswegnehmen erfolgen reichlich Explosionen. Und das alles nur allein beim Runterrollen von der Fähre. Den Leuten muß das längst die Ohren und Gehirne zerballert haben. Ich bin froh, als sie endlich ein bißchen Abstand gewinnen. Nebenbei: Harleys sind ja sowieso nur dazu gut, um geradeaus zu fahren…
Vorher war ich im Staat New York. New York State. Ich habe John, einen der Harleyfahrer vorhin gefragt. Ja, hier in Connecticut darf man ohne Helm fahren. Also wird er sofort hinten festgeschnallt. Ah, welch Wohltat, endlich wieder ohne Helm! Endlich Freiheit.
Die erste Brücke kostet gleich mal 4 Dollar Toll, statt der 7,50 Dollar für Autos. Ein paar andere Brücken kosten nichts. (Vielleicht habe ich auch eine weitere Tollbrücke vergessen. Weiß es nicht mehr genau. Is‘ schrecklich und geht einem hier manchmal echt auf die Nüsse, ständig Brücken oder sonstwas bezahlen zu müssen.)
Die neue GoldWing ist eigentlich unverändert. Vielleicht klingt der Motor etwas rauh, auf jeden Fall nicht so turbinenmäßig wie meiner zuhause, und obwohl mein Moped daheim etwas lautere Auspufftöpfe hat. Sie hat noch immer ihre fünf Gänge. (Günthers GoldWing hat als einzige weltweit nur vier. Seiner Meinung nach…)
Das Navi ist geringfügig besser geworden. Aber leider nicht vollkommen. Bei weitem noch nicht. Es braucht noch immer die ewiglange Gedenkminute, bis nach „Zündung an“ die zäh vor sich hintrödelnde Start-Zeremonie endlich abgeschlossen ist, und bis man dann schließlich auf „Enter“ drücken darf. (Wie oft ich dafür schon gleich nach dem Losfahren wieder anhalten mußte! Das nervt und ist genauso unnötig wie der übliche Vorspann mit hunderten Namen bei Filmen, die einen im Grunde gar nicht interessieren.) Aber immerhin kann man das Navi jetzt wohl auch vorher mit Hilfe einer SD-Karte auf dem heimischen PC programmieren.
Und man muß auch jetzt immer noch vor dem Losfahren fest versprechen, alle Gesetze und Verkehrsregeln brav einzuhalten. Daß die den Quatsch noch nicht geändert bzw. abgeschafft haben. Die Konstrukteure sollten mich mal fragen. Oder andere GoldWing-Vielfahrer. Dann hätten sie bald ein perfektes Motorrad. Aber das wollen sie wahrscheinlich nicht, Konstrukteure, Auto- und Motorrad-, wollen ihre Abnehmer ärgern. Da sind sie sich alle auf wundersame Weise einig.
Das gleiche gilt für den Tempomat; er ist auch noch lange nicht perfekt. Er setzt jetzt zwar deutlich schneller ein, allerdings mit einem heftigen Beschleunigungssatz. Die Sozia würde mir jedesmal in die Seite boxen. Aber mit einem kleinen Trick wird es geringfügig besser und erträglicher.
Eine Frage quält mich: Warum habe ich eigentlich nur mein Cap, aber meinen Schlapphut nicht mitgenommen?! Also WalMart suchen. Ich fahre hinter einem WalMart-Lkw her – und richtig, er führt mich direkt dorthin. Aber leider ist das hier kein Supercenter, obwohl doch fast genauso groß. Trotzdem, hier haben sie leider keine Hüte und keine Caps.
Inzwischen bin ich in Rhode Island. Angeblich reichster Staat der USA, trotzdem miserable Straßen. Aber die Gegend ist weiterhin schön.
Merkwürdig finde ich, daß ich auch heute noch kein einziges Polizeiauto gesehen habe. Die bisher unbeschädigten jungfräulichen Angstnippel an den Fußrasten bekommen also ein neues Muster reingekratzt.
Die Motelsuche gestaltet sich nachmittags etwas schwierig, die ersten, an denen ich vorbeikomme, sind noch etwas früh. Ein Hampton Inn ist voll. Ich ziehe später deshalb die Vorschläge im Navi zurate. Alle Motels sind weiter entfernt, es ist halbsechs.
Jetzt bekommt das Navi plötzlich auch noch große Schwierigkeiten und findet die Auffahrt auf die Brücke nicht. Gerade hier, wo es überhaupt etwas schwierig wird.
Ein überholender Motorradfahrer klopft mit seiner Hand auf seinen Helm und bedeutet mir damit, daß hier Helmpflicht besteht. Ich muß also schon in Massachusetts sein. Benzin ist hier etwas teurer als bisher.
Endlich, in Somerset, ein Super8. Mit 85 Dollar (plus tax) erscheint es mir sehr teuer. Ein Quality Inn auf der Weiterfahrt belehrt mich eines Besseren, denn es kostet 125 Dollar + Steuer. Mehr Motels gibt es hier nicht. Also zurück zum Super8. Ich bekomme das angeblich letzte freie Zimmer, der Inder im Office zeigt mir zum Beweis seine Liste. Dabei stehen doch nur drei, vier Autos vor den Zimmern. Sehr merkwürdig. Und das Gebäude hat zwei Etagen, also eigentlich jede Menge Zimmer.
Im ebenerdigen Zimmer braucht man sogleich starke Nerven, es riecht hier sehr, sehr unangenehm. Dagegen kann auch der schreckliche Duftspender nicht anstinken. Doch das ist noch das kleinste Problem.
Es gibt auch nur einen alten, klobigen TV. Keinen Sessel, keinen Stuhl, keinen Tisch, keinen Schrank, noch nicht einmal ein Koffergestell. Nur eine Art schäbiger Schreibtisch. Aber wirklich nichts zum Sitzen. Fußleisten abgerissen. Im Bad nur noch ein paar wenige restliche Blätter Klopapier auf der Rolle, keine Reserverolle, keine Kosmetiktücher, die Handtücher wahrscheinlich oder vielmehr offensichtlich auch nicht sauber. Nach einem Blick in die Badewanne raten mir mindestens vier meiner fünf Sinne, („Schmecken“ will ich nicht!), hier lieber aufs Duschen zu verzichten; sie ist nicht nur verkratzt und unansehnlich, nein, sie ist auch schmutzig. Ich lasse es lieber. Das Wasser aus dem Hahn riecht auch nicht gut. Einziger und einsamer Trost: Das Fenster läßt sich wenigstens öffnen.
Der Außenpool ist für immer abgedeckt, hier wird wohl niemand niemals mehr je Schwimmen.
Am schlimmsten stellt sich dann die Plastikfolie unter dem Bettlaken heraus, ich schwitze später sofort. Feiern die hier ständig feuchte Bettspiele oder gar Lustorgien? Exzesse? (Warum laden die mich dann nicht dazu ein??)
Ja, das war falsche Sparsamkeit. Aber Super8 war bisher immer OK. Das konnte ich nicht ahnen. Am liebsten würde ich wieder auschecken. Ingrid hat schon für erheblich bessere Zimmer wieder ausgecheckt. Wo bin ich hier nur reingeraten? Alles nur Neger und Latinos als Gäste hier, mit vielen Kindern. Ob Morgen noch alles am Moped dran ist? Aber mir bleibt einfach keine Wahl.
Einziger Trost: Wer richtig müde ist, schläft überall. Ich habe schließlich sogar damals nach dem nächtlichen Brand im Motel in Bluff auf dem kalten blanken Fußboden der Post weitergeschlafen, mit meinen Schlappen als einziges Kopfkissen und sonst nichts.
Abendessen bekomme ich in der Spelunke nebenan, in „Magoni’s Ferry Landing“. Auch hier gibt es nicht viel Auswahl. Ich bestelle mir eine dickflüssige Minestrone mit total verkochten schlabbrigen Nudeln, ein ledriges Sirloin-Steak mit Ofenkartoffel und Maiskolben. Danach ekliges Dessert und ebensolchen Espresso. Zum Runterspülen brauche ich zwei Corona. Veronica bedient mich. 30 Dollar. (Alles Essen und Trinken kommt kurz danach wieder in flüssigem Aggregatzustand raus. Es kann mir also davon nicht schlecht werden.)
Naja, so schön, so perfekt und so angenehm wie bisher konnte es ja nicht weitergehen. Das ist der absolute Nullpunkt! Ab jetzt kann es wieder nur noch besser werden.
Ich denke erst gar nicht über die Sauberkeit von Bettwäsche, Matratze und Kopfkissen nach. Ihre Punktzahl ist bestimmt nur sehr gering. Auf die abendliche Zigarre verzichte ich, hier fühle ich mich nicht wohl genug dafür.
Der Krach über mir die halbe Nacht ist schlimm. Drucken die da oben Falschgeld? Oder kochen die Drogen? Oder werden Freier abgefertigt? Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Dreißig Dollar wären für die Bruchbude vielleicht noch akzeptabel, nein, noch viel zuviel, aber fast hundert?
Aufs Fernsehen verzichte ich, es gibt sowieso keine Fernbedienung. Die Plastikfolie knistert bei der leisesten Bewegung. Trotzdem, um zehn bin ich schon tief und fest weggeschlafen. Wenn ich aufwache, befehle ich mir, Augen zu und irgendwie weiter durchschlafen.
Sonntag, 25. August 2013
Somerset, MA – Hampton, NH
184,8 Meilen
Morgens zehn nach sechs. Drüben über dem Fluß geht die Sonne auf und scheint immerhin zu mir ins Zimmer, um mich etwas zu trösten. Schon wieder strahlend blauer Himmel, wie gestern keine Wolke, noch nicht einmal ein Wölkchen.
Gute Nachricht: Die Nacht mit ständigem Babygeschrei, (das bedauernswerte Baby), den Gestank im Zimmer und den Krach und das Ankommen und Wegfahren von Autos mit entsprechendem Türenschlagen und Zimmertürzuschlagen und das Rumoren und Fußgetrappel über mir habe ich erstmal überstanden und überlebt. Rüdiger Nehberg würde mir jetzt kollegial auf die Schultern klopfen. Das war hartes Überlebenstraining.
Ich war ständig über den jeweiligen Wasserverbrauch im Haus informiert. Wenn es irgendwo gezapft wurde, ich bekam es sofort mit.
Schlechte Nachricht: Frühstück gibt es hier natürlich nicht, nur ein paar alte einfache Cornflakes, Milch, Apfelsaft und miserablen Kaffee. Lisa und Erica checken mich aus. Der uralte Printer will auch nicht mehr drucken. Sämtliche Fensterscheiben sind schmutzig. Sogar hier in der Registration. Alles zusammen ergibt ein Konglomerat an schäbigen heruntergekommenen Details. Dabei muß das früher ein schönes Motel gewesen sein, ich sehe hinter Lisa eine Luftaufnahme.
Konfuzius sagt in seiner unendlichen Weisheit: Shit happens.
Jesus sagt: Wenn du nicht darüber lachen kannst, lächle wenigstens.
Also sei es, wie sei. Ich bin noch am Leben.
Jetzt, zum Schluß, beim endgültigen Verlassen des Zimmers, habe ich auch genug Mut, das Laken an einer Ecke kurz anzuheben. Ja, tatsächlich ein Plastikbezug mit Gummizug, in der Art, wie man eine Schüssel schnell bedeckt, bevor sie in den Kühlschrank gestellt wird. Wegen inkontinenter Gäste oder doch eher für Sexspiele? Ich will es nicht wissen, soviel Mut habe ich dann doch nicht.
Eventuelle Nachwirkungen und Folgen gesundheitlicher Art können nicht ganz ausgeschlossen werden. Natürlich bereue ich es, abends nicht doch gleich wieder ausgezogen zu sein. Eigene Faulheit!
Nur schnell weg hier. Ganz schnell alles vergessen. Am besten sämtliche Erinnerungen auf der inneren Festplatte löschen. Eins der schlimmsten Motels, die ich in den USA je erlebt habe. Nein, eins der schlimmsten in meinem ganzen Leben, weltweit! Erkenntnis und zugleich Trost: Man muß auch mal durch etwas Unangenehmes gehen (müssen), um das Wahre, Schöne, Gute wieder entsprechend würdigen zu können.
Und ich schwöre, daß kein einziges Wort übertrieben ist. Eher noch untertrieben, in Wirklichkeit war alles noch viel unangenehmer, schlimmer, schrecklicher, der absolute Tiefstpunkt US-amerikanischer Hotelkultur. Meine gute Erziehung gestattet mir nicht, die wirklich notwendigen Wörter für den Zustand dieses „Motels“ zu verwenden. Außerdem kenne ich sie gar nicht.
Mein Glaubensbild an Amerika ist total erschüttert, zerfetzt, neutralisiert. Geradezu atomisiert.
Im Hotel der vorletzten Nacht bekam man sein Geld bei Nichtgefallen zurück. Hier nicht. Um halbacht verlasse ich den Ort des Schreckens.
(Update: Ich habe später von zuhause aus die Super8-Geschäftsleitung auf den katastrophalen Zustand des Motels in Somerset aufmerksam gemacht. Ein paar Wochen später schickt man mir eine Entschuldigung und einen Scheck. Das nenne ich korrekt, und es versöhnt mich wieder etwas mit Super8.)
Ich fürchte schon, da es Sonntag ist, daß ich so früh vorerst noch kein Breakfast bekommen werde. Doch es gleicht sich halt alles aus. Früher oder später. Mal verliert man, mal gewinnst Du. Jetzt stehe ich wieder auf der Gewinnerliste: Um ein paar Ecken gibt’s in einem chromglänzenden Diner, einem Diner, wie er sein soll und wie man ihn sich vorstellt, „Al Mac’s Diner – Justly famous since 1910“, ein wunderbares, üppiges Frühstück und ich esse, nein, ich genieße, nein, ich zelebriere „Al Mac‘s Omelett“, frisch für mich persönlich zubereitet und von Luanne mit tänzelnden Schritten zu mir an den Tisch geliefert – okay, ich komme wieder runter, mit einem gutmütigen hausfraulichen Lächeln zu mir an den Tisch gebracht. Ein ebenso verschwenderisches wie riesiges Gemüse-Omelett aus vielen Eiern, frischem Gemüse und genauso viel Käse darüber. Wahrscheinlich mußte ein Sechserpack Eier dran glauben. Dazu wundervolle Bratkartöffelchen, Toast, Marmelade. Kaffee ohne Ende. Eiswasser. Eben alles, was ein Mann nach solch einer Nacht so alles braucht. Jedenfalls zu einem guten Frühstück. Das reicht bestimmt für drei Tage nicht mehr essen, obwohl ich es noch nicht einmal ganz schaffe alles aufzuessen.
Dazu bekomme ich meine liebste Lieblingsmusik serviert: Monkeys, Stones, Beach Boys usw. Halt Sixty Music. Als wäre ich gar nicht vom Moped abgestiegen. Dabei weiß ich gar nicht, wie ich überhaupt hierherkommen konnte. OK, ich war auf der Suche nach einer Tankstelle. Zuhause auf Google Earth erkenne ich erst meinen leicht verschlungenen Weg hierher.
Danach tanke ich endlich gegenüber, ich bin schon einige Zeit auf Reserve. Die Kreditkarte funktioniert einwandfrei. Ist halt in jedem Staat anders.
Auf der Weiterfahrt sehe ich plötzlich und unerwartet ein paar graue Museums-Kriegsschiffe, die hier für immer festgemacht haben. Ich stelle das Moped ab und sehe sie mir vom Ufer aus an. Ich kann nur sagen: Faszinierend. Trotzdem, wie alles Kriegsmaterial, für mich obszön und pervers. Unter anderem liegt hier das (angeblich sehr bekannte) „Battleship Cove“. Die aufgerichteten riesigen Rohre der schweren Geschütze des Schlachtschiffs erinnern mich an erigierte Phalli. Daneben liegen ein Zerstörer, ein U-Boot – und, ja, recht merkwürdig, die „Hiddensee“, eine Korvette der ehemaligen DDR-Volksmarine.
Das Navi war inzwischen fleißig und hat für mich wieder ein paar schmale kurvige Straßen herausgesucht, die viel Spaß beim Wedeln machen. Die Reifen knabbern das Gras am Innenrand der Kurven ab. Und dann, plötzlich, mittendrin ein Stück „Dirty road“, also unasphaltierte, staubige Straße. Ich finde ja immer meine Spezialstraßen. Heute Vormittag kann ich mich genügend austoben.
Eins meiner heutigen Zwischenziele ist Plymouth. Hier landeten im Jahre 1620 die berühmten Pilgerväter, die ersten Siedler aus England. Es gibt einen Gedenkstein und eine originalgetreue Nachbildung der Mayflower, ihres Schiffes. Das Schiff wirkt ziemlich klein.
Plymouth (Massachusetts) – Wikipedia
Weiter geht es auf der autobahnähnlichen US 3 durch Boston und dann auf der schmalen 127 nach Gloucester und dann auf der US 1A und US 1 weiter. Ja, es gibt auf beiden Seiten der USA einen „Highway 1“, hier an der Ostküste von ganz unten bis ganz oben an der Atlantik-Küste entlang. An der Westküste von kurz unterhalb von Los Angeles bis an die kalifornische Grenze am Pazifik entlang; danach heißt er dann Highway 101.
Logisch, die Orte hier an der Küste sind die ältesten, alle mit einer 16 oder 17 vorne in ihrem stolz verkündeten Gründungsjahr.
Weil ich direkt daran vorbeikomme, sehe ich mir noch die Wohnmobilvermietungsstation in Rowley an, wo wir vor ein paar Jahren unser Wohnmobil gemietet hatten. Und dann noch den kleinen Statepark in Hampton Beach, wo wir damals, in der ersten Nacht, während eines heftigen Sturms übernachtet haben.
