Außen Reisebericht, innen viel Spaß
I like to entertain you
Direkt aus meiner Reisebericht-Manufaktur
und exklusiv hier auf wilfi.de
Aufgeschrieben von Wilfried Ingo Virmond
Hallo, ich sehe Dich nicht.
Und Du siehst mich nicht.
Doch das ist nicht das Problem.
Denn ich weiß, daß Du da bist.
Deshalb schreibe ich hier für Dich.
Erfahre hier mehr.
Lies es einfach.
Es ist kostenlos.
Für Dich!
Unsere Reiseroute im Libanon © google.de/maps
A = Beirut Flughafen • B = Sidon • C = Nassibs Zuhause • D = Zahlé • E = Baalbek • F = Bechwat
Inhaltsverzeichnis:
Mein guter Freund Nassib hat mich schon oft zu sich in den Libanon eingeladen. Und weil ich ihm ebenso oft abgesagt habe wie er mich eingeladen hat, habe ich nun endlich nachgegeben. Fünf unendlich lange und langweilige Monate ohne große Reisen liegen hinter mir. Es gab lediglich eine kurze (und schöne) Motorradtour für ein paar Tage nach und durch Thüringen. Und ein Ein-paar-Tage-Wohlfühltrip in den Odenwald. Ist schon traurig, worüber man sich inzwischen als ehemaliger Traveller freuen und dankbar sein muß…
Im Libanon gibt es aktuell nur ganz, ganz wenige Corona-Fälle. Deshalb: Corona hin, Corona her, ich will nicht mehr nur zuhause blöd rumsitzen und mir die Eier oder sonst was kraulen lassen und schon gar nicht jede Nacht den Mond stundenlang anheulen, das bringt ja alles nichts mehr, nein, ich habe meine Meinung geändert und will endlich mal wieder raus! Dazu habe ich mir kurzfristig einen Flug nach Beirut gebucht, was zunächst wirklich ganz einfach war, aber dabei nichtahnenkönnend, daß der diesmal ausgesuchte Termin gar nicht ungünstiger hätte sein können. Doch erst einmal bin ich freudig erregt und angenehm erwartungsvoll gestimmt.
Übrigens, bei spiegel.de habe ich eine Definition gelesen, die ich Euch hier nicht vorenthalten möchte:
„Coronavirus: Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das derzeit weltweit grassierende Virus Sars-CoV-2 gehört. Da es anfangs keinen Namen trug, sprach man in den ersten Wochen vom ’neuartigen Coronavirus‘.
Sars-CoV-2: Die WHO gab diesem neuartigen Coronavirus den Namen ‚Sars-CoV-2‘ (Severe Acute Respiratory Syndrome-Coronavirus-2). Mit der Bezeichnung ist das Virus gemeint, das Symptome verursachen kann, aber nicht muss.
Covid-19: Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit wurde ‚Covid-19‘ (Coronavirus-Disease-2019) genannt. Covid-19-Patienten sind dementsprechend Menschen, die das Virus Sars-CoV-2 in sich tragen und Symptome zeigen.“
Mittwoch, 05.08.2020 (Ein Tag vor meiner Abreise)
Bei dem schönen sonnigen Wetter will ich sowieso eine kleine Motorradtour machen und fahre am späten Vormittag die hundert Kilometer rüber zum Frankfurter Flughafen und parke im benachbarten „The Squaire-Parkhaus“, um mich dann dort mittels „Squaire Metro“, der führerlosen Bahn, und dann weiter zu Fuß zum Übergang zwischen DB-Fernbahnhof und Terminal 1 zu bewegen und um dann in dem ganzen Gedrängel den doofen Corona-Test machen zu lassen.
Wikipedia (von mir gekürzt): „The Squaire ist ein 660 Meter langes, bis zu 65 Meter breites und 45 Meter hohes Bürogebäude […]. Es wurde zwischen 2007 und 2011 über dem bestehenden Fernbahnhof am Frankfurter Flughafen gebaut und schafft zusätzliche Fläche für Büros, Hotels und Einzelhandel. Durch einen [brückenähnlichen] Verbindungsgang ist The Squaire direkt an das Terminal 1 des Flughafens angebunden. Mit einer Gesamtmietfläche von 140.000 m² gilt The Squaire als größtes Bürogebäude Deutschlands. Das Gebäude verfügt über eine eigene Großempfänger-Postleitzahl 60600. […]“
Zusatz von mir: Die Baukosten sollen ca. 1,25 Milliarden Euro betragen haben. Das Gebäude soll dann 2019 für ca. 940 Mio Euro an eine andere Besitzergruppe verkauft worden sein.
Ich muß mich am Ende einer langen und langsamschleichenden Warteschlange anstellen, (ja, ich weiß es, „langsamschleichend“ ist doppelt gemoppelt), und stehend weiterfortbewegen, ich meine „im Stehen“ (wie in jeder Menschenschlange). Am Ende, kurz vor den Testkabinen, gibt es dann wenigstens ein paar wenige Stühle.
Klar, logisch, wir sind ja alles „Bettler“, daher ist das ganze Prozedere hier überaus unfreundlich und kaltherzig. Unprofessionell sowieso. Alte Leute, kranke Menschen, Eltern mit Kindern und Kleinkindern, aber auch alle anderen müssen hier sehr viel Geduld und Kraft mitbringen. Der Test selbst, ein unangenehmer Abstrich mittels zweier Tupfer im Rachen, dauert dann noch nicht mal fünf Minuten. (Das dafür tätige Unternehmen erscheint mir ebenso groß wie umständlich. Da könnte man so manches besser organisieren. Wenn man Interesse daran hätte. Ich würde es jedenfalls den geplagten Leuten zuliebe besser machen.)
Nachtrag im Juli 2022: Damals, Mitte 2020, gab es noch nicht an jeder Ecke Teststationen.
Nach fast zwei Stunden darf ich erlöst wieder heimfahren. Die Warteschlange ist unterdessen noch länger geworden. Zurück geht’s dann recht lustvoll und bei noch angenehmer Temperatur, nicht schon wieder so heiß wie in den letzten Tagen, wir schreiben August 2020, über teilweise schmale, kurvige Sträßchen durch den Taunus und abschließend mit der Fähre über den Rhein und dann nach Hause.
Das Testergebnis erhalte ich immerhin wie versprochen später am Nachmittag per Mail. Es ist negativ.
Also alles okay, die Show kann beginnen. Drei Wochen Abenteuer in einem mir bisher noch unbekannten Land erwarten mich. Und ich wollte doch schon immer in den Libanon. (Vietnam wäre auch noch so ein Wunschziel für mich. Oder China. Ein bißchen Chinesisch kann ich ja schon dank unseres neuen, chinesisch sprechenden, Eierkochers. Aber ob ich da noch hinkommen werde?? Meine Restlebenszeit läuft beängstigend schnell ab…)
Donnerstag, 06.08.2020
Donnerstagmorgens stehe ich unausgeschlafen, leicht beklommen und etwas sorgenvoll auf; ich bin ein bißchen besorgt, ob auf meinem Trip alles gutgehen wird und was mich da so erwartet. Derart unangenehme Voraussetzungen hatte ich ja schließlich bisher noch nie zu Beginn einer neuen Reise: Nur zwei Tage zuvor, am 4. August 2020, hat die katastrophale Sprengstoffexplosion im Hafen Beiruts dort alles zerstört. Dann auch noch erschwerend Corona. Und die Corona-Vorschriften in den beiden Flughäfen und im Flieger sind ja auch reichlich „verschwommen“. Außerdem muß/will ich nach meiner Ankunft im Flughafen Beiruts ein „Visa on arrival“ beantragen, wozu es im Vorhinein vielerlei, sich oft widersprechende Infos gibt. Keiner weiß was bzw. jeder weiß was anderes. Geradezu ein babylonischer Wirrwarr. (Oder heißt es korrekt „babylonisches Wirrwarr“??) Hoffentlich habe ich überhaupt alle dafür notwendigen Papiere bei mir. Es wäre doch arg schlimm, wenn sie mich von dort gleich wieder nach Hause zurückschickten…
9:00 Uhr. Es fängt schon mal „gut“ an: Mein gestern vorbestelltes Taxi kommt nämlich eine halbe Stunde verspätet. Aber nicht schlimm, ich habe ja diesmal bereits ein bißchen Zeit für besondere Umstände und ungewisse Abläufe zwischen Abholung und finalem Boarding eingeplant. Fünfzig Minuten später, um zehn vor zehn Uhr, bin ich schon am Airport Frankfurt „FRA“ und rauche meine letzte Zigarette.
Wow, wirklich alles erschreckend leer hier. Ich wußte es ja bereits aus den Medien, aber jetzt die riesige, leere Halle (Terminal 1) mit eigenen Augen „in echt“ zu sehen, das ist doch reichlich ungewohnt. Ich war hier bestimmt schon über hundert Mal, doch so wenige Menschen habe ich hier in all den vielen Jahren niemals gesehen! Auch nicht in den sechziger Jahren. Auch nicht nachts oder frühmorgens. Und jetzt ist Vormittag! Da tanzt hier gewöhnlich der Bär, alles wuselt umeinander und die Leute trampeln sich um diese Uhrzeit gerne fast tot, so voll ist das sonst. (Deshalb war ich auch immer erleichtert, wenn ich in der großen Eingangshalle endlich durch war.) Aber es war ja auch noch nie Corona.
BTW: Terminal 2 ist seit April 2020 geschlossen und soll übrigens bis auf Weiteres auch geschlossen bleiben.
Unter den aktuellen Voraussetzungen nicht zu verstehen: Terminal 3, für Fracht und VIPs, jenseits der großen Start- und Landebahn, gegenüber im Süden, wird beständig (man könnte es auch „starrköpfig“ nennen) mit gefühlt hundert Baukränen weitergebaut und soll, coronakorrigiert, 2025 fertiggestellt werden. (Ergänzung im September 2021: „Nicht vor 2026“) Ich seh‘ da schwarz, die Erweiterung und der gigantische, nein, gigantöse Umbau dieses Terminals wird wohl lange Zeit mehr als überflüssig sein und auch nicht gebraucht werden. Schon gar nicht von den Privatfliegern mit ihren reichen und prominenten VIPs und doofen Regierungsleuten, denn die haben es dort ja sowieso schon lange recht luxuriös. Also wird niemand die unglaublich teure und verschwenderische Erweiterung dieses doofen Terminals 3 in den nächsten zehn Jahren benötigen. Genauso dieser neue „Flugsteig G“, der auch niemals benötigt werden wird! („Fraport“, das sind ja die größten Holzköpfe der Welt, da gibt es einfach kein Umdenken in den nicht vorhandenen Hirnen.) Abba mir ham’s ja! Ist jedenfalls meine persönliche Meinung! (Sorry für das off-topic.)