Die Straßen sind immer noch so schlecht wie damals, mein Pferd schüttelt mich kräftig durch.
Ich komme nach New Hampshire und darf endlich für die nächsten Tage meinen Helm erneut wieder abnehmen. In Salisbury ist unheimlich viel los. Man könnte auch an der englischen Südküste in einem dieser schrecklich überlaufenen Touristenorte sein.
Jetzt wird es langsam Zeit, ein Zimmer zu suchen. Die ersten Motels gefallen mir nicht, hier ist mir auch noch viel zu viel los. In Hampton sehe ich dann ein BestWestern, es ist sechs Uhr. Kenny in der Registration fragt mich, „ob ich zu der Gruppe gehöre“ und ich antworte einfach mal wieder mit einem freundlichen „Yes, Sir“. Hat ja schließlich gestern schonmal gut geklappt. Und es funktioniert auch jetzt! Ich kriege es tatsächlich etwas billiger, zehn Dollar, zum „Gruppenpreis“. Immerhin. 115 Dollar statt 125 Dollar. Endpreis einschließlich Steuer ist dann allerdings happige 128 Dollar.
Mein Zimmer liegt wunschgemäß im ersten Stock und ist blitzsauber, mit ordentlichem Safe und allem drum und dran. Balkontür geht auch auf. Sogar einen Stuhl und einen Sessel gibt es. Minibar. Alles eigentlich selbstverständlich, aber nach der letzten Nacht eben doch nicht. Eine kostenlose Flasche Trinkwasser. Gehört sich ja auch. Ich bin zurück in der Zivilisation. Ich nehme erstmal eine schnelle lauwarme Dusche.
Ein riesiges, sauberes, einladendes Bett mit genügend Kissen.
Ich laufe ein Stück in die Stadt zurück und esse in Lamie’s Inn, draußen auf dem Patio sitzend, einen bedauernswerten armen roten kleinen Lobster mit Baked potatoe und einem Maiskolben. Ja, schlimm. Ich schäme mich mal wieder meiner Gier wegen. Während der arme kleine Kerl totgekocht wird, sitze ich ganz gemütlich draußen in der Abendluft und esse selbstgebackene Brötchen mit wunderbarer salziger Butter. Wenn ich es hätte machen müssen, hätte ich ihn jedenfalls nicht ins kochende Wasser schmeißen können. (Ich hätte ihm stattdessen die Freiheit geschenkt und ihn zurück ins Meer geworfen.) Erträgliche 34,50 Dollar mit zwei Bier. Ich bedaure, daß Ingrid nicht dabei ist, sie liebt Lobster noch mehr als ich.
Schade, ich habe mich vorhin beim Vorbeifahren nicht dazu durchringen bzw. schnell genug entscheiden können, aber das hier ist auch ein Motel und es wäre bestimmt auch nicht teurer gewesen. Aber ich bin im BW ja auch außerordentlich zufrieden.
Zur Strafe (für den verzehrten Lobster) bekomme ich von seinen Freunden ein paar heftige Moskitostiche in die Haut gepiekst, durch die Kleidung, ich weiß nicht, wie sie es machen. Die Stiche sind schlimm und jucken später noch tage- und nächtelang.
Eigentlich wollte ich ja den Lobster auf Uwes Empfehlung erst in Portland auf dem Pier verspeisen. Aber dort kann ich ja vielleicht nochmal…
Wieder hatte ich den ganzen Tag Sonne, hier am Meer war es logischerweise etwas kühler, nicht ganz so heiß.
Befriedigt genehmige ich mir eine fröhliche Zigarre auf dem Nachhauseweg. Meine Wäsche muß noch gewaschen werden. (Ja, endlich habe ich mal nicht so viel Wäschekram eingepackt. Mit dem Nebeneffekt, daß ich wohl ein, zweimal unterwegs schmutzige Wäsche waschen muß.) Um halbelf ist alles erledigt und ich schlafe beruhigt ein.
Montag, 26. August 2013
Hampton, NH – Rumford, ME
173,5 Meilen
Heute bekomme ich keine sonnige Begrüßung, es ist trüb. Ich habe unnötigerweise auf die entsprechende Lage meines Zimmers (nach Osten) geachtet. Um halbsieben stehe ich auf.
Ich habe wieder saugut geschlafen. Ohne Ekel und Würgereiz erzeugendes Konglomerat aus Schweinestallgestank und penetrantem Wunderbaummief.
Es gibt ein ausgiebiges Hot Breakfast. Pünktlich zum Frühstück fängt es zu regnen an. Ich vermeide es schon die ganze Zeit geflissentlich, den Wetterbericht in einem der vielen Fernseher anzuschauen. Ich muß es ja sowieso nehmen, egal wie’s kommt und will es vorher gar nicht wissen.
Heute geht es ohne Helm weiter. Vorsichtshalber ziehe ich die grünen Turnschuhe an. (Wegen des Regens, sonst genügen mir ja meine allseits bekannten hinten offenen braunen Reise-Allzweck-Schlappen.)
Ich habe über Nacht umdisponiert. Irgendwie wird die Zeit knapp. Highway 1 weiter nach Norden hoch mit Portland und Acadia NP wären schön gewesen, kenne ich aber auch schon. Deshalb kürze ich deutlich ab, um dafür lieber neue Gegenden zu erforschen. Bangor muß ich leider auch canceln.
Als ich gegen neun Uhr endlich abfahre, hat der Regen aufgehört.
Kurzer Stopp im LL Bean-Outlet, ist mir aber alles zu teuer, kaufe nichts.
Bald klart es auf und es wird wieder warm. In Portsmouth scheint die Sonne schon wieder. Ich fahre über die Memorial Bridge. Ungewöhnliche Brücke: Hier wird der Mittelteil an vier Pfosten waagerecht hochgehoben.
Memorial Bridge (Portsmouth, New Hampshire) – Wikipedia, the free encyclopedia
portsmouth bridge – Google-Suche (Fotos)
Ein Passant erzählt mir, daß die Drawbridge („Zugbrücke“, eigentlich müßte man sie ja „Hebebrücke“ nennen), nach langem Umbau erst seit zwei Wochen wieder geöffnet ist. Auch hier werde ich wegen meines NJ-Nummernschildes wieder gefragt, ob ich aus New Jersey komme. Dabei ist NJ gar nicht so weit von hier. Nach meiner Antwort „From Germany“ machen sie dann aber große Augen – und glauben es mir wahrscheinlich erst gar nicht.
Beim Tanken meint Mabel, “Good time for travelling a bike”. Stimmt, ich fühle mich wohl und bin glücklich. Ich könnte jeden Tag jubeln und manchmal sogar jubilieren. Eine wunderschöne Reise! Hoffentlich bleibt es so.
Die Grenze nach Maine wird überquert. Ich habe bisher auf der ganzen Tour erst drei GoldWings gesehen. Dagegen unzählige Harleys. Und jetzt immerhin schon zwei versteckt auf Temposünder lauernde Sheriffs.
Es gibt wieder reichlich ländliche Landstraßen und jede Menge Seen zu sehen. Gestern gab es schrecklich viel Verkehr an der Küste, Autos wie Motorräder, aber es war auch ein Superwetter und dazu Wochenende. Heute läuft wieder alles normal und deutlich ruhiger.
Eine Straße ist mal wieder wegen Bauarbeiten gesperrt. Die Umleitung erscheint mir im Navi etwas weit. Deshalb probiere ich es einfach und fahre durch die Absperrung und – ja, mein Mut wird belohnt, ich komme durch, meine Straße ist durchgehend neu asphaltiert. Alle andern nehmen den weiten Umweg. Feiglinge. Keine Eier in der Hose.
Wieder ein WalMart, wieder kein Hut für mich.
Dreimal muß ich später wenden, weil die Dirty roads mittendrin zu miserabel, also zu rutschig/schlammig werden oder sogar mit einer Schranke gesperrt sind. Einmal wird sie sogar zu einer Privatstraße, videoüberwacht, Durchfahrt streng verboten! Im Wald! Die Amis spinnen.
Endlich erreiche ich das nächste Zwischenziel, das weltgrößte Telefon an der Post in Woodstock. Nein, nicht das Woodstock.
„World’s largest Telephone“, 14 feet, also über vier Meter hoch. (Danke, Petra, für den Tipp. Du weißt halt, was ich brauche. Du machst mich immer wieder glücklich!)
Dann sind es nur noch ein paar Meilen bis nach Rumford zu Paul Bunyan, wo wir vor zwei Jahren schonmal waren. (Den „richtigen“ Paul Bunyan in Bangor mußte ich ja schon von meiner Liste streichen. Leider. Ich werde ihn wohl nie mehr zu sehen bekommen.)
Der Wasserfall ganz in der Nähe ist unverändert. Ich frage in der Chamber of Commerce nebenan nach und habe etwas Glück, sie wollen erst in fünf Minuten schließen. Ungute Auskunft: Babe, der berühmte Blue Ox, neben Paul Bunyan, ist gerade und noch immer leider weg zur Renovierung. Ihn werde ich wohl auch nie leibhaftig sehen. Wirklich sehr bedauerlich.
Leider finde ich keinen seriösen Link zu Babe. Aber wenigstens ein paar Fotos:
Aber ich hatte wenigstens ein paar wirklich schöne Straßen unterwegs. Und besonders schlechte kaputte. Trotzdem steht für mich fest: Motorradfahren ohne GoldWing ist zwar möglich, aber nicht erstrebenswert. (Ja, genau, wie mit den berühmten Möpsen.)
Das mir empfohlene Motel „Blue Iris Motor Inn“ für knapp 70 Dollar (nein, es gibt keinen Nachlaß) ist okay. Und ich habe die etwas bessere Zimmerkategorie mit Veranda und Südseite bekommen. Alles hier ist alt. Sehr alt. Wie die Besitzerin. Aber wenigstens ist der Ausblick vom Balkon auf die Flußaue mit dem spiegelglatten Wasser, die Bäume und überhaupt auf die Landschaft grandios.
Und sogar ein eigenes Bad gibt es in jedem Zimmer. Alles sauber und ausnahmsweise gut in Schuß. „Altes Motel“ bedeutet nämlich sonst meistens, es ist alles kaputt und verkommen und ungepflegt. Der Fernseher ist natürlich auch schon sehr alt, aber immerhin bereits in Farbe und mit einer bereitliegenden (Funk-)Fernbedienung. Überhaupt alles alt und nicht mehr ganz zeitgemäß. Trotzdem, ein gepflegtes Anwesen, das einen durchaus guten Eindruck macht. Leider gibt es hier in dieser Gegend nur ganz wenige Motels, weit auseinander. Bei Nichtgefallen müßte ich vielleicht noch ganz schön weit fahren.
Das Wetter wird für morgen „so wie heute“ angekündigt. Heute waren es zwischen 72 und 85 Grad, also „perfekt“.
Zum Abendessen fahre ich wieder ein paar Meilen zurück und esse bei „Sam’s Italian Food“ für 8,69 Dollar sehr gute Spaghetti mit aromatischer Tomatensauce und unverschämt gutes Garlicbread statt des Meatballs. Und ein Pepsi ist auch noch dabei. Das nenne ich „fast geschenkt“. Bier gibt’s hier keins.
Zurück vom Abendessen rauche ich meine Zigarre um sieben draußensitzend auf dem Balkon, in einem bequemen Stuhl, Füße auf dem Geländer. Hier kann ich endlich mal chillen, ausruhen, entspannen, alles baumeln lassen. Es ist wirklich außerordentlich romantisch und idyllisch hier. Mit etwas Abendsonne bekäme ich sensationelle Fotos. Aber die ist hinter Wolken verschwunden.
Vorhin bin ich noch drüben auf der andern Seite des Flusses auf einer schmalen kurvigen Straße nach Rumford gesaust. Hier, an der Vorderseite des Hauses, ist sie breit und ziemlich gerade und überhaupt ziemlich glattgebügelt. Es ist die US 2, wird mir später bewußt. Deshalb fahren hier zahlreiche große Trucks. Wenn mal keine Lkw in der Nähe sind, hört man sogar die Regenwürmer singen, oder sich neue Gänge bohren. Man muß nur sensibel genug sein. Sogar die Grillen kratzen hier etwas melodischer als sonst auf ihren Streichinstrumenten herum.
Obwohl alles so alt ist, ist es trotzdem liebenswert, weil absolut nichts vergammelt ist. Auch nicht im Bad. Alle Details sind OK.
Ich kriege noch eine Folge „Dog and Beth“ mit, Beth mit den riesigen, ähm, „Dingern“, Boobs, und geh schlafen. (Beth zeigt es uns anschaulich am Original: Wer Körbchengröße D schon toll findet, sollte sich darüber klar werden, daß es weiter rauf bis Größe N geht – bevor die Einzelanfertigungen beginnen!)
Dog and Beth: On the Hunt – Wikipedia, the free encyclopedia
Wieder ein wunderschöner Tag. Was wohl Morgen kommt?
Dienstag, 27. August 2013
Rumford, ME – Conway, NH
157,1 Meilen
Ich wache um sechs Uhr morgens auf. Freundlicher Nebel hat sich über dem weiten Flußtal ausgebreitet. Ich kann alles direkt aus meinem Bett sehen. Nä, wat es dat schön! Um halbacht starte ich. Der frühe Wurm fängt den Vogel oder so ähnlich…
Leichter Dunst steigt noch über den vielversprechenden Bergen auf. Kurzer Stopp an einer einsam gelegenen romantischen Covered Bridge, etwas abseits der Hauptstraße.
Ausnahmsweise tanke ich lieber nochmal, obwohl mein Tank noch halbvoll ist. Aber heute habe ich schließlich etwas besonders vor. Breakfast um viertel nach neun in einem Diner gleich gegenüber, es ist aber nur ein normales Restaurant. Auch hier, wie fast überall, werde ich von der weiblichen Bedienung mit „Dear“ angesprochen. (Oder sagt sie in Wirklichkeit „Deer“ = Hirsch zu mir??) Ich antworte mit „Honey“. Scheint sie aber gewohnt zu sein.
Das Wetter ist längst sonnig, der Morgendunst verschwindet immer mehr. Zunächst war es ja noch etwas frisch, nur 61 Grad, und ich hatte erstmal die dicke Jeansjacke angezogen, aber jetzt kann sie schon wieder in den Abgründen des Seitenkoffers verschwinden.
Der Harleyfahrer am Nebentisch wünscht mir “Let the wind in your back and your wheels always down”.
Nicht nur, daß die Eggs Benedict nichts sind, muß ich am Ende auch noch 20,10 Dollar statt 10,10 Dollar mit meiner Kreditkarte bezahlen. Man muß halt immer aufpassen, vielleicht besonders, wenn man mit „Dear“ angesprochen wird. Ich lasse mir die zehn Dollar in bar zurückgeben.
Weiter geht es am Fluß weiter entlang. Jedes Tal hat hier einen eigenen Fluß.
Achtung, jetzt kommt eins der heutigen Highlights, ein neues Abenteuer: Eine Bergbefahrung. Mount Washington, 1.917 Meter (6.288 feet) hoch! Eine Autostraße führt Wagemutige hinauf. Das Rauffahren kostet immerhin sechzehn Dollar. Runterfahren kostet nichts…
Mount Washington (New Hampshire) – Wikipedia
mt. washington – Google-Suche (Fotos)
Die Straße windet sich langsam nach oben und wird dann unterwegs recht schmal und steil. Keinerlei Leitplanken, kein einziger Meter. Unten türmen sich zahlreiche mehr oder weniger verrostete Autowracks. Nein, ist nur Spaß! Oder vielleicht doch? Ich hab gar keine Zeit, runterzuschauen.
Zwei, drei steile Kilometer zwischendurch sind nicht asphaltiert. Warum? Weiß ich nicht! Hab keine Zeit zum Überlegen, muß mich konzentrieren!
Die Straße wird dann überhaupt anspruchsvoll. Atemberaubend. Allerdings gibt es keine Serpentinen, die kennt man ja hier in USA nicht, es gibt sie nur extrem selten – oder noch weniger. Ich kann mich nur an eine einzige erinnern und habe hier schon viele Bergstraßen befahren. Sogenannte „Hairpins“ gibt es natürlich, die haben aber mit unseren Haarnadelkurven nur wenig Ähnlichkeit. Amis könnten sie auch gar nicht fahren.
Trotzdem, die Bergstraße ist eher nichts für zartbesaitete Frauen, Kinder, Männer. Aber für die gibt’s ja die Vans, die die Leute im ständigen Pendelverkehr hoch- und runterkutschieren.
Eigentlich darf man hier nur 25 mph fahren. Und man darf nicht überholen. (Beim Runterfahren drücke ich da schonmal ein Auge zu…)
Ich habe Riesenglück, beide Züge kommen gerade hintereinander oben an. Kühl ist es. Die Luft ist hier oben dünner.
Mount Washington Cog Railway – Wikipedia
(„Cog“ heißt übrigens Zahnrad.)
Auf einem Schild lese ich, daß wir hier in den Appalachians sind. War mir bisher nicht bewußt. Aber die sind ja auch lang und ziehen sich fast durch die ganzen USA und Kanada.
Jetzt weiß ich auch, warum wir damals nicht mit dem Wohnmobil raufdurften. Das ginge gar nicht. Wäre viel zu steil. Die kämen erst gar nicht rauf. Und runter schon überhaupt nicht. Mit den hier üblichen schlechten Bremsen. Die Bremsen der GoldWing vermitteln dagegen bei der flotten Bergabfahrt ein spürbares Gefühl der Sicherheit. Sie sind einfach immer da, wenn man sie braucht.