Unfaßbar: In noch nichtmal zwanzig Minuten bin ich mit allem durch, Einchecken, Bordkarte erhalten und Koffer aufgeben, Security, Paßkontrolle, Fußmarsch(!) bis zur Lounge am allerletzten Flugsteig. (Ja, ist mir bekannt, „der letzte“ kann nicht gesteigert werden, trotzdem, mir gefällt „der allerletzte“ ganz gut in diesem Zusammenhang.) Die parallel verlaufenden Rollbänder verweigere ich wie immer; Laufen ist schließlich gesund. Es ist wie so oft: Die verschlagenen, heimtückischen und mongoloiden Security-Cyborgs machen sich unterwegs mal wieder wichtig, geilen sich an meinem sich in meiner Handgepäcktasche versteckt habenden, zweiten (halbleeren) Feuerzeug auf und beschlagnahmen es sofort, wichtigtuerisch und mit ihrem sattsam bekannten widerlich gemeinen Grinsen. Ich wundere mich, daß sie mich nicht sofort verhaften und abführen. Und daß sie das brave kleine Feuerzeug nicht auch noch sofort an Ort und Stelle sprengen. (Schade, jetzt kann ich unsern Flieger nicht mehr… – naja, egal, was auch immer.)
Da fällt mir mal wieder die Geschichte mit den Aschenbechern im Flugzeug ein.
www.reisereporter.de: „Rauchverbot im Flugzeug. Warum gibt’s Aschenbecher?
Wohl jedem von uns ist das auf der Toilette im Flugzeug mal beiläufig aufgefallen: Die Hinweisschilder zum Rauchverbot – und daneben oder darunter ein Aschenbecher. Irgendwie kurios, oder?
Dafür gibt es aber tatsächlich eine einfache und logische Erklärung: Wenn sich jemand aus irgendeinem Grund trotz Verbot eine Zigarette ansteckt und sie dann in den Mülleimer schmeißt, könnte im schlimmsten Fall ein Feuer entstehen. Aschenbecher auf dem Flugzeug-Klo ist Pflicht.
Deshalb gibt es in jedem Flugzeug einen Aschenbecher. So kann sichergestellt werden, dass eine verbotenerweise angezündete Zigarette ‚gefahrenlos entsorgt‘ werden kann. Das hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) so festgelegt…“
(Stimmt alles gar nicht. Ich jedenfalls hab schon lange keine Aschenbecher mehr im Flieger gesehen, weder in der Armlehne noch in den Toiletten!)
Ich fliege mit MEA (Middle East Airlines) und hab mir für diesen Mittelstreckenflug gegen einen vergleichsweise geringen Aufpreis Business gegönnt. Logisch, auch in der für MEA zuständigen Lufthansa-Lounge ist kaum was los, es gibt nur ein paar ganz wenige andere Reisende um mich herum. Und nicht das sonst übliche Rumgewusel, Geschiebe, Gedrängel und Geschreie der Menschenmassen. Manchmal war ich hier schon froh, überhaupt einen Sitzplatz für mich zu finden. Das Essensangebot ist so dürftig wie vorher oft gelesen; ich vermisse die hier bisher oft angebotenen Frankfurter Würstchen und den Kartoffelsalat aus dem Eimer. (Ich bin ja bekennender, abhängiger Kartoffelsalat-Fetischist, Kartoffelsalat jeglicher Machart.)
Aber wenigstens ist die Ruhe recht angenehm.
Zum Bild oben: Ich frage mich, wie krank muß das Hirn des Lichtdesigners (Innenarchitekten) dieser Lounge sein, um solch eine bescheuerte, nichtssagende und völlig unnütze (und bestimmt sauteure) Schrift zu installieren. Nebenbei: „LIGHTS“ oder „UGHTS“? Oder hat das ganze vielleicht sogar einen Sinn? UGHTS? Sagt mir nix. Auch beim Googeln nichts gefunden. (grins)
Ich glaube mich zu erinnern, daß dies hier zu Vor-Corona-Zeiten eigentlich eine First-class-Lounge war, sodaß keine allzu große Gefahr besteht, daß ich mich hier in Zukunft noch einmal aufhalten muß. Falls ich jemals mal wieder Fliegen werde/darf und einen Businessflug erwische, werde ich mit Freuden wieder die ganz in der Nähe liegende alte LH-Lounge (jetzt wegen Corona geschlossen) aufsuchen; die ist zwar stinklangweilig, aber dort muß ich mich auch nicht über derart viel verschwendetes Geld und wahnsinnig gewordene, übergeschnappte, irre „Möchtegern-Designer“ aufregen.
Ich setz mich lieber in den hinteren „normalen“ Bereich, wo ich die „Licht-Installation“ nicht dauernd sehen muß und genieße die Stille:
Im Allgemeinen bin ich im Leben und speziell auch beim Fliegen ja schon mal etwas risikofreudig (sprich „knapp“) mit meinem Zeitmanagement; diesmal bin ich mal viel zu früh. Egal wie ich’s mache, es ist immer falsch. Aber ich bin heute endlich mal gut aufgehoben und die Lounge trägt ihren Namen ganz zurecht. Habe ja in weiser Voraussicht auch ein interessantes Buch dabei: „Zwei nach Shanghai“ von den Hoepner-Zwillingen. Im TV habe ich die Folgen schon mehrmals gesehen, jetzt aber im Buch alles viel ausführlicher lesen zu können über ihr wahnwitziges Vorhaben, mit dem Fahrrad von Berlin nach Shanghai zu radeln, ist ja noch viel interessanter/aufregender. Die Wartezeit ist also keinesfalls langweilig oder gar verschwendet. (Nur schade, ich weiß bereits, wie das Buch ausgeht – verrate es aber hier natürlich nicht. Also kein Spoiler-Alarm nötig!)
Mein Flieger startet exakt am selben Gate (B 47) wie meine bisherigen Thailand-Flüge. (Ob ich jemals wieder dort hinkommen werde??? Und ist das jetzt ein eher gutes Signal für meine sehnsüchtig ersehnten, zukünftigen Thailand-Reisen???) Eine Gruppe THW-Leute fliegt mit, darunter auch ein Schäferhund, ohne in einer Transportbox zu sein, ich sehe jedenfalls keine.
Ich hatte es insgeheim ein bißchen befürchtet, habe aber Glück: Unser Flieger steht nicht auf einer mehr oder weniger weit entfernten Außenposition, wo man erst umständlich mit dem Vorfeldbus hingebracht werden muß. MEA (Middle East Airlines) ist also glücklicherweise keine dieser schäbigen Billigfluggesellschaften, und wir gelangen somit alle über den normalen „Finger“ in den Flieger. (Ich hasse diese Vorfeldbusse ganz besonders! Sie sind umständlich und man braucht ganz viel Geduld. Nur, damit die Fluggesellschaften noch mehr sparen bzw. verdienen können.)
11:50 Uhr. Pushback. Wir werden zurückgeschoben, die beiden Triebwerke werden angelassen und wir bekommen Rollerlaubnis. Unser A320 setzt sich pünktlich in Bewegung. Ich atme auf, jetzt kann erstmal nichts mehr schiefgehen.
Mein Flug ist völlig entspannt. Hier in den vorderen Business-class-Reihen habe ich echt viel Platz mit wirklich sehr viel, geradezu verschwenderisch viel Beinfreiheit. Viel mehr als sonst in den billigen/engen Mittelstrecke-Lufthansa-Flugzeugen. Der Sitz und überhaupt die ganze Reihe neben mir bleiben leer. Gefällt mir. Der Flieger ist offenbar noch neuwertig. Erstaunlich. Ich hatte insgeheim genau das Gegenteil erwartet/befürchtet.
Die Flugbegleiterinnen haben Mundschutz, blaue Gummihandschuhe und die inzwischen bekannten hellblauen „Putzfrauen“–Kittel an; die Passagiere und ich nur die Atemschutzmasken. Das Essen unterwegs ist einfach, alles aus einer Schachtel, an Getränken gibt es nur Wasser und O-Saft aus derselben, sonst leider nichts. Auch kein Rotwein. Alles wegen dem Sch…-Corona!! Fuck! Gefällt mir nicht!
Das Filmangebot überrascht mich. Es ist unerwartet umfangreich. Aber leider nichts in Deutsch dabei. Naja, so kann man sein Englisch „wie im Flug“ aufbessern. Die Kopfhörer haben sogar „Noise cancelling“.
17:10 Uhr. Nach vier Stunden Flugzeit (2.850 Kilometer) plus eine Stunde Zeitverschiebung komme ich nachmittags gutgelaunt und erwartungsvoll in Beirut (BEY) an. Ich habe Glück, ich sitze auf der „falschen“ Seite im Flieger, und deshalb bleibt mir beim Landeanflug der Anblick des schrecklichen Orts der katastrophalen Explosion von vor zwei Tagen erspart.
Wikipedia: „Der Rafiq-Hariri-Flughafen ist am südlichen Stadtrand von Beirut gelegen, er ist der (einzige) internationale Flughafen des Libanon. Er ist Stützpunkt der Middle East Airlines MEA.
Ursprünglich trug er den Namen ‚Beirut International Airport‘. Am 22. Juni 2005 erfolgte die Umbenennung zu Ehren des im Volk sehr beliebten ehemaligen Premierministers Rafiq al-Hariri, der am 14. Februar 2005 einem Attentat auf seinen Fahrzeugkonvoi [W.V.: mit 3.000 Kilogramm Sprengstoff!] zum Opfer gefallen war.“
Anmerkung von mir dazu: Ein paar Tage nach meiner Rückkehr, am 18. August 2020, wurde einer dieser vier Attentäter in Abwesenheit endlich von einem UN-Tribunal schuldig gesprochen; er und die anderen drei Attentäter sind weiterhin flüchtig. Ein „Urteil“ soll „demnächst“ folgen. (Was für eine Geldverschwendung! Das Geld für diesen Mammutprozeß hätte man auch gleich verbrennen können. Und mit dem Papier dieses Urteils kann man sich wahrscheinlich noch nicht einmal den Hintern abwischen.)