Nachdem ich heil wieder unten angekommen bin, halte ich ein paar Kilometer weiter an der Seilbahn „Wildcat Mountain“ an. Ich will unbedingt eine Tour mit dem „Ziprider“ machen. Ich fahre dazu erst einmal mit einem Skilift ein Stück den Berg hinauf und wechsle dann hinüber. Ich werde sogleich von helfenden Händen an verschiedenen Gurten gut befestigt, dann werde ich losgelassen und sause an straff gespannten Seilen ins Tal hinunter. Das Ganze sieht erstmal etwas angsteinflößend aus, ist es aber nicht wirklich. Da könnte jede Oma mitfahren. Und die würde sich noch nichtmal in die Hose machen. Und die Zähne verlöre sie auch nicht.
Schade, viel zu schnell ist es zu Ende, und ich fahre weiter bis nach North Conway. Hier soll es viele Outletcenter geben, ich sehe aber schon wieder kaum welche. Ich interessiere mich aber auch nicht wirklich dafür. Ich will ja nur den doofen Hut kaufen, gegen die Sonne – und endlich bekomme ich hier den Hut, den ich die ganzen Tage schon suche, die Sonne ist wirklich gemein. Wenn er auch ziemlich bescheuert aussieht, bzw. mich aussehen läßt.
Ich sehe plötzlich ein paar kleine schöne bunte alte Häuser und halte für ein Foto an. Das ganze stellt sich als Themenhotel heraus, jedes Haus ist total anders eingerichtet. Das billigste freie Häuschen ist mir dann aber mit zweihundertachtzig Dollar für mich allein zu teuer. Insgesamt geht es rauf bis auf schlappe siebenhundertfünfzig Dollar. Die Nacht! Vielleicht ein Liebeshotel für One-Night-Stands…
Ich biege dann in Conway nach rechts auf den berühmten Kancamagus Highway ab und sehe gleich ein Motel: Das „Kancamagus Swift River Inn“. Mitten im Wald mit einem Schild „Zimmer frei“. Ja, wirklich, deutsch geschrieben. Wow!
Klar doch, daß ich hier nachfrage. Schon wieder romantische Lage und nicht so nullachtfünfzehn. Ich bitte um ein schönes Eckzimmer und bekomme das beste, schönste, tollste Zimmer des Hauses. Das einzige mit einem Erker, auf dem Foto ganz links.
Die Wand hinter den beiden Betten ist mit einer riesigen Wald-Tapete beklebt. Im Bad gibt es sogar ein sauberes muschelförmiges Waschbecken. Die beiden Besitzer waren in Deutschland, sogar hier bei mir an der Loreley, und haben noch sehr schöne und genaue Erinnerungen daran. Ich bekomme auch sonst alles aus ihrem Leben erzählt. Der Großvater war in den 40er Jahren lange in Deutschland, deshalb hat er sich hier ein „deutsches“ Fachwerkhaus gebaut. Es könnten Deutsche sein, weil alles so sauber und ordentlich und perfekt ist.
Zum Dinner fahre ich in die Stadt zurück und esse im NinetyNine-Restaurant, draußen auf dem Patio sitzend, Tomatensuppe, Steak mit geknobeltem Kartoffelbrei und Mais, und ein süßes Schokodessert.
Zigarre gibt’s dann später vor dem Haus. Moskitos begrüßen mich gleich, umtänzeln und freuen sich über mich. Und laben sich an mir.
Ich weiß nicht, ob ich meine zuhause geplante Route schaffe, wenn es so langsam weitergeht.
Der Tag war wieder sonnig und heiß. Auch heute durfte ich wieder ohne Helm fahren. Bin glücklich und zufrieden. Und satt.
Mittwoch, 28. August 2013
Conway, NH – Lebanon, NH
135,0 Meilen
Die Hälfte meiner Reise ist schon wieder rum. Wie schnell das immer geht.
Aufstehen um viertel vor sieben. Die Sonne wird gleich über den Bäumen des Waldes auftauchen. Ich bin hier im Kancamagus Forest in den White Mountains. Der stolzgeschwellte Hotelbesitzer fährt heute nach Boston, um dort seinen gerade frischgraduierten Sohn abzuholen.
Natürlich, passiert einem schonmal: Bei der Abfahrt behalte ich versehentlich den Metallschlüssel in der Tasche, statt ihn abzugeben. Aber, nach zwei, drei Minuten fällt es mir glücklicherweise ein, und ich wende und fahre ein paar hundert Meter zurück. Willy-nilly. Wohl oder übel. Die Hotelbesitzerin freut sich unheimlich und ist sehr erfreut, ihren Schlüssel so rasch zurückzubekommen. Ich höre und sehe, wie ihr ein Stein vom Herzen runterpurzelt.
Auf dem Kancamagus-Highway fahrend, sehe ich voraus zwischen den Bergspitzen immer mehr bösartige dunkle Wolken und mach mir ein paar Sorgen.
Ein paarmal gibt es Grund, anzuhalten und Fotos zu machen. Kleine bezaubernde Wasserfälle, eine rotbraune Covered Bridge, bizarre Felsen im Fluß, romantische Ausblicke in die Berge. Was für ein Vormittag! Die GoldWing gleitet zufrieden über die Senken und Anhöhen des Highways. Der Motor hört sich an wie eine schnurrende Katze. Oder besser, wie eine Tigerkatze. Mein Vertrauen in dieses Motorrad ist unerschütterlich, habe ich doch schon weit über 350.000 km auf mehreren GoldWings ohne jegliches Problem locker abgespult. Die schlanke Silhouette eilt durch die Kurven wie ein Berglöwe. Oft streifen die Leichtmetall-Felgen hie und da ein Büschel zähes Gras.
Man könnte es auch so ausdrücken: Die Landschaft ist da. Du mußt halt nur noch hinfahren.
Am Ende überquere ich den Kancamagus „Pass“ (2.855 feet, noch nichtmal 900 Meter) und nach kurzer Zeit bin ich schon in Lincoln. Hier besuche ich „The Flume“, eine wildromantische Schlucht mit spektakulären Holzstegen über, nein, neben brausenden Wasserfällen. Die fünfzehn Dollar sind gut angelegt. Das letzte Mal, mit dem Wohnmobil, kamen wir einen Tag zu spät und es war gerade für die Wintersaison geschlossen. Heute klappt’s endlich.
the flume – Google-Suche (Fotos)
Später halte ich an einem kleinen Vergnügungspark. „Clark’s Trading Post“. Ich habe ein paar alte Loks entdeckt. Ich bin schon wieder in einem Woodstock. Nein! Immer noch nicht das Woodstock. Hintenrum komme ich an sie ran, ohne Eintritt bezahlt zu haben.
Und weil es so einfach ist, schlendere ich jetzt, innendrin, unschuldig vor mich hinpfeifend, nach vorne zu den anderen Attraktionen. Und dann schnappt die Falle zu! Ist ja eigentlich klar, daß man mich die ganze Zeit über zig Videokameras beobachtet hat. Hätte ich mir denken können. Ein Wächter kommt und verlangt, daß ich den Eintritt (17 Dollar) sofort nachzahle. Naja, man kann es ja mal versuchen. Hat halt nicht geklappt. Peinlich ist es mir trotzdem. War eine blöde Schnapsidee. Wie es mir meine objektive Chronistenpflicht aber aufträgt, muß ich es hier halt erwähnen. Gewisse Leute in meiner Familie, ich will hier keine Namen nennen, sie wissen schon selbst, wen ich meine, gewisse Leute werden wieder höhnisch über mich grinsen. Es sind immer dieselben. Und ich höre schon ihr blödes „Das-geschieht-Dir-endlich-mal-recht!“-Gespotte…
Dafür darf ich jetzt ganz offiziell die zwei, drei Kilometer Dampfeisenbahn fahren.
Unterwegs überfällt uns „Wolfeman“, ein „einsam im Wald lebender Waldmensch“ mit seinem witzigen Fahrzeug und beschimpft uns alle über Funk. Dabei können wir doch gar nichts dafür, daß wir ihn aufgestört haben.
Dann darf ich noch Segway fahren, immer im ovalen Kreis und auch nur eine Viertelstunde lang. Mit ekligem Leihhelm! Iiiih! Ist ja auch soo gefährlich hier.
Danach besuche ich das schrägstehende „Tuttle’s Rustic House“, wo physikalische Gesetze scheinbar nicht mehr zu gelten scheinen. Als ich das hinter mir habe, fängt es zu regnen an.
Zwanzig Minuten später ist der Regen vorbei und ich kann noch „Merlin’s Mystic House“ besuchen und sehe ein Warnschild.
“Warning: If you suffer from claustrophobia, motion sickness, epilepsy, or are afraid of the dark, you will not want to enter.”
Warnung: Wenn Sie unter Platzangst, Reisekrankheit oder Epilepsie leiden oder Angst vor Dunkelheit haben, werden Sie nicht hier hineingehen wollen.
Naja, ganz so schlimm wird es dann doch nicht da drin.
Es gibt noch ein paar offene Häuser mit alten Autos, Motorrädern und alter amerikanischer Technik zu besichtigen und zu bestaunen.
Die Bärenshow will ich mir nicht antun, weil mir die armen Bären leidtun. Die chinesische Akrobatik hatte ich anfangs kurz mitbekommen, aber sie war etwas langweilig. Also habe ich jetzt das meiste gesehen und troll mich von dannen.
Es folgt der Besuch der Sculptured Rocks in Groton. Der Cockermouth River hat hier bemerkenswerte Formen aus den Steinen geschnitzt. Endlich mal wieder etwas, was keinen Eintritt kostet. Weiter oben sehe ich Menschen ins wahrscheinlich eiskalte Wasser springen. Brrr!
Heute gibt es im Radio ständig neue automatische Weather Alerts, aber ich habe Glück und bleibe trocken.
Kürzlich fuhr ich auf der östlichen US 1, gestern auf der US 2, heute auf der US 3 und US 4, alles wichtige Straßen in den USA. Merkwürdig, gleich so viele einziffrige und deshalb wichtige US-Hauptstraßen. Aber ich habe natürlich auch wieder ein paar kleinere Straßen kennengelernt.
Der Weg zieht sich. Immer noch dicke hohe dunkle Wolkenberge über den Bergen.
Später Nachmittag. Da ich unterwegs in einem kleinen Dorf gerade zwei Polizeiautos sehe, halte ich kurzentschlossen an und frage einen der Polizisten nach einem guten Motel. Hätte ich besser nicht getan, denn ich muß erst mal warten und hautnah dabei zusehen, wie eine bedauernswerte junge Frau von den Polizisten abgetastet wird, Handschellen angelegt bekommt und ins Polizeiauto verfrachtet wird. Die Umstehenden meckern deshalb heftig und tun überhaupt ihren Unmut kund, aber es eskaliert gottseidank nicht.
Dann bin ich dran und darf einen der Officers fragen. Es hilft nichts, hier gibt es wirklich nichts in der Nähe. Ich soll zwanzig, dreißig Meilen bis Lebanon, NH weiterfahren. Langsam wird es dunkel. Überall blitzt und donnert es schon.
Einschub im Dez. 2022: Lebanon. Libanon. Heute weiß ich es noch nicht. 2020, 2021 und 2022 werde ich den Libanon bereisen. Wenn mir das hier und heute jemand prophezeien würde, würde ich ihn als verrückt bezeichnen.
Um sieben finde ich endlich ein Days Inn. Natürlich teuer, trotz Triple-A kostet es immer noch unverschämte 99 Dollar plus tax.
Das erste Zimmer (212) ist zu laut und gefällt mir nicht. Beim zweiten (214) geht der Schlüssel (die Keycard) erst nicht und nach dem Umtausch bekomme ich die hintere Tür zum Balkon nicht auf. Die Tussi vom Registration Desk kommt extra mit hoch und probiert es selbst. Das sind oft Kinder, dumm, blöd und unerfahren, schlimm. Ich bekomme ein drittes Zimmer. (220.) Hier läßt sich der Safe nicht abschließen, also nehme ich später die Wertsachen mit. Sollte man ja überhaupt. Hotelsafes im Zimmer sind ja total unsicher. Aber ich werde da immer von Tag zu Tag nachlässiger. Ich bin es jetzt leid, nochmal zu tauschen und einfach des weiteren Reklamierens zu müde. Das Mädchen guckt mich jedesmal an, als käme ich vom Mond.
Zum Essen fahre ich zwei, drei Kilometer in die Stadt. „Three Tomatoes Restaurant“. Ich habe es allein wegen des Namens ausgewählt. Italienisches Lokal. (Wer hätte das gedacht?!) Ich trinke ein Moretti, ein Birra aus Italien, und ich kann dabei draußen vorm Lokal sitzen. Unterdessen erneutes bedrohliches Blitzen. Rings um mich herum. Zum Appetitabregen.
Zum Bier gibt es wunderbares selbstgebackenes Brot mit sanftem schmackhaftem Olivenöl und frisch geriebenem Knoblauch. Allein das versöhnt mich mit dem Drama, ähh, mit der Unbequemlichkeit vorhin im Motel. Ich bestelle mir eine Pizza Margerita und bekomme eine köstliche Riesenpizza, von der ich gerade mal die Hälfte schaffe. Angemessener Preis: 21,75 Dollar. Alles bekommt von mir die Note „Sehr gut“. Dieses Abendessen läßt mich alle Unbill des Spätnachmittags und des Motels vergessen. Die nette Bedienung bekommt ein saftiges Tip von mir.
In Anbetracht des Unwetters um mich herum, denke ich, daß ich vorhin vielleicht doch das Motel kurz vorher hätte nehmen sollen, aber es sah nicht allzu gut aus. Dann hätte ich einen kürzeren Rückweg. Wie man‘s macht, es ist falsch. Trotzdem, total befriedigt fahre ich zurück.
Schlecht ist, daß ich nur fünf Minuten zu spät losfahre. Das Gewitter geht unterwegs schlagartig los. Heftig. Sehr heftig! Die sprichwörtlichen Schleusen werden oben geöffnet. Gut ist, daß ich gerade noch rechtzeitig abbiegen kann und unter dem schützenden Dach einer Tankstelle Zuflucht finde. Es kommt kübelweise runter, mindestens eine halbe Stunde lang. Seitlich weht immer noch genug Wasser rein. Als es schließlich etwas nachläßt, fahr ich kurzentschlossen los, Regenjacke und Helm habe ich angezogen, und erreiche das Hotel feucht – aber immerhin nicht nass. Keine Zigarre, es gibt wie jetzt immer und besonders auf dieser Reise, nirgends einen Stuhl oder wenigstens eine Bank am Eingang.
Damit es mir nicht zu langweilig wird, fällt auch noch der Strom für längere Zeit im ganzen Hotel aus. Und meine Matratze ist auch viel zu weich.
OK, mal gewinnt man, mal verlierst Du. Dieses Motel zählt eindeutig zu den schlechten, vernachlässigten, schäbigen, runtergekommenen. Immer, wenn ich zuhause so dran denke, nehme ich mir vor, ab jetzt nur noch im Holiday Express oder vergleichbar höherwertigen Hotels abzusteigen. Aber dann gewinnt regelmäßig mein innerer hundsgemeiner satanischer Sparsamkeitsteufel. Wahrscheinlich ist es eher unwahrscheinlich, daß ich mich da noch ändern werde…
Donnerstag, 29. August 2013
Lebanon, NH – Potterville, NY
182,5 Meilen
Halb sieben. Spärliches, hmm, geiziges Continental-Breakfast. War ja zu erwarten. Schnell weg hier, hier habe ich mich sehr unwohl gefühlt, bestimmt schlechte Strahlung. Irgendwie noch negativer als kürzlich im Super8 in Somerset.
Ich muß mich jetzt der Wirklichkeit stellen und den angekündigten Drohungen des Weatherchannel ins Auge sehen. Oder es wird vielleicht gar nicht so schlimm. Egal, ich muß ja trotzdem durch und laß mich lieber überraschen.
Der Regen war noch mehrmals in der Nacht zu hören. Jetzt liegen überall Pfützen auf der Straße herum und machen sich noch immer breit. Die Sonne wird reichlich Arbeit haben, um sie verschwinden zu lassen. Der Himmel ist immer noch stark bewölkt.
Noch drei Tage bis Niagara. Ich sollte mich jetzt mal langsam ranhalten. In Niagara ist ein Hotelzimmer reserviert. (Vielleicht hätte ich die ganze Tour andersrum fahren sollen? Zuerst nach Niagara und dann nach Lust und Laune weiter?)
68 Grad F (20° C), es geht, ich kann weiter ohne Jacke fahren. Endlich wieder viele kleine Straßen. Es geht übers Land. Ich lasse der GoldWing freien Lauf und sie nutzt es sofort aus, um durch die Kurven zu räubern. Ich kann eigentlich gar nichts dafür…
Eine Brücke nach Vermont hinüber. Hier drüben ist das Benzin geringfügig teurer, besonders die beste Qualität, sie kostet immerhin schon bis zu 4,30 Dollar.
Der Flagman an einer Baustelle klopft sich auf den Kopf und macht mich damit darauf aufmerksam, daß hier Helmpflicht besteht. Zum Glück bin ich der erste, ganz vorne bei ihm. Er wartet sogar, bis ich den Helm aufgesetzt habe, bevor er die Spur freigibt. Ich habe wirklich Glück gehabt, am andern Ende lauert ein Sheriff schon auf mich. Ich mache ihm eine lange Nase. Ätsch! Nix an mir verdient!
Übrigens noch ein Wort zu hiesigen Baustellen: Vorne fräst eine Riesenmaschine den alten Belag ab. Direkt dahinter Kehrmaschine und dann die Asphaltmaschine, ein paar Walzen und ein paar Trucks mit frischem Asphalt. So macht man hier pro Tag ein paar Kilometer, ähm, Meilen neu. Später sehe ich diese Aktion auch noch auf einer Interstate. In einer Woche ist alles erledigt. Könnten sich unsere unfähigen Straßenbau-Torfnasen mal eine Scheibe von abschneiden.
Inzwischen ist es wieder wärmer, aber immer noch dichte Wolkendecke. Viele Berge mit viel Wald. Alles weiterhin sehr ländlich. Kurven und Berge „en masse“.