Der Hafen ist im Westen Beiruts. Der Flughafen im Süden. Und wir werden mit dem Auto weiter nach Süden fahren. Deshalb komme ich gar nicht mit dem Ort des Schreckens in Berührung. Sowas will ich auch gar nicht sehen!
Auch hier alles total entspannt. Der Flughafen ist sehr einfach eingerichtet, alles grau in grau, und natürlich ist auch hier wenig los; er ist ja auch winzig im Vergleich zu den Flughäfen, die man sonst so kennt. Paßkontrolle, kurzer, besonders unangenehmer Abstrich aus der Nase für den obligatorischen Coronatest, dann noch den Koffer vom Band heben. Bei der finalen Auslaßkontrolle brauche ich nur noch meine Einladung und den gestern in Frankfurt gemachten negativen Cororonatest vorzuzeigen und fertig. Und dann rasch durch den Ausgang raus, bevor die es sich noch anders überlegen. (Die ganzen zusätzlichen Papiere, u.a. der gestern noch rasch gebuchte Rückflug, werden gar nicht benötigt!)
Mein Freund Nassib erwartet mich bereits am Ausgang und ist bass erstaunt, daß ich so schnell nach der Landung rauskomme. Er hatte mich deutlich später erwartet, aber das gesamte Einreise-Brimborium war einfach, schnell und überhaupt easy. Und kostenlos war auch alles. (freu)
Erleichtert kann ich also meine Maske abnehmen und meinen Freund herzlich umarmen. Merhaba, mein Freund. (Ich nehme einfach das türkische Guten Tag. Eigentlich ist es falsch. Aber das berühmte „Salem aleikum“ sagt man hier besser nicht als Christ zu einem Christ.)
Angst vor Corona-Ansteckung hab ich keine; auf der gesamten Reise auch nicht. Und dabei werde ich unterwegs wirklich viele ungewaschene Hände schütteln müssen. Zurückblickend läuft es mir jetzt allerdings etwas kühl den Rücken runter…
Wir sprechen Englisch miteinander, manchmal mit dem einen oder anderen französischen Wort durchsetzt, was mir gut gefällt. Verständigungsschwierigkeiten werden wir jedenfalls keine haben. Außerdem ist Nassib, wie gerade bereits angedeutet, ein orientalischer Christ. Sonst würde ich ihn wahrscheinlich auch nicht besuchen. Moslem-Leute mag ich nicht so eng und nicht so lange um mich herum.
Wow! Ich in Beirut! Ich im Nahen Osten! Ich wollte schon ewig mal hierher. Und jetzt ist es endlich soweit! Und es war so einfach. Ich frage mich, warum ich es nicht schon viel eher getan habe.
Wikipedia: „Der Libanon ist ein Staat in Vorderasien am Mittelmeer. Er grenzt im Norden und Osten an Syrien und im Süden entlang der Blauen Linie an Israel. Im Westen wird er vom Mittelmeer begrenzt. Der Libanon wird zu den Maschrek-Ländern und zur Levante gerechnet. Das bis zu 3.000 Meter hohe Libanon-Gebirge ist im Winter schneebedeckt. Von dessen weißen Gipfeln wird der Landesname abgeleitet, der auf die semitische Sprachwurzel lbn (‚weiß‘) zurückgeht.
Im Libanon lebten im Juli 2015 etwa 6,18 Millionen Menschen, knapp die Hälfte davon in der Hauptstadtregion Beirut. Weitere Großstädte sind Tripoli, Sidon, Tyros, Zahlé, Jounieh und Nabatäa.“
(Hinweis von mir: Bangkok zum Beispiel hatte 2010 über 8,2 Mio Einwohner.)
Es sind nur ein paar Schritte zum Parkplatz. Welches Auto ist es? Meine Augen blicken suchend an der Reihe Autos entlang und bleiben schließlich wohlwollend an einer sauberen E-Klasse kleben. Nassib bleibt auch kurz vor dem Mercedes stehen und – geht ein Auto weiter. Oh weh, diese Schrottkarre? Noch nichtmal abgeschlossen; beide Seitenscheiben runtergedreht. Fährt die Schrottkiste überhaupt noch?? Ein kleiner, bemitleidenswerter (ehemals) schwarzer, staubiger Kia Picanto steht da vor mir und guckt mich mit traurigen Augen an. Hinten sieht der Arme auch nicht besser aus. Die Beifahrertür geht nur von innen auf. (Naja, immerhin. Besser, als durchs Fenster rein- und rausklettern zu müssen.) Die Heckklappe ebenso; sie läßt sich auch nur noch von innen öffnen.
Nassib spricht beim Rausfahren kurz mit dem Parkwächter und dieser öffnet brav (gehorsam) den Schlagbaum; es kostet uns also nichts.
Damals, im April 2011, auf meiner Reise im Sonderzug von Amman nach Istanbul wollten wir ja bereits einen kurzen Abstecher in den Libanon machen, der dann aber aufgrund des gerade (eigentlich am nächsten Tag) beginnenden Bürgerkriegs in Syrien leider ganz kurzfristig von unserer Reiseleitung gecancelt werden mußte. Wir kamen damals nur noch mit reichlich Herzklopfen gerade noch so über die Grenze in die Türkei; ich erinnere mich noch ziemlich genau, ein paar Leute im Zug hatten blanke Angst. Ich sah es aber eher lässig. Ich bin so froh, daß es jetzt doch noch endlich geklappt hat. Libanon. ICH BIN IM LIBANON!
Unser Weg führt ein kurzes Stück durch die Stadt. Alles Leben erscheint mir hier völlig normal, also hektisch, irrwitzig, laut. Halt „Arabisch“. Von der Explosionskatastrophe ist nichts zu bemerken.
Schnell erkenne ich: Der Stärkere (bzw. Frechere) hat automatisch Vorfahrt. Nassib erklärt mir, daß diese Straße hier „kürzlich“ (vor über einem Jahr) aufgerissen werden mußte und noch nicht wieder asphaltiert worden ist. Aha, deshalb so holprig; wir werden alle drei heftig hin- und hergeschüttelt, wir beide und das arme Auto. Gegen die Staubentwicklung wird hier regelmäßig alles feucht gehalten.
Ich habe Mitleid mit unserm armen, kleinen Kia. Er ist in einem bedauernswerten, oder soll ich sagen, erbarmungswürdigen Zustand, doch trotz der Quälerei hält er alles bewundernswert stoisch und tapfer aus.
Es geht nach Süden, zunächst ein paar Kilometer parallel zur „Autobahn“, weil es dort drüben sichtbar viel Traffic Jam, Verkehrsstau, gibt. Ich werde weiter heftig durchgeschüttelt, obwohl schon längst wieder Asphalt. Sofort mache ich Bekanntschaft mit unglaublich lästigen Bodenwellen; es gibt sie öfters im Land. Nassib bremst davor nur wenig ab und saust meistens, nein, immer viel zu schnell drüber. Ich staune, wie der kleine Kia die Tortur aushält. Und bekomme etwas Angst um ihn. Und um seine Stoßdämpfer. Und um die Federn.
Zunächst erstaunlich, aber man gewöhnt sich dran: Mir fallen immer mal wieder Autos mit D- bzw. CH-Schild auf. Auch Lieferwagen und Lkw mit deutscher Beschriftung gibt es häufig. Das war in Jordanien auch schon so.
Noch kurz Tanken und dann sind wir endlich auf der Schnellstraße, die entlang der Küste verläuft.
Wikipedia: „Zum Teil sehr dichtes Straßennetz (vor allem im Westen im Küstenbereich). Die wichtigsten Strecken sind die teilweise als Autobahn ausgebaute Nord-Süd-Küstenstraße zwischen der syrischen und israelischen Grenze (228 km), die Ost-West-Fernverkehrsstraße nach Damaskus (112 km) und die Nord-Süd-Binnenstraße von der syrischen Grenze über Baalbek und Zahlé nach Beirut. Obwohl die Hauptstraßen asphaltiert sind, ist die Qualität der meisten Straßen schlecht, in den Bergen sehr schlecht, Pass- und Gebirgsstraßen (außer die wichtigsten Hauptrouten) sind nur im Sommer sicher befahrbar. In und um Beirut herrscht immenser Verkehr, ebenso auf der Küstenautobahn Tripoli – Beirut – Tyros.
Unfälle sind häufig: 2018 gab es im Libanon mit seinen 6,8 Mio Millionen Einwohnern über 11.000 Verletzte und 1.000 Tote im Straßenverkehr.“
Nachtrag von mir, W.V.: Thailand 2019 ca. 22.000 Tote bei 70 Mio Einwohnern.
Aber, auch hier auf der „Autobahn“ wird es nicht besser. Die Straße ist in einem desolaten Zustand, genauso wie die meisten Autos, die unterwegs sind. Aber es gibt auch sehr viele neue und neuwertige Autos. Man fährt, wie man will und wählt sich die Fahrspur, die einem persönlich am besten gefällt. Insbesondere auch beim Überholen. Ab und zu müssen wir uns durch einen militärischen Checkpoint quetschen.
Ich merke schnell, daß Auspuff, Scheinwerfer, Rücklicht, Bremslicht, Windschutzscheiben und all dieses nutzlose Beiwerk an libanesischen Autos völlig unnütz sind und gar nicht benötigt werden – und deshalb auch niemals repariert werden müssen. Die Bezeichnung „unnötiger Zierrat“ fällt mir ein. Hauptsache, nein, einzige Voraussetzung ist, daß der Motor noch irgendwie läuft. Und daß man so schnell fährt wie es geht. Man merke sich: Ein Fahrzeug darf fahren, solange es fährt. Sein Zustand ist absolut unwichtig. Weder technisch noch optisch. Punkt! Nummernschilder muß man auch nicht haben. Wer cool sein will, fährt ohne. Notfalls genügen aber auch irgendwelche mitgebrachten deutsche Schilder, die den hiesigen sehr ähnlich sehen. Stempel und Plaketten darauf sind entbehrlich. Haftpflichtversicherung ist ebenso überflüssig; viele haben deshalb auch gar keine. Und seinen Führerschein hat man hier oft gekauft. Ohne Prüfung.