Hier auf dieser Reise kann ich den Songs in meinem mp3-Player endlich auch das Land zeigen, wo die meisten von ihnen gezeugt und zur Welt gekommen sind.
Um 11:15 Uhr bin ich bei Ben & Jerry‘s. Eintritt für mich nur ermäßigte drei Dollar (weil über 65) statt der normalen vier. Ich bekomme die letzte Karte für die nächste Tour um 11:30 Uhr und die gleich in ein paar Minuten startet.
Erst müssen wir uns alle einen Werbefilm ansehen, in dem das soziale Engagement der beiden früher bestimmt sehr lässigen Firmengründer ausführlich beschrieben wird. Dann dürfen wir alle, oben stehend, von einem gläsernen Gang aus, einen Blick in die Fabrikation unten werfen. Man sieht Maschinen, Rohre, Verpackungsapparaturen und vier, fünf lebendige Mitarbeiter/innen.
http://www.benjerry.com/ (englisch)
Endlich ist es dann soweit, jeder bekommt die heißersehnte kostenlose Probe. Ach, die sind aber klein! „Becher“, fast so winzig wie Fingerhüte. OK, für große Finger. Jeder nur einen! Eigentlich…
Jeden Tag wird hier ein anderer Geschmack produziert. Heute Rasberrie. (Himbeer-Eis). Wer mich kennt, wird ahnen, daß ich zum Schluß drei ergattert habe. (Man muß das erste Eis schnell essen und sich dann halt nochmal, dabei unschuldig schauend, anstellen. Besonders Mutige können es gleich nochmal versuchen.) Naja, bevor das Eis schlecht wird und weggeworfen werden muß…
Dann draußen noch ein „kleiner“ Cone mit Vanilla für 4,25 Dollar. Geschätzte fünftausend Kalorien später fahre ich um halbeins weiter. Ich darf jetzt nicht mehr weiter rumtrödeln. Weiter geht’s durch Ben-&-Jerry-Land. Die GoldWing erledigt ihre Arbeit souverän und klaglos.
Mit dem Helm auf dem Kopf werden meine Ohren wenigstens nicht dauernd vom Lärm der zahlreichen Harleys malträtiert oder zerfetzt.
Ich stelle es immer wieder fest: Amis können keine Kurven fahren, in jeder wird erst einmal gebremst. Das geht einem irgendwann auf den Sack, ähm, sorry, auf die Nerven. Also muß ich besser vorher noch schnell überholen. Man muß ihnen ja schließlich mal zeigen, wie korrekte Kurventechnik geht…
Auch heute gibt es wieder dauernd die doofen Weather Alerts im Display des Navis.
Ich habe es schon oft geschrieben: US-Landstraßen, Highways und auch viele der amerikanischen Autobahnen sind oft unglaublich holprig und führen in der Regel dazu, daß die Leute früher oder später ihren Orthopäden duzen. Aber es gibt hier genug Chiropraktiker. In jedem Dorf sieht man ihre Werbeschilder. Einfach überall. Kein Wunder, bei solchen Straßen.
Die Sitzheizung am Moped ist immer noch recht schwach, man kann sich nichts (männliches) verbrennen. Manchmal ersehne ich mir da etwas mehr Power, wenn es draußen kühl ist. Die Griffheizung reicht aus und wird meistens auf die unterste Stufe runtergeregelt.
Ab und zu gibt es mal ein Stück gute Straße mit schönen Kurven, sodaß ich es mal wieder krachen bzw. die Fußrasten kratzen lassen kann. Aber man sieht jetzt auch öfters Sheriffs, die hinterlistig im Gebüsch versteckt auf Temposünder lauern oder einem einfach auf der Straße entgegen kommen, gerne umdrehen, einem nachfahren und abkassieren. Bis jetzt habe ich auf meinen USA-Touren immer wahnsinnig viel Glück gehabt. (Nur einmal nicht, aber das war ein schwuler Indianer, mit dem ich nicht reden konnte.)
Vermont hat besonders schlechte Straßen. Jedenfalls entsteht bei mir dieser Eindruck. Zum Glück ist es schnell durchquert. Sympathischer Name, wenn er vom Navi ausgesprochen wird. Erinnert mich immer an jemanden, den ich gut kenne. Aber die Straßen…
Längst ist es sonnig und warm. Das Fahren macht einfach nur Spaß – und immer gute Laune. Wenn es die GoldWing nicht schon gäbe, man müßte sie dringend erfinden!
Es stimmt halt: GoldWing – Motorcycle of my heart. Andere haben eine Königin der Herzen, ich liebe dieses Motorrad.
Eine Fähre über den Hudson kostet fünf Dollar. (Immerhin ist die „The Ticonderoga Ferry“ eine der ältesten Fähren in ganz Nordamerika, schlappe 254 Jahre alt; sie sieht aber etwas jünger aus.)
Ich bin jetzt wieder in New York State. Beim Blick zurück nach Vermont hinüber sind jetzt viele hohe Berge dort zu erkennen. Vor mir auch, aber ich bin ja auch Adirondack Mountains. (Wie man die ausspricht? Uwe sagte es mir kurz vorher, er war schon dort. Danke Uwe. Jetzt muß ich mich nicht mehr blamieren: „Eddi-ron-däcks“. Betonung auf „ron“.)
Hab ich bisher noch nie von gehört und jetzt bin schon mittendrin und nicht nur in der Nähe.
Als nächstes besuche ich den „Natural Stone Bridge & Caves Park“ in Pottersville, nur 13 Dollar, da ich mit dem mitgebrachten Gutschein aus dem Internet einen Dollar Nachlaß erhalte. Wie immer, naja, OK, wie meistens, ich habe wieder Glück, die Sonne kommt hier extra für mich und meine Fotos raus.
Als ich mit der Besichtigungstour fertig bin, ist es halbsechs, ich bin etwas müde und ich nehme mir fest vor, diesmal das erste Motel zu nehmen, das kommt – und wenn es noch so schlimm aussieht. An der nächsten Kreuzung ist schon eins und ich frage auch brav nach einem Zimmer. Ich halte schließlich meine Versprechen und Vorsätze. Es ist 17:45 Uhr. Normalerweise wär ich hier vorbeigebrettert.
„Lee’s Corner Motel“. Sehr einladend sieht es hier nicht gerade aus, trotzdem muß ich es nehmen, ich habe es mir ja fest versprochen. Immerhin steht vor vielen Zimmern wenigstens ein Stuhl. Exakt achtzig Dollar. Schon wieder etwas teuer für so eine Bruchbude. Kein Nachlaß. Dabei habe ich doch früher oft nur so um fünfzig bezahlt. Das Zimmer ist wie in all diesen billigen Privatmotels, sie sind alle gleich. Tür und Fenster nach vorne, Badezimmer mit winzigem Fenster nach hinten raus. Uralter Fernseher. Ekliger Teppichboden. Scheußliche Tagesdecke auf dem Bett. Überhaupt alles etwas vorsintflutlich und vernachlässigt. Ist ja klar.
In der Abendsonne fahre ich ein kleines Stück in den Ort und esse im „Black Bear Restaurant“ das Special, den „Papa Bear Burger mit allem“ mit ein, zwei Corona. Muß heute sein. An der einzigen Tankstelle gab es nur Sixpacks. Hab ich keinen Platz im Topcase für. Meine Erkenntnis: Dieser hier ist mein schlechtester Burger aller Zeiten. (In einer Bewertung lese ich später zuhause zu diesem Lokal: „Beware of the Black Bear!“ Aha, andere Leute haben hier auch schlimme Erfahrungen gemacht.)
Hier in der Kneipe sitzen ein paar alte Männer; schon komisch der Dialekt, den ich hautnah mitbekomme und doch nicht verstehe.
Etwas Gutes hat das Abendessen dann aber doch noch, es setzt nicht an, es ist sozusagen kalorienarm, denn es ist gleich wieder draußen. In flüssigem Aggregatzustand…
Trotzdem genehmige ich mir danach meine Abendzigarre. Ganz in Ruhe. Immer noch lässige 85 Grad (27 C°) um acht Uhr abends.
Immer noch keine Abendröte erlebt. Morgenröte auch nicht. Bleibt auch so.
Schlecht ist, daß mir nachts beim Umstöpseln das Samsung-Handy aus der Hand rutscht, auf den Fliesenboden knallt und sich nicht mehr laden läßt. Gut ist, daß es inzwischen fast vollgeladen ist und der mp3-Player da drin bestimmt noch zwei Tage lang durchhält. (Musik, meine Musik, ist mir sehr wichtig beim Motorradfahren. Und unersetzbar wie ein verlorengegangener Badewannenstöpsel beim Baden. Ohne geht gar nicht!)
Noch besser ist, daß ich auch noch das aufgeladene i-Phone (für Notfälle) dabei habe und daher auch für den Rest der Reise bestens mit Musik versorgt bin. Meine Freunde in der iTunes-Abteilung warten schon lange darauf, rausgelassen zu werden und mir endlich mal wieder aufspielen zu dürfen.
(Ein bißchen ärgere ich mich ja trotzdem über mich und meine Blödheit. Aber zuhause stellt sich raus, daß das Handy gar nicht kaputt ist, nur das doofe Ladekabel. Gibt’s für schlappe EUR 1,99 bei ebay.)
Freitag, 30. August 2013
Potterville, NY – Brockville, Kanada
226,5 Meilen
Gottseidank, die Sonne scheint frühmorgens zu mir ins Zimmer. Aufstehen um viertel vor sieben. Mein Ironhorse mit dem blauen Plastikfell erwartet mich schon ganz aufgeregt und scharrt bereits wie jeden Morgen erwartungsvoll mit den Gummirädern. Sämtliche Fußrasten zittern. Frühstück gibt’s hier natürlich keins. Das gestern Abend empfohlene Deli hat noch zu. Ins Black Bear will ich aus leicht vorstellbaren Gründen nicht nochmal.
Abfahrt um kurz vor acht. Sofort bekomme ich wieder kleine Straßen mit vielen Kurven präsentiert. Die Wolken hängen heute tief. Angeblich ist hier die Quelle des Hudson River:
Frühstück erhalte ich gegen zehn in Long Lake im gleichnamigen Diner. Wieder Eggs Benedict. Die habe ich zum Frühstück halt einfach gerne. Sind hier aber auch nicht so besonders. Schließlich gehört Sauce Béarnaise darüber – und nicht nur einfache Holländische oder gar schäbige Mayonnaise-Sauce.
Endlich ist auch Frau Sonne wieder hinter den Wolken hervorgekrochen. Ich komme an einem See vorbei. Zwei Wasserflugzeuge stehen an einer Hütte am Ufer. Deshalb mache ich hier kurzentschlossen einen kleinen Rundflug. Es gibt zwei kleine alte 172er Cessna-Wasserflugzeuge. Tom tuckert mit mir erst ein Stück auf den See hinaus und unter einer Brücke durch, um dann endlich zu starten. Auf dem Wasser! Wasser kann ganz schön hart sein. Habe ich bisher noch nicht so erlebt. Auf der normalen Startbahn kann ja jeder. Da kommt auch der kürzlich erlebte Flug zuhause mit dem winzigen Tragschrauber nicht mit. Obwohl, der war auch durchaus nicht schlecht.
Tom fliegt eine große langgezogene Acht und ich sehe, wo ich vorhin herkam und wo ich gleich hinfahren werde. Alles Wald und mindestens dreitausend Seen unter uns. Und Sumpf. Viele putzige und fleißige Biber soll es da unten geben.
Ich werde wieder an meine eigenen Flugversuche Mitte der siebziger Jahre erinnert. Schade, daß ich meinen PPL-Schein damals nicht erworben habe. Aber die Lizenz meines Freundes hat uns beiden ja genügt. Viel zu schnell landen wir wieder auf dem holprigen See und propellern zurück an unseren Landesteg.
Es ist High Noon, zwölf Uhr, als es endlich auf dem Moped weitergeht. Hier in der Nähe, gar nicht mal so weit entfernt, liegt Lake Placid. Ja, Olympische Winterspiele vor zig Jahren.
Breite gute Straße, neu geteert, da macht es Spaß, etwas mehr Gas zu geben. Da ein Vorreiter vor mir fährt, der bestimmt einen Radarwarner hat und der sich hoffentlich auskennt, bleibe ich hinter ihm, auch wenn der Tacho öfters 80 mph „plus tax“ (statt erlaubter 65) anzeigt.
Außer an den ersten beiden Tagen sehe ich jetzt jeden Tag am Straßenrand Polizeiautos mit blitzenden Lichtern, arme unschuldige Autofahrer abkassierend. Einmal ist sogar ein braver Motorradfahrer dran. Der Arme! (Nicht geldmäßig arm, ich meine das immer im Sinne von „bedauernswert“!!)
Nur Trucks habe ich noch nie in solch einer Situation gesehen! Die dürfen sich offensichtlich etwas mehr erlauben. Nun ja, George Orwell (Farm der Tiere) hat es schon so geschrieben: Alle sind gleich, aber ein paar sind halt gleicher…
Vor der kanadischen Grenze, in Malone, frage ich einfach mal eine Frau. Ja, Benzin ist hier deutlich billiger als drüben in Kanada. Sie empfiehlt mir auch gleich eine Tankstelle; es soll die billigste im weiten Umkreis ein.
Ich bezahle hier 3,71 Dollar für die Gallone der billigsten Qualität. Kurz vor der Grenze sehe ich ein Spielcasino und noch eins. Also Indianergebiet. Richtig.
Dann kommt schon die Grenze nach Kanada hinüber. Eine gewaltige Riesenbrücke, nein, zwei hohe stählerne Brücken hintereinander, sehr hoch, eigentlich wie die Köhlbrandbrücke in Hamburg, nur nicht so gebogen. Oder wie die Golden Gate, nur in grau. Die „Seaway International Bridge“ nach Cornwall, Kanada, hinüber. Maut kostet 3,25 US-Dollar. Der Typ an der Tankstelle vorhin vermutete, daß sie kostenlos ist. OK, er war offensichtlich noch nie in Kanada. Amis sind oft so dumm, ähm, unwissend; sie wissen echt wenig über ihre direkte Umgebung.
Seaway International Bridge – Wikipedia, the free encyclopedia
seaway international bridge – Google-Suche (Fotos)
Erst umständliche Paßkontrolle am Häuschen, (warum gucken die sich eigentlich immer alle Stempel an?), dann ein zweiter Stopp an den Bürogebäuden der Immigration Control. Langwierig und ausführlich. Ich werde nach allem möglichen gefragt. Waffen, Alkohol, (und ich wollte vorhin an der Tankstelle noch ein, zwei Flaschen leckere süffige Mikes Lemonade mitnehmen, es gab aber ausschließlich Sixpacks), ob ich über 10.000 Dollar dabeihabe, (ha, ha, ha), Tabak. (Meine Handvoll Zigarren werden angeblich irgendwo eingetragen und registriert). Ob ich in Deutschland oder anderswo Probleme mit der Polizei oder den Zollbehörden gehabt habe und wirklich vieles mehr. Und auch viel mehr als bei der üblichen Immigration in die USA am Airport. Fehlt nur noch, daß er fragt, warum ich einen orangenen Pullover anhabe oder sonst einen Quatsch. Gepäck wird aber nicht überprüft, alle Koffer bleiben zu, man glaubt mir. Ich muß mit anderen Leuten erstmal auf der Armesünderbank Platz nehmen und warten. Alle Angaben werden inzwischen eifrig überprüft. Der Officer kann gar nicht verstehen, daß ich nur für einen Tag einreise.
Trotz allem, zum Abschluß bekomme ich endlich den ersehnten Stempel in den Paß. Dann darf ich weiter, meine Leidensgenossen auf der Bank müssen noch bleiben. Der letzte Officer würgt erst dran rum, ruft mir dann aber doch noch ein wahrscheinlich nicht ernst gemeintes “Have a safe trip“ hinterher. Ob er seiner Familie heute Abend von dem „Fucking German on a Motorcycle“ erzählen wird?
Dabei sieht es in den Filmen doch immer so einfach aus, über die Grenze zu kommen. Aber die Leute hier sind halt schließlich genauso kleingeistig wie überall in den USA. Sie sind auch noch nie irgendwo anders hingekommen. Warum soll es hier in Kanada anders sein? Daß man von weit herkommt und einfach nur so zum Vergnügen herumreist, kaum vorstellbar für hiesige Menschen.
Hier in Kanada gibt es alles, was es drüben auch gab. WalMart, McDonald’s, BurgerKing, Subway, die ganzen Motels, alles wie in den USA. Überhaupt ist hier alles wie bisher, nur sauberer, ordentlicher, nicht so kaputt. Weiterer sofort markant auffallender Unterschied: Auf den Schildern stehen jetzt Kilometer.
Die Straße ist hier deutlich besser, überhaupt alles. Drüben war es zum Schluß besonders erschreckend, viele Farmhäuser waren zusammengebrochen. Die Straßen schon die ganze Zeit katastrophal schlecht. Hier dagegen sind die Farmen alle OK, nur ein Haus stand unterwegs zum Verkauf. Die Häuser, Geschäfte und kleinen Plazas, Malls, Orte, Städte, Straßen, alle einwandfrei. Mit einem Wort: Alles prosperiert.
Zuhause stelle ich fest: Benzin kostet hier ab 1,30 CAD (Kan. Dollar) der Liter. Das ist umgerechnet ca. 0,95 EUR pro Liter.
USA: Bei günstigen 3,70 per amerikanischer Gallone entspricht das ebenfalls ca. 0,95 EUR pro Liter. (Ich habe aber auch 3,85 US-Dollar bezahlt.) Im Prinzip also fast gleich. Da hätte ich besser erst gar nicht gefragt. Leider vernachlässigte ich das elfte Gebot: Du sollst nicht immer alles glauben! Ich sage doch immer, wie ich’s auch mache, es ist falsch.