Und noch etwas Erstaunliches fällt mir auf: Ich sehe keinen Rost an den Autos, obwohl sie ja oft alt oder uralt sind.
In Sidon (arabisch Saïda) verlassen wir die Autobahn und quälen uns durch den engen, zähflüssigen Stadtverkehr. Nassib quetscht sich überall frech rein bzw. durch den stehenden Verkehr. Mir stehen die Haare zu Berge. Ich bekomme immer wieder etwas Angst. Und nicht mehr nur um unser Auto.
Wikipedia: „Sidon […] ist die viertgrößte Stadt des Libanon. Sie ist die Hauptstadt des Gouvernements Süd-Libanon und des Distrikts Sidon. Sidon liegt am Mittelmeer nördlich von Tyros und südlich der Hauptstadt Beirut. Der Name bedeutet so viel wie Fischerstadt.“
Hier tauschen wir bei einem von Nassibs Freunden etwas Geld in Libanesische Pfund (EUR in LBP). Für 200 Euro erhalte ich 1.600.000 (eins Komma sechs Millionen) Pfund. Die Geldscheine haben entsetzlich viele Nullen. Die Inflation im Land galoppiert. Aber, jetzt bin ich endlich Millionär… (grins)
Deshalb muß man wissen, daß man hier sein Geld auf gar keinen Fall „offiziell“, d.h. bei einer Bank umtauschen sollte! Der amtliche Wechselkurs bei den Banken ist saumäßig schlecht und wird jeden Tag ungünstiger.
Danach machen wir noch einen kurzen Stopp an einem riesigen Supermarkt („Spinneys“), die es hier im Libanon nur sehr selten und nur in ein paar großen Städten an der Küste gibt, damit ich mir nach eigenen Wünschen ein paar Lebensmittel kaufen kann. (Der Laden würde sich auch bei uns gut machen. Breite Gänge, vielfältiges Angebot, aufmerksames Personal.) Leider ist keine Zeit, um den Laden bzw. sein Angebot etwas näher in Augenschein nehmen zu können. An der Kasse packt ein freundlicher Mitarbeiter alles Eingekaufte sorgsam in Plastikbeutel, die er anschließend zunächst in unseren Einkaufswagen hebt. Danach fährt er den Wagen zum Auto und lädt (gegen eine Handvoll Piaster, also ein paar wenige Eurocent Trinkgeld) alles sorgfältig in unseren Kia. (Wow, wünschte ich mir für zuhause auch. Sehr!)
Und dann sausen wir holterdiepolter und wischiwuschi über enge Straßen weiter in die Berge hoch. Nassib überholt auch hier meistens ohne Zögern, sehr gerne und überhaupt am liebsten vor unübersichtlichen Kurven. Alles was uns im Wege steht wird gnadenlos „niedergemetzelt“. Ich bin immer wieder erleichtert, wenn uns kein Kind, keine Oma, kein Hund oder sonst was vor bzw. unter die Räder gekommen ist.
Zu gerne würde ich ein paar Fotos von der Aussicht und vom Sonnenuntergang machen, aber meiner Bitte zum Anhalten folgt er nicht. Keine Zeit. Ich muß dieserhalb und desterwegen möglichst locker aus dem fahrenden (rasenden) Auto heraus „schießen“, was natürlich keine guten Resultate bringt:
Wider alles Erwarten geht alles gut, schließlich kommen wir unverletzt ganz oben auf einem Berg in einem kleinen Ort an, halten und betreten ein Restaurant. Unser Auto wird unterdessen von einem Mitarbeiter irgendwo geparkt. Ich kann erstmal durchschnaufen.
Das Restaurant und die angebotenen Speisen (und Getränke) bereiten mir echt Freude. Cool! Endlich kann ich mich nach und nach entspannen. Es gibt viele verschiedene Schüsseln mit Gemüse, Oliven (im Libanon natürlich immer mit Stein), Kartoffeln, Pommes, rohe Zwiebeln, Humus und dazu frisch bereitetes Fladenbrot. Außerdem undefinierbare Fleischbrocken, die ich aber nicht anrühre. Nassib kann (während unserer gesamten Zeit) nicht verstehen, daß ich kein Fleisch mag, und das libanesische schonmal gar nicht. Viele Leute in unserer Umgebung werden sich sein Unverständnis darüber anhören müssen – und die mich dann mit erstaunten Blicken beäugen.
Kürzlich hat er mir ein paar Fotos geschickt, auf denen eines seiner drei Schafe abgeschlachtet worden ist. Ich habe ihm damals und überhaupt schon oft gesagt, daß ich es nicht mag, wenn Tiere getötet werden. Doch dafür hat er null Verständnis. (Weiß man ja, arabische Menschen und Tierschutz passen wirklich nicht zusammen.)
Wir trinken Mineralwasser und angenehm kaltes Bier (Almaza, „A light carbonation tingle dances from the tip of the tongue…„), das mir erstaunlicherweise ganz gut schmeckt. Und Arak.