Fette, schwere Canadian Geese, kanadische Gänse, die ich ja an sich gerne mag, watscheln überall herum und sind putzig. Wenn ich aber mal anhalte, sehe ich, daß sie überall ihre dicken fetten unübersehbaren Hinterlassenschaften hinterlassen haben. (Zuerst dachte ich noch an Hundekot…)
Vorhin habe ich ihn als Grenze überquert, jetzt fahre ich in Richtung Westen an ihm entlang: Der berühmte St. Lorenz-Strom. Leider sehe ich kein einziges Schiff, keinen einzigen Tanker auf ihm und werde auch keins und keinen sehen. Ich dachte immer, die führen hier.
Sankt-Lorenz-Strom – Wikipedia
Außerhalb darf man 80km/h fahren, etwa 50 mph, also auch nahezu wie drüben. Einziger Unterschied: Hier halte ich mich lieber erstmal so ziemlich dran. Ich weiß ja noch nicht, wie das hier überwacht wird.
Himmel stark bewölkt. Schade, hier zeigt das Navi keine Wetterinfos. Aber immer warm, über 80 Grad. Wie jetzt jeden Nachmittag tröpfelt es etwas, nur um mich zu ärgern. Aber es ist nie so stark, daß ich mir etwas anziehen müßte.
Ich nehme statt der Autobahn den parallelen Highway 2. Deshalb kann ich dann auch ein paar Minuten später auf den „Long Sault Parkway“ abbiegen, der über eine Reihe (zehn) kleiner Inseln führt und später wieder auf die 2 zurückführt. In den 50er Jahren wurde hier weiter flußabwärts der Fluß gestaut und ein paar Städte/Dörfer wurden überschwemmt, damit hier große Schiffe fahren können.
Long Sault Parkway – Wikipedia
Unterwegs sehe ich in Morrisburg eine ganze Reihe Murals – große Wandmalereien.
In Brockville mache ich Station zum Übernachten. (Endlich mal ein Ortsname, den es vielleicht nur einmal gibt. Sonst gibt es ja jeden Ort zigmal im Navi.) Im „The White House Inn“ mache ich gegen sechs Uhr halt. Erst will der Typ 153 kanadische Dollar (CAD). Ich kann ihn auf 120 und dann letztlich auf 100 US-Dollar (cash, bar, versteht sich) runterhandeln. (Sieht aus, als wäre er der „Chef vons Janse“. Ich versäume es, ihn danach zu fragen. Später sehe ich ihn nicht mehr.) Kein Receipt, keine Quittung. Logisch. Brauch ich auch nicht. Im Internet sehe ich gleich mal nach: 100 US-Dollar sind 105 CAD, also schnell mal 5% zusätzlich verdient.
Das Zimmer ist einwandfrei, wirklich sehr ordentlich. Und muffelt noch nicht mal. Welch eine Wohltat. Ganz im Gegenteil, alles vom Feinsten. Endlich mal wieder ein Flachbildfernseher mit schlappen 42″ und nicht so ein hässliches Monstrum, das den halben Raum braucht und mir viel Luftraum bzw. die meiste Atemluft wegnimmt. Mit Blick zur Waterfront, aber es ist nur wenig vom St. Lorenz River zu sehen. WiFi gibt’s auch endlich wieder. Im Bad gute Pflegeprodukte. Und als Krönung ein Stuhl vor dem Zimmer.
Schilder weisen darauf hin, daß das hier demnächst umgeflaggt und ein Super8 werden wird. Aber die sind ja meistens OK. Ich habe schon öfters durchaus akzeptable Super8-Zimmer gehabt. Bisher hat das Motel zu BestWestern gehört, aber die Schilder sind alle überklebt.
Zum Abendessen fahre ich zwei, drei Meilen in den Ort an den Sporthafen zu „Buds on the Bay“ und nehme oben auf dem Patio Bud’s recommendation (Bud’s Empfehlung) an, nämlich seinen „Bud’s best Burger“ mit Suppe und einem Corona. Mehr geht nicht. Hoffentlich darf man hier überhaupt mit Alkohol im Blut fahren.
Wie so oft finde ich Geld auf dem Parkplatz, eine kanadische Zwei-Dollar-Münze. Immerhin. Und besser als die kleinen Münzen, die man sonst überall findet.
Wie der Burger geschmeckt hat? Nun ja, kurz und prägnant: Die bei McDonald‘s usw. schmecken doch erheblich besser. Ich hoffe, daß ich ihn auf die übliche, normale Weise und über Nacht verdauen werde. 20,93 CAD.
Unglaublich, der Unterschied zu USA. In Kanada sieht es doch erheblich besser aus. Jedenfalls hier in der Gegend. Das ist ja wie warm und kalt, wie Engelchen und Teufelchen. Vielleicht sollte ich mein Lieblingsurlaubsland wechseln? Montreal hat man mir ja sowieso schon mehrmals empfohlen.
Endlich darf ich mal wieder eine ganz entspannte Zigarre vor einem blitzsauberen Zimmer rauchen. Es ist um neun Uhr abends immer noch über 25 Grad warm.
Der Abend ist diesmal ganz besonders gemütlich, keine Lkw, die vorm Motel hin- und herfahren, noch nicht einmal Autos sind zu hören. Das Leben ist schön. Bis auf die wieder mal etwas nervenden Moskitos.
Nebenbei, man kriegt es ständig mit, mehr oder weniger, meistens eher mehr: Amis bewundern deutsche Autos und kennen meistens die „German Autobahn“. Sonst wissen sie aber oft nichts von Deutschland.
Schlechte Nachricht für morgen: Auf allen Wetterkanälen wird Regen angekündigt. Um elf mache ich das Licht aus.
Samstag, 31. August 2013
Brockville, Kanada – Niagara, Kanada
283,2 Meilen
Ich habe himmlisch geschlafen. Leider behalten die doofen Wetterleute recht, es nieselt. Kein richtiger Regen, aber zum Ärgern reicht es immerhin. Man könnte aber auch sagen: Schlecht ist, daß es regnet. Gut ist, daß es nur tröpfelt.
Trotzdem, um 6:45 Uhr wird aufgestanden. Das Breakfast ist OK. Danach regnet es heftiger, ich habe extra Regenjacke und meine wasserdichten Schuhe angezogen – weil dann der Regen meistens weniger wird oder ganz aufhört.
Ich beschließe, noch etwas mit der Abfahrt zu warten und mir erst einmal eine Morgenzigarre zu genehmigen. Neu Info: Später soll es wieder sonnig werden. Weiterhin ist und bleibt es wenigstens warm. Regen und Kälte sind doof. Ich habe eigentlich Zeit und kann schließlich unterwegs jederzeit auf die Autobahn wechseln und dann sind es nur noch viereinhalb Stunden bis Niagara. Zum Ausgleich führt mir ein Eichhörnchen noch eins seiner Kunststücke vor, indem es oben auf einer Stromleitung entlangläuft. Sehr geschickte Tiere. Ich liebe sie. Vor allem knusprig gegrillt, mit einer Kastanie im Mund – nein, ist nur Spaß!!
Um halbzehn starte ich. Ungern. Der Regen hat fast aufgehört. Das bisher beste Motel der Reise – und ich habe hier nur zwanzig Dollar mehr als gestern in der Bruchbude bezahlt. 25% mehr Geld und 5.000% mehr Gegenwert.
Die Straße ist bald abgetrocknet. Ich biege mal wieder ab, diesmal auf den „1000 Islands Parkway“. Schnell erkennt man, warum er so heißt. Unzählige Inseln sind nebenan im Fluß zu sehen, große, kleine, winzige, manchmal mit nur einem Haus oder einem Baum drauf. Schade, es ist wieder zu regnerisch geworden, um anzuhalten und ein paar Fotos zu schießen.
Thousand Islands Parkway – Wikipedia, the free encyclopedia
Bald beginnt wieder das Drama mit der Grenze. Erst zwei sehr hohe nur zweispurige Brücken, 2,75 US-Dollar oder CAD Maut, hier ist die Währung egal. Es regnet jetzt heftig. Kein wirklich brauchbares Foto während der Fahrt auf der Brücke möglich. Noch dazu beim Fahren.
Und dann die lästige Immigration, langer vielspuriger Stau. Fotos sind streng verboten, warum auch immer. Überhaupt ist alles schwer abgesichert. Der weibliche Officer fragt mir (oder heißt es mich?) schon wieder Löcher in den Bauch. Tausend Fragen. Vor allem, ob ich Alkohol dabei habe, davor haben sie Angst, wie der Teufel vorm Weihwasser. Vor Tabak auch. Nach Drogen werde ich nicht gefragt, dabei habe ich doch das komplette Topcase damit gefüllt. Zum Schluß weist sie mich auch noch (unnötigerweise) auf die 65 mph und Helmpflicht hin. Stempel in den Paß? Nein, nicht nötig. Will ich auch gar nicht, der wird mir langsam sowieso zu voll. Ich frage die Beamtin: Nein, sie hat noch nie einen Deutschen mit gemietetem Motorrad erlebt. Ich bin der Erste. Im Wohnmobil schon mal, aber sehr selten.
Noch eine Brücke. Schließlich bin ich drüber und durch und kann bald von der Interstate runter auf die Landstraße 180.
Der Regen läßt nach. Schade drum, ausgerechnet auf der Brücke mußte es so sehr regnen. Ein bißchen besser hätte das Wetter dort schon sein können.
Um halbeins entledige ich mich wieder der Regenjacke, es geht beim Fahren, mit Tempomat geht das ganz einfach. Da musst Du nicht für anhalten. Das Wetter sieht jetzt wieder deutlich besser aus. Madame la Soleil, heute etwas zickig, ist schon hinter den Wolken zu erkennen. Warm ist es sowieso, 80 Grad (26 Grad).
Ein holpriger Nachmittag, selten bekomme ich mal eine gute Straße, ich bin ja auch wieder in den USA. Meistens ist sie nichts für Leute „mit Rücken“. Und wenn man dann auch noch so dringend wie ich Pippi machen muß, wird es eng. (Ich stell mich nicht gerne an einen Baum. Kann ich irgendwie nicht. Schamgefühl.)
Meine Fahrt durchs Land zieht sich mal wieder, die Ankunft wird jetzt inzwischen für halbsechs im Navi angekündigt. Viel Wochenendverkehr auf der Landstraße. Auf der Fahrt übers Land fühle ich mich jetzt langsam etwas angepißt. Ja, OK, man könnte es auch etwas gesitteter ausdrücken: Mehrmals tröpfelt es. Die Zeit wird knapp, ich wechsle auf die Interstate.
In Rochester sehe ich rechts neben der Stadtautobahn ein altes Hochhaus. Kodak. Die sitzen hier.
(Interessantes zur Kodak-Geschichte in Deutschland.)
Weil es sonst zu lang dauern würde, entscheide ich mich, ausnahmsweise auch weiterhin auf der Interstate zu bleiben. Geschätzte sechzig Meilen kosten mich später günstige zwei Dollar Maut, die nächsten fünf Meilen dann immerhin vergleichsweise einen teuren Dollar. Dann muß ich nochmal 3,25 Dollar für die beiden Brücken über den Niagara River bezahlen. Links vor mir ist schon von weitem eine weiße Wassernebel-Dunstwolke zu sehen, da müssen die Wasserfälle sein. Überall habe ich jetzt Stau und kann mich auch nicht viel vormogeln, die Spuren sind zu eng. Am Ende, im amerikanischen Niagara Falls, dann wieder die unvermeidlichen und unglaublich vielen Menschen, Autos, Lichtreklamen. Kobernde Lautsprecher der Amüsierbetriebe machen Jagd auf Touristen.
Direkt hinter der letzten Brücke (ja, die berühmte „Rainbow-Bridge“) ist dann der kanadische Zoll. Erneut stehe ich im zähen Stau.
Wieder viele Fragen des weiblichen Officers, aber inzwischen bin ich sie ja gewohnt. Meine Zigarren erwähne ich erst gar nicht mehr und „schmuggle“ sie lieber. Auch diesmal kein Stempel im Paß.
Dann fahre ich noch eine Meile an einer ganzen Reihe Hotel-Hochhäusern vorbei und weiter durch zähen Verkehr bis ans hintere Ende einer langen Reihe hoher Hotels. Da sind dann die beiden Marriott Hotels. 17:30 Uhr. Ich bin am heutigen Ziel meiner Reise angekommen: „Hotel Niagara Falls Marriott Gateway on the Falls“. Wow, endlich am Ziel!
Schreck, die Tussi in der Registration findet meinen Namen nicht im Computer und ruft schließlich hilflos ihren Vorgesetzten zu Hilfe. Meinen Empfang hätte ich mir doch etwas freundlicher vorgestellt. Sollte ich mich schon wieder mit dem Datum vertan haben? Kann ich ja ganz gut. Ich ahne und befürchte schon Schlimmes. Ich muß die Buchungsbestätigung raussuchen. Nein, alles klar, das heutige Datum stimmt. (Angstschweißwegwisch!) Man findet mich schließlich im System und es gibt dann auch endlich ein Zimmer für mich, die haben mich hier nur unter einem meiner vielen Vornamen gebucht. Ich sage es ja immer, Amis (und hier Kanadier) sind von Natur aus blöd. Ich frage nach einem Zimmer mit schöner Aussicht.
Ich bring mein Pferd in den großen Stall, d.h. ich parke das Motorrad in der Tiefgarage und nehme meine Tasche mit hoch in die Lobby. Parken ist hier kostenlos.
Ein freundlicher, gutaussehender, junger schwarzer Mann mit glattem Pferdeschwanz übernimmt mein Gepäck und fährt mit mir hoch. (Da bekommt das Wort Pferdeschwanz gleich eine doppelte Bedeutung…)
Gut ist, daß mein Zimmer in der obersten Etage liegt. Einunddreißig. (Die „13“ gibt es allerdings mal wieder nicht. Also ist es in Wirklichkeit „nur“ die Dreißigste!) Schlecht ist, daß der Aufzug naturgemäß lange braucht, bis er endlich alle Leute unterwegs abgesetzt hat und oben ist – und umgekehrt. Die haben hier nur vier Aufzüge.
Ich muß den langen Gang bis ans Ende – und bin geplättet! Den Ausblick auf die Fälle habe ich mir nicht so vorgestellt, nicht soo spektakulär! Wow! Vogelperspektive. Ja, so sehen Vögel unsere Welt. Und ich jetzt auch. Da sollte man keine Höhenangst haben. Ich jedenfalls bin ganz zufrieden. Voll krass! Besser geht nicht! Jedenfalls nicht hier im Haus. Wenn es auch teuer werden wird. Aber für etwas Gutes bezahle ich ja gerne. In den andern Niagara-Hotels gab es nur noch Zimmer mit wenig Aussicht. Deshalb mußte ich dieses Zimmer auch vier Wochen vorher buchen, was ich sonst ja strikt ablehne. Ich lasse mich ungern fesseln. Aber sonst bekommt man hier möglicherweise keine hohe Etage. Deshalb war ich mit der Ankunft auf heute festgelegt. Hat ja sehr gut geklappt, ohne viel Stress. Bin schon wieder sehr zufrieden. Echt sehr zufrieden!
Aufgrund der manchmal etwas weniger guten Bewertungen dieses Hotels hatte ich schon Schlimmes befürchtet. Grundlos! Bewertungen sind halt auch nicht alles…
Jetzt kommt auch endlich wieder die Sonne heraus und zeigt mir gleich die volle Schönheit dieses wundervollen Ortes. Ich bin endlich am Ziel meiner Wünsche. Von hier oben sehe ich auch, daß sich inzwischen noch viel mehr Autos vor dem kanadischen Zoll stauen.
Abendessen im Outback nebenan. Vor allem die große frittierte Zwiebel esse ich dort ja gerne und Pommes dazu. Fleisch brauche ich nicht, ich kann sowieso nur die Hälfte essen. 36 kanadische Dollar plus großzügiges Tip für die freundliche Kellnerin. Danach beim Durch-die-Gegend-Bummeln eine wohlschmeckende Zigarre.
Um 22 Uhr ist hier unten immer noch die Hölle los. Überall Menschen – und Wassertröpfchen, die der Wind hier rüber trägt, wie feiner Regen. Ich bin reichlich müde und geschafft. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich laufe zum Hotel zurück, sehe im Stall (sprich Garage) nochmal nach meinem Plastikpferd und geh dann rauf in mein Vogelnest.
Das nächtliche Panorama ist grandios, fast noch besser als tagsüber, zum Glück hat sich der Architekt eine Wand aus Glas ausgedacht, nicht nur ein Fenster, auch und sogar von meinem Bett sehe ich alles, es steht in der richtigen Richtung. Einige, nein, alle Hochhäuser werden angestrahlt und die Farbe wechselt bei manchen sogar. Drüben am Casino auf der amerikanischen Seite ergießt sich ein verschwenderischer Lichtwasserfall am Hochhaus entlang nach unten. Zu allem Überfluß werden die Wasserfälle natürlich auch noch genau bis Mitternacht beleuchtet. Später, in der Nacht, soll jede Menge Wasser umgeleitet werden, um damit etwas mehr Strom als tagsüber zu erzeugen. Aber keine Sorge, die Fälle werden nachts nicht trockengelegt!
Ich bin tief beeindruckt von meiner Aussicht! Für sie gibt es keinen passenden Superlativ, alle viel zu schwach. Deshalb lasse ich es und gehe einfach befriedigt schlafen. Und mach in der Nacht ab und zu mal kurz die Augen auf. Ich kann’s kaum glauben. Alles richtig gemacht!
Sonntag, 1. September 2013
Niagara Falls, Kanada
Guten Morgen, liebe Niagarafälle. Es gibt unten direkt vor mir den großen natürlichen kanadischen Wasserfall und links den kleineren, künstlichen, amerikanischen. Eigentlich war die Nacht viel zu schade zum einfach nur Verschlafen. Von dieser Aussicht kann man gar nicht genug kriegen. Ich mußte nachts ein paarmal Aufstehen und Rausgucken. Zum Glück bleibe ich ja noch eine Nacht im Hotel. Hab ich gut gemacht! Perfekt!
Die Wolke über dem Wasserfall ändert sich sekündlich. Dadurch sieht es da unten auch ständig ganz anders aus.
Der Himmel ist stark bewölkt. Ob sich die Sonne heute nochmal sehen lassen wird?
Unten auf der Straße und dem großen allgemeinen Parkplatz ist so früh noch kaum ein Mensch zu sehen, ganz selten mal ein Auto. Still ruht der See. Aber der Wasserfall arbeitet, rauscht leise und erzeugt stoisch und unberührt seinen Nebel.
Erstmal auf dieser Reise stehe ich um halbacht ganz gemütlich auf und widme mich der Frage, ob ich lieber im Bett zusammen mit der Aussicht oder lieber unten im Restaurant zusammen mit vielen Leuten frühstücke. Nach vielem Für und Wider entscheide ich mich dann doch fürs Restaurant. Und bin mit dem Buffet sehr zufrieden. Ich sitze wieder direkt am Fenster und genieße die Aussicht, wenn es auch das teuerste Frühstück sein dürfte, das ich je hatte; das schönste ist es sowieso.
Wie es sich gehört, schaue ich morgens und abends nach dem Pferd im Stall, immer noch OK, es hat alles was es braucht und es fehlt ihm an nichts.
Ich buche eine Bustour, die den (angeblichen VIP-)Eintritt zu den wichtigsten Attraktionen bereits enthält. Unser Bus kommt pünktlich um zehn Uhr. Wir sind exakt fünfzig Leute, plus Busfahrer Alex, der uns zugleich den Guide macht. Aber der Bus ist auch groß genug. Niemand muß neben mir sitzen.
Zuerst fahren wir an die alte Power Station. Dann zurück zur „Journey behind the Falls“ und dort mit dem Aufzug runter. Wir kriegen alle die berühmten gelben Plastikumhänge ausgehändigt. (Ah, jetzt habe ich ihn schon, meinen Plastikumhang als Bicycleman, den ich mir vorher in New York gewünscht habe! Ab jetzt kann der Weltbevölkerung nichts mehr geschehen. Ich rette die Welt!)
Hier unten sind viel zu viele Menschen und wir stehen alle sehr lange an, um dann endlich zum sehr nassen Aussichtspunkt im Freien zu kommen. Hier rauscht und braust es doch recht unübersehbar, ähm, unüberhörbar. Die Wassermassen stürzen sich genau neben uns die Fälle hinunter. Selbstmörderisch. Obwohl, „behind“, also „hinter“ dem Wasserfall sind wir nicht, nur neben ihm. (Ist ja schon zeit meines Lebens ein Wunschtraum von mir: Endlich mal im Rücken eines großen Wasserfalls zu stehen…)
Dann fahren wir weiter, am Ufer entlang durch die Stadt, zum „Whirlpool“. Hier kann man sehen, wie sich das Wasser sammelt, kreisförmig dreht und erst dann weiterfließt. Eine alte Drahtseilbahn pendelt darüber hin und her, aber dafür ist jetzt keine Zeit, Alex drängelt, wir haben noch viel vor.
Die Fahrt geht durch den Botanischen Garten zum Butterfly Garden. Hier kann man in einem großen, gläsernen tropischen Gewächshaus unzählige zutrauliche Schmetterlinge, lethargische Schildkröten und putzige Frösche bewundern und bestaunen. Meine neue junge Freundin aus dem Bus wird sofort von einem Schmetterling begrüßt, und ihr Schwesterchen auch.
Ein nächster Stopp in „Souvenir City“ muß sein. Damit wir alle etwas einkaufen können.
Dann geht es zum „Skylon Tower“, der unübersehbar hoch ist. Außen fahren wir mit einem der drei Aufzüge auf den Aussichtsturm hinauf und bewundern die unendlich weite Aussicht. Und das mit meiner Höhenangst. Und in Aufzügen bin ich auch nicht gerne.)
Inzwischen scheint schon längst wieder die Sonne und die Luft ist klar.
Dann folgt als krönender Abschluß die obligatorische Fahrt mit der berühmten „Maid of the Mist“, den bekannten Ausflugsbooten, die bis kurz vor den Wasserfall schippern. Leider ist Sonntag und unendlich viele Leute kamen auf die gleiche Idee und wir müssen alle ewig anstehen, mindestens eine Stunde; hier nutzt uns auch unser VIP-Ticket nichts. Und das, obwohl dreihundert (abgezählte) Leute auf die Boote passen und sich ständig mindestens zwei Boote im Viertelstunden-Takt emsig damit abmühen, alle Leute hinzubringen.
Drüben, auf der amerikanischen Seite ist es genauso, auch dort fahren zwei Boote hin und her. Aber, die Menschen werden hier wie Eisenfeilspäne von einem Magneten angezogen. Wir sind hier einfach zu viele. Jeder will und „muß“ damit fahren. In der Zeit des Wartens ergießt sich wahrscheinlich mindestens die Menge des Bodensees vorne den Wasserfall hinunter.
Ich jedenfalls finde es witzig: Ein kleines Versorgungsboot, das z.B. die Plastikumhänge auf die amerikanische Seite hinüberbringt, heißt „Little Maid“.
Wieder müssen sich alle in, diesmal blaues, Plastik verpacken. (Was für eine Verschwendung! Wie viele dieser Umhänge jeden Tag für die Einmalbenutzung verbraucht werden! Aber, so hoffe ich, werden sie ja danach hoffentlich wieder eingeschmolzen.)
Die Umhänge sind auch wirklich dringend nötig, wir fahren durch heftig brodelndes Wasser bis zum sich ergießenden Wasser. Die Hälfte des Wassers zerstäubt in der Luft. Ein wahrhaft aufregendes und sehr feuchtes, nein, nasses (und lautes) Naturschauspiel und wirklich auch ein absoluter Pflichttermin für jeden, der hierher kommt. Mit einem Wort: Ein großartiges, einzigartiges und tolles Erlebnis.
Es fällt mir sehr schwer zu glauben, daß dieser mächtige Wasserfall immer mal wieder komplett zufriert. Hierzu gibt es jedoch sehr viele Beweisfotos im Netz.
Anderthalb Stunden zu spät, um 6 pm statt um halbfünf, sind wir zurück am Hotel. Alex wird freundlich verabschiedet. Ich bin etwas geschafft, aber zum Verschnaufen oder gar zum Ausruhen bleibt keine Zeit, ich „muß“ mit dem öffentlichen Wego-Bus zurück in die Stadt. (Boah, was ein anstrengender Tag heute. Da fahre ich ja lieber nochmal die gleiche Strecke mit dem Moped wie gestern. Nein, ist nur Spaß, Niagara ist cool!!)
Als nächstes folgt hier der Besuch des 4D-Kinos im Table Rock-Gebäude. Es, das Kino, nennt sich „Fury“. Erst müssen wir uns einen Film im Vorraum zur Entstehung der Wasserfälle ansehen und dann kommt das große Erlebnis mit Rundumleinwand, Schneeflöckchen (aus Schaum), Regen, Gischt, Wind und wackelndem Boden. Und lauten Lautsprechern. Sehr realistisch. Deshalb mußten sich auch alle schon wieder mit den bereits bekannten Plastikumhängen vermummen.
Anschließend warte ich zusammen mit tausenden anderen Menschen darauf, daß es dunkel wird und die Fälle endlich angestrahlt werden. Magic Lightshow. Dabei werde ich wie alle andern von der Gischtnebelwolke ununterbrochen feucht betröpfelt. Schade, daß ich den Umhang vorhin nach dem Kino so leichtfertig weggeworfen habe.
Ich überlege, ob ich danach nochmal auf den Skylon-Tower zum Feuerwerk will, das aber nur stattfindet, wenn es nicht regnet. (Hmm, ist das jetzt Regen oder nur Wolke?)
Ich beschließe, aufs heutige Abendessen zu verzichten, das Frühstück reicht mir noch. Zigarre auch nicht, ich möchte nicht, daß sie feucht wird. Sie darf ja schließlich nur am Mundstück angefeuchtet werden. Mr. Bill Clinton wird mir das bestimmt gerne bestätigen und hat ja auch schon Hinweise dazu verlautbart…
Ich komme zu dem Ergebnis, das ich das Feuerwerk, wenn es denn überhaupt stattfindet, ebenso auch vom Zimmer aus beobachten kann. Feuerwerk gibt es hier in der Saison übrigens jeden Freitag und Sonntag. Und an Feiertagen.
Apropos Zimmer. Damit habe ich unendlich viel Glück gehabt, oberste Etage und am Ende der richtigen Seite. Es ist definitiv das bestmögliche Zimmer mit der schönsten Aussicht im ganzen Haus. Es gibt natürlich noch zahlreiche andere unübersehbare Hotel-Hochhäuser, aber die sind aus vielerlei Gründen eben nicht das Beste.
Das heutige Wetter war auch perfekt. Zuviel Sonne habe ich nicht gerne.
Schließlich kommt doch noch das angekündigte Feuerwerk. Pünktlich um zehn Uhr abends. Ich habe eigentlich nicht mehr damit gerechnet. Und ich bin froh, es aus meinem Zimmer sehen zu können. Jetzt noch zusammen mit tausenden Leuten vom Skylon-Tower erstmal runterfahren zu müssen und durch die Stadt fahren oder latschen zu müssen, nein, das will ich mir definitiv nicht vorstellen!
Wenn ich schon aufs Abendessen verzichte, brauche ich heute Abend auch kein Fernsehen. Jedenfalls nicht das aus dem doofen Fernseher. Stattdessen genieße ich lieber das „Zimmerfernsehen“. Auf die Stadt, auf die Fälle und auf den Erdkreis hinunter.
Montag, 2. September 2013
Niagara, Kanada – Waterport, NY
80,5 Meilen
Die Sonne geht über dem Wasserfall auf und scheint zu mir ins Zimmer und weckt mich. Ich liebe es, wenn mich die Sonne wachkitzelt. Auch heute Morgen ist unten wieder kaum eine Seele zu sehen, wieder alles ausgestorben, der riesig lange Parkplatz noch ganz leer. Vom täglichen Trubel deutet sich da unten noch nichts an.
Der Himmel ist ganz klar, blau. Die Wasserfälle sind noch etwas schwach; aber, je weniger Wasser, desto höher und dichter die Nebelwolke über den Wasserfällen. Der rötliche Sonnenball wirkt dagegen ganz winzig. Ein unvergeßliches Bild.
Ich stehe ganz in Ruhe auf, habe ja genug Zeit, nichts und niemand drängelt. Ich muß mich nur langsam mal entscheiden, wie ich zurückfahre. Nochmal Adirondack Mountains? Oder südlich durch Pennsylvania? Oder doch lieber nördlich auf der kanadischen Seite des St. Lorenz entlang? Nach viel Hin und Her entscheide ich mich gegen Pennsylvania und gegen Kanada. Später werde ich erkennen, richtige Entscheidung – oder zumindest eine gute…
Erst einmal checke ich aus und verstaue das Gepäck im Moped, lass es aber noch stehen. Dann frühstücke ich ganz in Ruhe im etwas billigeren BestWestern in der Nähe und fahre wohlgestärkt mit dem Wego-Bus zum „White Water Walk, Boardwalk by the Rapids“. Mit einem Aufzug fährt man runter und kann dann auf einem hölzernen Steg die wilden Wassermassen bestaunen. Hier kommt das ganze Niagara-Wasser wild rauschend vorbei, nachdem es sich todesmutig weiter oben die Fälle hinabgestürzt hat. Oder ist „tosend“ die korrektere Bezeichnung? Da kommt kein Gebirgsbach oder –fluß in den Alpen mit. Das Wasser ist wunderbar türkis bis blaugrün. Dazu der ungewöhnlich hohe Geräuschpegel. Auch ein absolutes Muß! Sensationell! Eine Handvoll bekloppte Menschen haben sich hier bisher im Laufe der Jahrzehnte todesmutig hineingewagt; nur ein paar wenige haben es überlebt.
Stromschnellen werden weltweit in sechs Klassen eingeteilt; diese hier sind so gewaltig, daß sie in die höchste Stufe eingeordnet wurden.
Alles andere Sehenswerte hebe ich mir fürs nächste Mal auf. Irgendwann sind die Sinne mit solchen Sensationen auch gesättigt und nicht mehr weiter aufnahmefähig.
Eine übriggebliebene Eintrittskarte verschenke ich an drei deutsche junge Leute.
Dann hole ich mein Pferd aus dem Stall und reite etwas wehmütig los. Auf der Rainbow-Bridge der befürchtete Stau vor dem amerikanischen Customs (Zoll). Ich brauche 45 Minuten.
Ich mache hier drüben noch einmal einen kurzen Stopp, parke das Moped auf Goat Island und sehe mir erst einmal „Three Sisters Island“ direkt daneben an. Das Wasser würde hier vielleicht nicht so fröhlich vorbeikommen, wenn es wüßte, was jetzt gleich mit ihm passiert. Der Abgrund kommt jetzt gleich…
Auch von hier hat man einen (feuchten) Ausblick auf den Wasserfall. Drüben, über der Wolke, kann ich mein Hotel und mein Zimmer zum Abschied noch einmal deutlich sehen und winke ihm zu. Ich habe riesiges Glück damit gehabt. Sensationell.
Jetzt habe ich endgültig genug von Niagara; war alles toll und aufregend. Und voller Menschen. Sehr viele Inder/Pakistani/Asiaten. Ich muß mich jetzt so langsam auf den Rückweg machen. Es ist tatsächlich schon halbdrei. Niagara war einfach der Höhepunkt. Viel mehr Aufregendes kann jetzt wirklich nicht mehr kommen. Oder?
Der Himmel hat sich schon wieder zugezogen und es regnet ein paarmal. Überhaupt bleibt das Wetter heute durchwachsen. Der Wetterbericht aus dem Wego-Bus von vorhin wird bestätigt.
WEGO Niagara Falls Visitor Transportation – Wikipedia, the free encyclopedia
Ich fahre auf dem unglaublich vernachlässigten Robert Moses Parkway, (eine abgesperrte Hälfte läßt man einfach verfallen), am Niagara River Gorge entlang nach Norden an Lewiston vorbei und dann am Lake Ontario nach Osten auf einem kleinen Highway (18) mit ganz wenig Verkehr.
Unterwegs gibt es in Olcott wenigstens mal einen winzig kleinen Leuchtturm; um die richtigen großen zu suchen und zu finden, bräuchte ich etwas mehr Zeit.
Es ist 16:30 Uhr und ich suche mir im Navi ein Motel aus. Hier in dieser Gegend gibt es nur zwei. Ich nehme das etwas nähergelegene „Cedar Valley Lodging“ in Waterport. Oh je, sieht ja klein aus, das ist gar kein Motel, sondern ein Privathaus, wo mir dann ein kleines altmodisches Zimmer im Nebenhaus vermietet wird. Fünfzig Dollar bar auf die Hand. Warum habe ich nicht das andere Motel angesteuert? Ein alter Herr zeigt mir mein Zimmer. Naja, okay, für die eine Nacht muß es halt gehen. Bin etwas müde. Zwei schmale Betten, der obligatorische altmodische Fernseher, (wie viele habe ich davon auf dieser Reise überhaupt schon gesehen?!) und der später nicht geht.
Der ältere Herr, Glenn, läßt mich nicht allein, er quasselt und zeigt mir schließlich seine Autos. Erst seine ältere Limousine, wie man sie kennt und in der gewöhnlich immer nur alte Leute sitzen. Dann einen aktuellen Ford SUV. Alles nix besonderes.
Aber jetzt, jetzt kommt die Zugabe. Und was für eine! Die Sonne geht auf: THE BEST OF THE BEST! Wir kommen nämlich ein bißchen über Autos in Germany und in USA ins Quatschen und schließlich wird mir eine besondere Ehre zuteil: Jetzt öffnet der 85jährige seine dritte Garage und zeigt mir sein Schätzchen. Glenn kurbelt den Motor an und der springt auch sofort an. Was heißt springt an, er schnurrt sofort wie eine Katze los, naja, okay, wie eine etwas robustere Katze. Und dann holt Glenn das Auto schließlich auch noch extra für mich raus.
Ein Ford T, Baujahr 1915!! Das allein wäre ja schon nicht schlecht, aber er lädt mich auch noch zu einer kleinen Spritztour ein. Wir beiden alten Knaben im T-Modell. (Bekannter Scherz von Henry Ford damals: Ja, lieferbar in jeder Farbe, vorausgesetzt, sie ist schwarz.)
Wahnsinn. WAAAHNSINNNN!!! Wir fahren die weite Auffahrt rauf und langsam zwei, drei Kilometer auf der Landstraße entlang, mit zurückgeklapptem Verdeck. Töff, töff, töff. Dann wendet er auf der Straße und wir tuckern gemütlich zurück. Das Auto hat einen erstaunlich kleinen Wendekreis. Gas gibt man am Lenkrad, es gibt nur zwei Vorwärtsgänge. Sehr schmale luftgefüllte(!) Reifen, alles top in Schuß. Man bekommt noch immer sämtliche Ersatzteile dafür. Die Sonne schaut dabei wohlwollend auf uns beide alten Knacker runter.
Er lädt mich am Ende vor der Garage ein, auch ein Stückchen damit zu fahren. Ich überlege und lehne dann schmerzvoll dankend ab. Wir stehen hier nach unserer Tour vor der Garage, also müßte erst das Auto nochmal umständlich gewendet werden. Wenn dann etwas kaputt ginge. Dann noch die schwer verständliche Einweisung; der Alte nuschelt ganz schön. Seine Frau hat schon gerufen, ich selbst bin auch hungrig und es ist schon spät. Schweren Herzens lasse ich es genug sein. Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist.
Natürlich werde ich es bis an meinen Tod und darüber hinaus noch bedauern. There can you one on it let! (Worauf Du einen lassen kannst!…)
Inzwischen weiß ich alles über die Family: Glenn hatte früher die elterliche Farm fortgeführt und kam dann später nach dem Verkauf für dreißig Jahre ins Gefängnis. Als Aufseher. (Ich war ja übrigens auch schon im Knast. Zu Besuch.)
Dann fahre ich zehn Kilometer in ein Restaurant. Tilman’s. Mein Abendessen kostet dann letztendlich fast so viel wie das Zimmer. 46 Dollar. Zwiebelsuppe und ein Filet Mignon mit Ofenkartoffel. Dazu ein dunkles Bier und ein Pepsi. Ein Refill schlägt sich auf der Rechnung mit einem Dollar nieder. Unverschämt! (Ja, ihr Erbsenzähler, okay, ich hatte also zwei Pepsi.)
Zigarre zum Abschluß und um mich (wegen des alten Autos!) wieder zu beruhigen. Vor meinem Zimmer auf der Bank. Mann, war das ein Tag! Wahnsinn! Und überhaupt bis jetzt eine wundervolle Tour! Kann jetzt noch eine weitere Sensation kommen??
Dienstag, 3. September 2013
Waterport, NY – Lake Placid, NY
320,8 Meilen
Aufstehen um sieben. Himmel stark bewölkt. Kalt, nur 61 Grad. Ein guter Grund, endlich mal die Heizung im Zimmer einzuschalten. Zum ersten Mal ziehe ich die Jeansjacke an. Glen ist auch schon auf und verabschiedet mich herzlich. Um halbacht bin ich schon „On the Road again“.
Auch hier sind, wie überall, die Straßen in bedauernswertem Zustand. Alles, wenn überhaupt, nur notdürftig ausgebessert. Enormer Instandsetzungsstau. Wer soll das alles später mal bezahlen?
Obwohl schon acht Uhr, bin ich lange Zeit fast ganz allein unterwegs auf dem breiten, vierspurigen, holprigen „Lake Ontario State Parkway“.
Breakfast bekomme ich in Jo’s Diner in Hilton gegen neun für eine Handvoll Dollar (günstige 6,48 Dollar). Nicht so teuer wie gestern. Bei weitem nicht. Aber in Niagara war halt alles überteuert, da kann man verlangen, was man will. Hier dagegen ist es sehr ländlich und alles noch günstig, zum ersten Mal auf dieser Reise.
Schon gestern und auch heute wieder eine Fruitfarm an der andern mit Millionen schwer behangener reifer Apfelbäume. Pfirsichbäume gibt es auch, die sind aber bereits abgeerntet. (Hätte mir zu gern einen oder zwei gemopst.) Da kommen Bodensee und Altes Land bei weitem nicht mit. Und auch der Vinschgau wirkt dagegen klein und bescheiden.
Mein Schutzengel bekommt heute etwas mehr Arbeit. Unmittelbar hinter einer Kurve steht ohne jegliche Vorwarnung ein Stoppschild. Oder ich habe die Vorwarnung nicht wahrgenommen. Leider keine 4way-Kreuzung, wo alle anhalten müssen, sondern eine vorfahrtberechtigte Straße, die hier von mir überquert werden muß. Bremsen hätte gar keinen Sinn, dafür bin ich einfach zu schnell. Deshalb bleibt mir nur übrig, einfach ungebremst drüber zu sausen. Ich spüre anschließend meinen Pulsschlag. (schweißwegwisch). Es gibt, ähm, gab Leute, die weniger Glück hatten bzw. deren Schutzengel gerade anderweitig beschäftigt war. Nochmal riesiges Glück gehabt! Danke mein lieber Schutzengel!
Ab und zu höre ich auch mal dem SiriusXM-Radio mit der unglaublichen Senderauswahl zu. Wofür habe ich es sonst?
Schreck, eine Warnleuchte leuchtet plötzlich. TPMS steht dran. Keine Ahnung, was sie bedeutet und was sie mir überhaupt damit sagen will. Habe ich die auch an meinem Moped zuhause? (Nein, ich habe sie nicht.) Zuhause lese ich später nach, daß es die Kontrolle für den Reifendruck ist. Vielleicht hätte ich ihn unterwegs wirklich mal kontrollieren müssen? Aber die Warnleuchte erlischt nach ein paar Minuten und so bleibt es auch für den Rest der Reise.
Ich bin heute wieder auf vielen kleinen Country Roads unterwegs, die sich in ihrer Verworrenheit nur ein Navi ausdenken kann. Aber ich mag es ja, so zu fahren.
Plötzlich ist die Straße gesperrt. Mal wieder. Polizei lenkt den Verkehr auf die parallele Nebenstraße um. Später, als ich auf die Hauptstraße zurückkomme, sehe ich zurückblickend den Grund: Ein Unfall. Ein sensationslüsternes Fernsehteam macht grad Aufnahmen des Unglücks für ebensolche Zuschauer.
Das Wetter bleibt heute erstmal kühl, wahrscheinlich ist es der kühlste Tag der Reise. Bis jetzt. Wer Wärme oder Hitze sucht, muß halt in den Süden oder Südwesten der USA. Aber mir gefällt’s trotzdem.
Nachmittags bin ich wieder zurück in den Adirondack Mountains. Und klar, Regen empfängt mich freudig. Nein, umfängt mich liebevoll.
Das Navi schlägt mir eine Abkürzung durch den Wald vor, die ich natürlich gerne nehme. Nach ein paar Meilen wird es dann allerdings wie befürchtet „unpaved“, unbefestigt. Ich hoffe, daß mir hier auf diesem mit Schlaglöchern gesegneten rutschigen und manchmal schmalen Weg niemand entgegen kommt. Obwohl, im Falle einer Panne oder daß mir das Moped umfällt, dürfte ich hier tagelang auf Hilfe warten müssen. Ich brauche oft die gesamte Wegbreite, so schmal wird der Weg manchmal. Hoffentlich schickt ein anderes Navi nicht gerade jetzt sein Herrchen in der entgegenkommenden Richtung hier entlang. Die Tiere des Waldes sind ganz erstaunt und kommen zu mir an den Weg und lachen mich an. Sie wollen wissen, wo die geile Mucke herkommt. Und grooven oder headbangen alle gleich mit.
Alles geht gut, irgendwann erreiche ich wieder die Zivilisation und eine asphaltierte Straße.
Auf jeden Fall gibt es auch hier viele Seen und immer noch unglaublich viel Wald. Obwohl mir mal wieder ständig Holzlaster mit abgemurksten Bäumen entgegen kommen. (Ich selbst könnte nie einen Baum fällen. Bäume sind Lebewesen!)
Erneut regnet es öfter. Deshalb auch so wenig Verkehr, die Leute bleiben lieber in ihren warmen, trockenen Unterschlüpfen. Es bleibt heute zwischen 60 und 68 Grad, was bei Regen wirklich nicht viel ist.
Der „Blue Mountain Lake“ müßte eigentlich in „Grey Mountain Lake“ umbenannt werden. Hier ist alles grau. Die Bergspitzen sind unsichtbar und liegen alle in den Wolken. Ich stelle fest: Adirondacks im Regen sind kein allzu großes Vergnügen. Doch das schlechte Wetter ficht mich nicht an.
Bei gutem Wetter sind die Adirondacks bestimmt ganz schön. Eigentlich wie im Thüringer Wald. Nur die breiten Straßen gibt es dort (in Thüringen) eher nicht.
Ein Stück muß ich auf der schon bekannten Straße von Long Lake nach Tupperlake fahren. Nein, hier wird die Tupperware aber nicht hergestellt. Der Gründer hieß tatsächlich Tupper, Earl Silas Tupper.
Gegen 18 Uhr erreiche ich Lake Placid und übernachte im Northway Motel für immerhin um fünfzehn Dollar runtergehandelte 77,53 Dollar. Das Zimmer ist klein, aber sehr ordentlich. Genauso wie der neue weiße Flachbildfernseher. Dazu ein gemütlicher Schaukelstuhl. Und warm ist es auch; dank funktionierender Heizung. Und blitzsauber. Nur ein breites Bett, aber das reicht ja für mich, und dazu genügend viele flauschig-weiche Kissen. Ein gutes zufriedenes Gefühl wächst in mir. Hier gibt es schließlich ein Motel neben dem anderen. Ich hätte auch jedes andere nehmen können und wäre wahrscheinlich nicht so zufriedengestellt worden. Ich kann auch wieder in einer sauberen Wanne Duschen. WiFi gibt’s auch. Und etwas Aussicht. Und den Wohlfühl-Stuhl draußen vorm Zimmer. Ich bin wieder sehr zufrieden mit mir und meiner Auswahl.
Hier in Lake Placid gab es übrigens 1980 olympische Winterspiele. Und 1932. 1932 hatte ich schon wieder vergessen. Zwei hohe Sprungschanzentürme habe ich vorhin unterwegs schon gesehen.
Das Navi kündigt für morgen strahlenden Sonnenschein an. Und den wärmsten Tag der Woche. Okay, das nenne ich einen fairen Ausgleich für den heutigen (zu) kühlen Tag.
Abendessen gibt es unmittelbar nebenan in „Jonny’s Pizza Restaurant“. Köstliche Puttanesca-Nudeln und Salat, also endlich mal wieder kein Fleisch, und dazu ein Yuengling Beer. Und weil ich diesmal wieder zu Fuß ins Motel zurücklaufen, ähm, zurücktorkeln kann, schütte ich gleich noch eins drauf. Für ganz erträgliche 23 Dollar.
Spaghetti alla puttanesca – Wikipedia
Natürlich regnet es auf meinem kurzen Heimweg. Zigarre gibt’s heute mal in einer Decke eingekuschelt unter meinem Vordach sitzend. (Schade, daß ich mich nicht selbst dabei sehen kann…)
Um neun schlafe ich schon.
Mittwoch, 4. September 2013
Lake Placid, NY – Newburgh, NY
347,4 Meilen
Um sieben Uhr wache ich auf. Ich habe königlich geschlafen. Wie gestern vom Radio versprochen, begrüßt mich wunderschöner Sonnenschein. Wieder kein Wölkchen zu sehen. Ob das heute so bleibt? Dabei hat es noch die halbe Nacht ganz schön geregnet. Da sieht die Welt doch schon ganz anders aus. Dieses Motel war eins der angenehmsten auf dieser Reise.
Frühstück gibt’s im Ort im „The Cabin Grill“, einem ganz besonders urigen Café mit Blockhüttencharakter. Ich könnte jetzt auch in Österreich sitzen und frühstücken. 14,49 Dollar. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich es diesmal nicht ganz schaffe, alles aufzuessen. Too much.
Ein Schild weist hier darauf hin, daß lt. NY State Law sonntags kein Alkohol vor zwölf Uhr mittags verkauft werden darf. Alkoholiker müssen/sollten sich also vorher damit eindecken. (Was für ein Quatsch! Trinkt deshalb irgendein Mensch weniger? Solche Gesetze sind doch für’n Ar…, ähm, für’n Allerwertesten!)
Schade, heute ist letzter Fahrtag. Um 9:15 Uhr geht’s los. Aber der Tag wird lang werden, denn es ist noch ein weiter Weg bis zum heutigen Ziel.
Sonnig und erstmal kühl. Nur 60 Grad. Aber wir sind ja in den Bergen und in einem Wintersportgebiet. Kurz sehe ich nochmal die beiden olympischen Sprungschanzen vor mir.
Das Navi spricht von 260 Meilen bis ans Ziel, Ankunft 14:50 Uhr, da bleibt genug beruhigende Reserve.
Erst bin ich auf der US 4, dann wieder auf schönen kleinen Straßen. Viele Hügel und weiter hinten hohe Berge. Schöne glatte kurvige Straßen, ich könnte jetzt auch in Bayern sein, wenn der Mittelstrich nicht gelb wäre. Mein Rücken bedankt sich, indem er sich nicht meldet.
Längst ist es wieder heiß und sonnig, es geht heute auf und sogar über 80 Grad.
Blitzer gibt es hier in USA übrigens nur extrem selten, und wenn, werden sie vorher angekündigt. Üblich sind die oft versteckt lauernden Sheriffs oder die hinter einem her oder entgegenkommenden und mit Laser bewaffneten Polizeiautos, die dann ggf. schnell wenden und arme, bedauernswerte Autofahrer sofort an Ort und Stelle aussaugen.
Ich habe inzwischen wieder genügend von ihnen unterwegs gesehen. Bisher hatte ich immer unverschämtes Glück, noch nichts passiert, obwohl ich ja durchaus und gerne schonmal etwas schneller unterwegs bin. Manchmal geben einem entgegenkommende Fahrzeuge eine Warnung. Ein Trucker signalisierte mir, als ich schon an ihm vorbei war, gerade eben noch rechtzeitig eine solche „Gefahrenstelle“, ich sehe seine Warnblinker noch im letzten Moment in meinem Rückspiegel, da wäre ich sonst vielleicht in die Falle gegangen. Wow, schweißwegwisch!
Flott geht es am Hudson River entlang und später durch Albany durch. (Ob es das berühmte von Roger Whittaker ist? Zuhause sehe ich nach. Nein, er singt über ein Schloß in England, das so heißt.)
Zufällig komme ich hier in der Stadt an einem alten RCA-Lagerhaus vorbei, auf dessen Flachdach „Nipper“, der berühmte Hund („His Master’s Voice“) unübersehbar sitzt und immer noch mit schräg geneigtem Kopf der Musik seines Herrchens lauscht. „Nipper“ bedeutet übrigens „kleiner Junge“, aber auch z.B. Zange oder Schere; und man gibt halt auch Hunden gerne diesen Namen.
Nipper – Wikipedia, the free encyclopedia
Übrigens, kaum jemand wird wissen, daß dies hier, Albany, die Hauptstadt des Bundesstaates New York ist. Ja, glaubt einem niemand, hab’s grad extra nochmal nachgesehen! Albany, Capital of New York State.
Später fahre ich dann durch die hügeligen, sonnigen Catskill Mountains. Ich „muß“ leider etwas Gas geben und mich ein bißchen beeilen.
Bethel. Gegen 17 Uhr erreiche ich endlich mein Zwischenziel, das berühmte Woodstock Festivalgelände. Ja, endlich ist es das berühmte Woodstock! Ich war ja schon ein paarmal in „Woodstock“, aber nie im richtigen Woodstock.
Leider bin ich etwas spät, nein, viel zu spät. Auf unserer Reise 2011 mit dem Wohnmobil hatten wir keine Zeit mehr dafür, aber heute. Endlich! Und immerhin. Das Museum oben auf dem Hügel ist leider schon zu oder überhaupt geschlossen. Es sieht alles recht verlassen aus. Ich bin hier der einzige Mensch weit und breit. Überhaupt habe ich es mir total anders vorgestellt. Sehr hügeliges Gelände. Wo war damals die Bühne? Wo waren die vielen Leute? Fast fünfhunderttausend. Unglaublich! Aber ich bin hier wirklich richtig, das dazugehörige Denkmal ist da:
Jep, bin unterwegs etwas braun geworden.
15. bis 18. August 1969. 400.000 Menschen. „A Pivotal Event“. (Ein wichtiges Ereignis.) Das glaube ich der Infotafel natürlich sofort. Was heißt „glauben“, ich weiß es! Ist aber in Wirklichkeit absolut untertrieben! Das war hier damals eine Sternstunde der Menschheit!! Einzigartig!! Dank dem großzügigen Max Yasgur und seiner Frau, die ihr Gelände damals zur Verfügung gestellt hatten. Aufgrund der vielen Dokus im TV weiß ich alles über Woodstock.
Love, Peace and Freedom. Werte, die im Grunde denen der Französischen Revolution entsprachen. Liberté, égalité, fraternité. Viele Menschen meinen, das Festival habe die Menschheit verändert. Das stimmt aber leider nicht so ganz. Jedenfalls meiner bescheidenen Meinung nach. Kein Krieg weniger wurde seitdem geführt, kein Mensch weniger wurde ermordet, kein Kind weniger wurde missbraucht, kein Tier weniger wurde gequält. Der Hunger frisst die Menschen noch immer auf. Fehlendes Wasser läßt die Menschen noch immer verdursten…
Noch niemand hatte vorher so viele Menschen an so einem kleinen Ort gesehen!
Übrigens, so würden die Leute von damals heute aussehen:
😆
Aha, hier links neben mir war die Bühne aufgebaut, vor mir auf der sanft ansteigenden Anhöhe saßen und lagen die meisten Zuschauer/Zuhörer. Jetzt kann ich sie alle deutlich vor mir sehen. Und hören. Aber auf jeden Fall erscheint mir immer noch alles irgendwie recht klein. Es war doch eine so riesige Menschenmasse damals! (Warum nur war ich nicht einfach mit dabei? Einer meiner größten Wünsche, wenn ich mein Leben rückblickend verändern könnte.)
Seit ich hier an dieser Stelle vom Moped abgestiegen bin, fühle ich es: Ein Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und Wärme strömt tief in mich rein. Gänsehautfeeling! Ich bin ergriffen und fasziniert von der Atmosphäre und der Energie der fühlbaren Strahlen, die hier immer noch umherschwirren. Ein Magischer Ort. Ah, ja, ich liebe Magische Orte!! Warum kann ich nicht die Zeit zurückstellen? Ein Flug damals war nicht so einfach wie heute, aber ich hätte es geschafft. Warum habe ich nicht teilgenommen? Damals war ich zweiundzwanzig. Genau richtig…
Ich seh‘ grad, jetzt hab ich so viele Ausrufezeichen verbraucht, dass kaum noch welche übrig sind…
Nach ausgiebiger Inaugenscheinnahme und gebührender innerlicher Verneigung vor den (und vor den nicht) im Denkmal verewigten Beteiligten fahre ich widerstrebend weiter. Ich würde so gerne noch ein bißchen verweilen, am liebsten den gesamten morgigen Tag, aber die Zeitplanung läßt es leider nicht zu. Morgen fliege ich heim. Ob das jetzt der letzte Höhepunkt dieser Reise war?
Ein uraltes Gedicht von Karl May fällt mir beim Losfahren ein. Es paßt (von mir leicht abgewandelt) eigentlich ganz gut auf diese Situation und zu meinen Gefühlen:
Komm, Wanderer, verweile hier, Und hör‘, was sagt der Stein zu Dir: Nur mit dem Herzen tritt heran. Das Herz und der Stein wollen verstanden sein!
Ausnahmsweise nehme ich, ganz profan, für das letzte Stück die (schon wieder ziemlich holprige) Autobahn. Es ist gleich sechs Uhr abends.
Die Michelin-Reifen auf dem Moped gefallen mir nicht. Ich weiß gar nicht, ob die bei uns überhaupt zugelassen sind. Oder liegt es am Straßenbelag? Freihändig fahren geht jedenfalls so gut wie gar nicht, der Lenker schaukelt sich sofort auf und ich würde sofort abgeworfen werfen. Ja, wie bei einem Pferd. Jacke an- und ausziehen bedarf hier jedesmal besonderer Aufmerksamkeit.
Bald bin ich in Orange County und nähere mich meinem heutigen Ziel, das ich um kurz nach sieben erreiche. Ein letztlich akzeptables Super8-Motel. Ich „muß“ allerdings, wiedermal, das erste Zimmer erst einmal zurückgeben und es gegen ein großes schönes mit unglaublich breitem Bett im ersten Stock und mit Aussicht auf die Stadt eintauschen. Da hätte ich auch wieder genug Platz für viele freundlich-willige Gespielinnen. Schade, sind keine da. WiFi gibt’s auch endlich mal wieder.
Zum Essen laufe ich ein paar Schritte ins nahegelegene Longhorn-Steakhouse und esse zum Abschluß meiner Reise ein endlich wunderbar zartes und perfektes „Flat Iron-Steak“ mit Portabella, einem großen Pilz, eine Art Riesen-Champignon, von dem ich bisher noch nie etwas gehört habe.
portabella – Google-Suche (Fotos)
Das Steak ist einsame Spitze, das beste Fleisch seit langem, wirklich unglaublich saftig und bestimmt hier aus der Region, wahrscheinlich von der berühmten Kuh auf der Weide direkt nebenan. Sie hat auf jeden Fall ein schönes Leben gehabt, wenn es offensichtlich auch nicht sehr lang gewesen sein kann.
Dazu genehmige ich mir ein süffiges hellbraunes Newcastle-Bier aus England. Und eine salzglasrandige Margarita, damit das alles nicht zu trocken und zu einsam im Magen herumliegen muß. Durchaus portemonnaie-freundliche 29,70 Dollar plus Tip, die ich wirklich gerne ausgebe.
Und weil das immer noch nicht genug Alkohol ist, in der Margarita war ja keiner drin, trinke ich auf der ausnahmsweise vorhandenen Bank vor dem Hotel in Gesellschaft einer anschmiegsamen dunkelhäutigen Zigarre noch eine eiskalte Flasche meines hiesigen Lieblingsgesöffs, Mikes Lemonade, die ich mir gestern besorgt habe und die jetzt weg muß. Aber die enthält ja auch so gut wie keinen Alkohol. Nur etwas Wodka.
Mikes Hard Lemonade Co. – Wikipedia, the free encyclopedia
Jetzt spüre ich die heute abgerittenen vielen Meilen und die nachmittags ganz schön schlechten Straßen in meinem Rücken. Jede einzelne.
Aber je mehr ich trinke, desto weniger Rücken hab ich. Iss‘ss der Allkholool? Iss ja ploetslisch alless soo verschwommmen. Isss jetzz meine Brillle putttt?
Ist heute nicht ein schöner Abend? Ist das Leben nicht schön? Und sooo ennntspannnnnt? Meine Zigarre kann ich genüßlich rauchen, während ich gemütlich auf der Bank an der Eingangstür sitze (ja, riesengroße Ausnahme inzwischen, Sitzgelegenheiten außen an Hotels sind echt rar) und dabei zusehe, wie ständig noch neue Gäste ankommen und einchecken.
Um elf geh ich schlafen. Morgen soll es regnen. Sch… drauf, mir doch egal. Ich bin so gut drauf!
Donnerstag/Freitag 5./6. September 2013
Newburgh, NY – Newark, NJ – Frankfurt
84,7 Meilen
und mein Nachwort zur Reise
Ich kann ganz in Ruhe meinen Rausch (welchen Rausch?!) ausschlafen, denn ich habe heute genügend Zeit und stehe ganz gemächlich um sieben Uhr auf. Die Sonne scheint. Ist ja logisch. Jetzt, wo ich wieder heimfliege gibt’s schönstes Wetter. Sehr einfaches Continental Frühstück im Hotel. Um halbneun fahre ich los, der letzten Sensation dieser Reise entgegen.
Ich will meine Freunde bei Paul sen. nochmal besuchen. Sie erzeugen schließlich meine absolute Lieblingssendung im Fernsehen. Zum OCC-Headquarter ist es noch nicht einmal eine Meile von hier aus. Ich bin gestern schon dran vorbeigekommen. Unterwegs las ich bereits die gute Nachricht in einer Zeitschrift: OCC ist seit „18.08.2013, 08:30 pm ET“ auf dem amerikanischen CMT-Kanal zurück! Da wird es sie ja wohl bei uns auch bald wieder geben.
Ich komme gerade rechtzeitig dort an, ein, zwei Minuten vor neun, und ein Mädchen öffnet gerade die Tür. Ich bin die ganze Zeit der einzige Besucher und kann mir alles in Ruhe ansehen. Sie haben inzwischen an der rechten Seite das Café eingerichtet, zusammen mit einer großen Bowlingbahn, Poolbillardtischen und einem Kicker.
Es gibt hier viele schöne Motorräder zu sehen. Das absolut Interessanteste aber, das ich hier und im Fernsehen je von OCC gesehen habe, ist das folgende Fahrzeug, das Build-Off-„Bike“. Eigentlich kann man es gar nicht fahren. Der „Fahrer“ liegt flach auf ihm und steuert mit zwei seitlichen Joysticks. Ein rollender, nein, auf Gummiketten fahrender Flammenwerfer! (Jeder unliebsame Vorausfahrer wird kurzerhand bestraft und einfach in ein Häufchen Asche verwandelt…). Im Original ist er/es noch viel schöner als im TV. Besonders die perfekte Lackierung betört mich, neben dem einmaligen Design. Ich bin total fasziniert, beeindruckt, begeistert. Entflammt! Ja, dieser Ausdruck paßt! Entflammmmt! Ich weiß, daß ich mit meiner Meinung ziemlich alleine dastehe, aber für mich ist dieses Gerät einfach suuuperschööön! Unbeschreiblich schön. Und unnahbar, unberührbar, unbegreifbar, wie eine wunderschöne Frau. Deshalb gibt’s hier ein paar Fotos:
Und einen Youtube-Film:
American Chopper Live – Orange County Choppers – YouTube
(Unbedingt ansehen, Jason führt es vor.)
In der Werkstatt erkenne ich Rick Petko und ein paar Kollegen, zusammen mit ungefähr zehn Leuten vom Filmteam, die sich hier sogar eine eigene Ecke abgeteilt haben. Es wird also gerade gedreht.
Ich könnte durch die Glasscheibe knipsen. Geht aber nicht; sie ist mit weißen Farbpunkten fast undurchsichtig gemacht..
Um zehn bin ich der einzige, der die Tour durch die Werkstatt mitmacht. Fünf Dollar, plus tax. Jackie führt mich. Leider darf kein Foto gemacht werden, ich bettle bei ihr und beim Werkstattleiter Michael. Leider erfolglos, beide sind hartherzig und bleiben unnachgiebig. Die sind hier so doof wie chinesische Arithmetik. Ein heimlicher Versuch hinter meinem Rücken scheitert kläglich. Paul Senior, den ich noch fragen könnte, ist leider gerade in Florida. Hm, in nonverbaler Wertschätzung denke ich, „Jo, dann leckt’s mi doch alle am Oarsch, Saupreißen, amerikanische!“.
Jason mit seinem schwarzen Hund und Ron laufen herum. Die Büros von Paul, Ron, Jason. Alles ist so, wie im Fernsehen. Nur irgendwie etwas kleiner. Auch der berühmte Wasserstrahlschneider („Flowjet“) ist hinten vorhanden. Die Lackiererei ist neu dazugekommen; Nubby arbeitet offensichtlich nur noch für Paul jr. Einige Motorräder stehen auf den Hebebühnen. Man muß hier als Besucher innerhalb zweier gelber Linien bleiben und darf natürlich niemanden ansprechen. Todesstrafe droht.
Die Reality-Show „American Chopper“ und OCC war ein Teil meines Lebens, Irmgard und ich haben alle (!) Folgen geradezu verschlungen. Schade, OCC wird mit den Jahren wohl auch den Berg runter gehen. Anfang vom Ende war, daß sich die beiden Pauls nicht vertragen konnten und Paul jr. seinen eigenen Weg ging. Dann zogen sich nach und nach die TV-Sender zurück. Paul Sr. meldete 2019 Insolvenz an. 2020 wurde das Gebäude und die Firma OCC geschlossen. Paul Sr. hat sein riesiges Wohnanwesen verkauft. 2022 soll es nach Umzug nach Florida dort weitergehen.
Um halbelf fahre ich endgültig ab, der Rückweg nach Newark ist ganz einfach, obwohl ich einen kleinen Lustumweg, (zum Abgewöhnen, oder soll ich besser „zum Entwöhnen“ sagen?), also einen Umweg über Hamburg, NY, mache. Zunächst sind es noch ein paar gut ausgebaute kurvige Landstraßen, die danach schreien, mit etwas höherem Tempo durcheilt zu werden. Ich folge jetzt einem Lexus SUV, der statt der erlaubten 65 mph doch teilweise deutlich über 80 fährt. (Ich hoffe und bete inständig, daß er weiß, was er tut.) Zum Glück gibt es so gut wie keinen Verkehr und wir müssen nur ein paarmal überholen. Am Schluß geben wir uns beide an einer Ampel nebeneinanderstehend zum Abschied ein kollegiales freundschaftliches Handzeichen. Er ist halt Profi – wie ich. Er biegt rechts ab, ich links. War gut!
Für den Rest nehme ich dann die doofe Interstate und halte mich wieder brav an alle Regeln. Bin ja schon wieder befriedigt.
Wetter hervorragend. Zum Glück. Wieder bis zu 75 Grad. Sehr angenehm.
Um 12:30 Uhr melde ich mich bei EagleRider zurück. Rick nimmt das Motorrad an und die Formalitäten sind innerhalb zwei Minuten erledigt. Wunderbar. Josh kommt extra herbei, um mich wenigstens kurz zu begrüßen, er hat zu tun.
Dann packe ich meine Gepäcktaschen wieder voll und nehme Abschied von meinem treuen Pferd. Ich bin mit ihm insgesamt 2.406 Meilen (ca. 3.870 km) geritten, ja, okay, gefahren.
Um halbzwei bringt mich Rick im roten riesigen (man beachte, schon wieder etwas Besonderes), also im Firmen-Pick-up-Truck (Ford F-250 Super-Duty) zum Flughafen. Die Fahrt in dieser Riesenkiste ist schon allein ein tolles aufregendes Erlebnis. Bei uns eher nicht wünschenswert. Viel zu breit. Viel zu lang. Viel zu versoffen. Egal ob Benziner oder Diesel. Hochklettern statt Einsteigen. Dafür fühlt man sich dann aber auch wirklich im sprichwörtlichen Panzer.
Mir ist egal, wieviel die Kiste säuft. Ich brauche jetzt wenigstens keinen umständlichen Bus zu nehmen, wo ich wieder ständig ungläubig angestarrt werden würde. Und mir auch beim Umsteigen keinen mit dem Gepäck abquälen. Am Airport nehme ich herzlich Abschied von Rick. Er hat versprochen, mich/uns demnächst in Düsseldorf zu besuchen.
Erneuter Rekord am Flughafen: Der Check-in und der Security-Check ist innerhalb von zehn Minuten überstanden. Dank kurzer Wege bin ich ein paar Minuten später schon im Wartebereich. Die Manhattan-Skyline ist gut zu sehen. Hier warte ich in Ruhe und in wohltuender freundlicher Gesellschaft, bis sich mein Flieger pünktlich um kurz nach 18 Uhr in Bewegung setzt. Ich empfinde es eigentlich als etwas ungerecht, daß das Wetter draußen jetzt soo schön geworden ist. Bye, bye, New York, es war wundervoll bei Dir.
(Das lässige „Bye bye“ ist übrigens eine Verballhornung des englischen „Goodbye“, das wiederum eine Abkürzung des uralten „God be with you“ ist. Ich wußte das jedenfalls bisher nicht!)
Nach dem von mir total verschlafenen Flug überfliegen wir um kurz vor sieben Uhr morgens mein Heimatdorf am Rhein. Zum ersten Mal seit langem kann ich es von hier oben mal wieder sehen; sonst waren immer dicke Wolken dazwischen. Ich sende meine Energiestrahlen nach unten zu Irmgard und Hanni, um die beiden zu wecken. Um sieben Uhr landen wir in Frankfurt und um 9:30 Uhr bin ich zurück zuhause. Auch hier empfängt mich schönstes Spätsommerwetter.
Wahnsinn, was ich auf dieser Tour an Höhepunkten erlebt habe. Ich habe ja schon so einiges erlebt, aber so viel auf einer einzigen Reise nun doch nicht:
– Fahrradfahren in New York (cool)
– Ground Zero (ergreifend)
– Empire State Building (weitblickend)
– die Mt. Washington Auto-Road (abgründig)
– der „Flug“ mit dem ZIP-Rider (sausend)
– Ben & Jerry’s (süß)
– der Rundflug mit dem Wasserflugzeug (holprig)
– die beiden Niagara-Wasserfälle (berauschend)
– der uralte Ford (niedlich)
– das Woodstock-Festivalgelände (gänsehauterzeugend)
– der Flammenwerfer bei OCC (geil)
und vieles andere.
Die aufregendste aller meiner bisherigen Reisen. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Organisationstalent. In meinem nächsten Leben werde ich vielleicht Reiseorganisator. (schulterklopf.)
Übrigens: Meine Kreditkarte wurde auf dieser Tour beim Tanken stets einwandfrei und anstandslos von den Zapfsäulen akzeptiert. Zwei, dreimal mußte ich noch meine PLZ eintippen. Halt, doch, ein einziges Mal mußte ich reingehen. (Ist in den USA immer wieder ein langwieriges Dauerthema: Tankstelle und Kreditkarte. Viele USA-Reisende werden jetzt leidgeprüft Nicken und es mir gequält bestätigen. Ist halt von Staat zu Staat unterschiedlich.)
Wieder nichts Schlimmes passiert, außer dem kleinen Handykabel-Schaden, nichts kaputtgemacht, nichts verloren, keine Strafzettel, (hoffentlich kommt keiner nach), keine (unheimlich viel Zeit verschlingende) lästige Reifenpanne, und, jaanz wichtig, das Moped nicht umgeschmissen. (Es passiert ihm zwar meistens nichts dabei, aber es ist natürlich schrecklich peinlich!)
So soll es sein! Danke, mein lieber Schutzengel!
Ich denke inzwischen schon über eine Motorradtour von New York nach Vancouver nach, oder umgekehrt, auf jeden Fall quer durch Kanada, im nächsten Jahr. Mal sehen, ob was draus wird.
Fazit: Wieder eine schöne und gelungene Reise. Ich bin wirklich sehr glücklich mit mir und meinen Entscheidungen auf dieser Tour.
Vorankündigung: Meine nächste große Reise wird mich im Dezember nach Thailand führen. Zunächst einmal von Bangkok in den Norden als Besichtigungsreise, so wie sie halt alle Touristen machen, mit den üblichen kleinen „Abenteuern“, (Ritt auf einem Elefanten, ein, zwei Bootstouren und ein paar Klettereien), und dann noch für ein paar Tage über Krabi nach Koh Lanta zum üblichen Badeurlaub, um mich von der ersten Woche wieder zu erholen. Weiteres dazu später hier.
Ich bedanke mich bei allen geneigten Leserinnen und Lesern fürs Lesen. Wenn es überhaupt jemand bis hierhin geschafft hat.
Nicht vergessen: Lesen macht glücklich!
Und Glück ist die Quelle des Lebens!
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Wußten Sie es schon?
Geburtstage sind wichtig für Ihre Gesundheit!
Aufwändige Langzeit-Studien verschiedener großer internationaler Universitäten haben ergeben, daß Menschen, die mehr Geburtstage haben, länger leben.
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Zum von mir gewählten Titel "Wandel und Wechsel liebt, wer reist!": Das Originalzitat Wotans aus der Oper „Das Rheingold“ von Richard Wagner lautet „Wandel und Wechsel liebt, wer lebt“.
© 2013 Wilfried R. Virmond
Letztes Update mit Aktualisierung: 28.02.2023
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Ich bitte um Verständnis, ich bin oldschool und verwende deshalb größtenteils die alte Rechtschreibung
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Written with my own heart blood in EU
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Diesen Bericht widme ich meinem besten und einzigen Freund Harald, mit dem ich immer am liebsten in den USA (und auch sonstwo) rumgefahren bin.
Harry, Du fehlst mir unendlich!