Wikipedia: „Arak oder Araq ist ein klarer, ungesüßter Anisschnaps. Er wird begrifflich oft verwechselt mit Arrak, dem wesentlich süßlicheren Reisbranntwein, der in Indien, Sri Lanka, Südostasien und auch Russland verbreitet ist. Das Hinzufügen von Eis oder Wasser verursacht eine milchige Trübung der sonst klaren Spirituose (Louche-Effekt).“
Meinen, zugegeben, ungeübten Geschmacksnerven schmecken Arak, Raki, Ouzo und Pastis übrigens gleich – und überhaupt nach Lakritz, das ich noch nie mochte, noch nichtmal als Kind. Und, ich brauche sie auch jetzt nicht unbedingt zum Leben. (Ich bin ja bekanntermaßen ein sehr einfacher Mensch und mag nur kühlen Rotwein und eiskaltes Bier, um mich wohlfühlen zu können.)
Zur Karaffe mit dem Arak (0,5 Liter?) gibt es acht kleine Gläser. Denn man schenkt hier auf gar keinen Fall Arak im leergetrunkenen Glas nach! Wirklich ganz wichtig: Es muß unbedingt jedes Mal ein neues, sauberes Glas genommen werden!
Es gibt eine phantastisch weite Aussicht und immer noch die Reste des finalen Sonnenuntergangs.
Ich mache mir inzwischen immer mehr Sorgen, wie Nassib im Dunkel der Nacht die Weiterfahrt bewältigen will, denn ich trinke nur zwei Gläser des Araks, er den Rest; die Karaffe ist längst leer.
Ich bezahle, unser Auto steht schon mit laufendem Motor bereit, und wir fahren/sausen noch einmal ca. fünfzehn, zwanzig Kilometer durch die Nacht den Berg runter. Glücklicherweise kommen uns unterwegs nur ein paar ganz wenige Autos entgegen. (Und noch weniger Menschenwesen…) Tiere gibt’s auf der Fahrbahn auch keine. Und Überholen ist gottseidank auch nicht nötig. Trotzdem, ich muß schon wieder ob so mancher enger Kurve oft den Atem anhalten. Mein rechter Fuß sucht vergeblich nach einem Bremspedal. Alles geht schließlich gut. Lohn der Angst: Wir sind da. Heil und gesund! Mazmoura. In unmittelbarer Nähe befindet sich die berühmte Church of Our Lady of Assumption-Mazraat El Dahr. Und in der anderen Richtung die Church Saint Joseph Bkifa. Da kann uns ja gar nichts passieren.
Wir müssen noch einen unglaublich steilen und kurvigen Weg zum Haus hochfahren und ich kann endlich wieder erleichtert aufatmen.
Nassib lebt zurzeit noch allein, nur zwei syrische Flüchtlinge hat er hier im Haus aufgenommen: Machul zeigt mir mein Zimmer im Obergeschoß und bringt meinen Koffer rauf. Seine Frau ist Sylvana.
Das Zimmer macht einen ordentlichen und einladenden Eindruck. Wenn auch (noch?) ohne Tür. Alle drei Fenster offen, das hab ich gerne so. Endlich kann ich mich Schlafen legen. Bin müde, es war doch ein langer Tag. Außerdem ist fast Mitternacht.
Zahlreiche Hunde heulen nachts im Tal.
Freitag, 07.08.2020
7:00 Uhr. Am nächsten Morgen wache ich auf. Rings um mich herum öffnen sich die Blüten, um das morgendliche wohltuende Sonnenlicht einzufangen.
Ich hatte nachts Besuch. Unzählige Moskitos haben sich an mir gelabt. Sämtliche Fenster im Haus stehen immer offen und die Mistviecher nutzten hemmungslos den freien Eintritt. Ich mußte deshalb die ganze Nacht unentwegt um mich schlagen und bin reichlich zermartert. Aber mit geschlossenen Fenstern kann ich auch nicht schlafen.
Hier ist zwar nicht ganz der Arsch der Welt, aber ich bin wahrscheinlich da, wo den Engelchen die Löckchen wachsen. Nassib hat mir gestern schon gesagt, daß das hier ein winziges Dorf ist. Der nächste größere Ort ist Sidon, und das ist mit Nassibs Fahrweise etwa zwanzig Minuten entfernt.
Ein bißchen tröstet mich dann die morgendliche Kühle und die Aussicht ins Tal und weiter hinaus und die Mückenstiche sind halt bald nur noch Mückenstiche. Wir schauen nach Südwesten. Bei klarem Wetter sind manchmal, ganz hinten rechts, im Westen, sogar noch ein bißchen Mittelmeer und abends die dort darin untergehende Sonne erkennbar.
Nassib hat sein Haus gerade neu gebaut; im Moment ist noch „Baustelle“. Das heißt, innen und außen sieht’s noch etwas schlimm aus. Bauarbeiten ruhen im Sommer im Libanon, landesweit, und es geht überall erst im Herbst wieder weiter. Im ganzen Land werde ich unzählige Baustellen sehen, an denen wirklich nirgendwo gearbeitet wird. Nassibs Haus sieht aber immerhin von außen schon sehr repräsentativ aus. Innen gibt es noch keinerlei Türen, Tapeten, Wandfarbe, aber man ahnt bereits den guten, leicht orientalischen Geschmack (des Architekten?). Nassib ist auch oft im Land oder im Ausland unterwegs, er hat es offenbar nicht eilig mit dem Fertigwerden seiner Immobilie. Hier sieht man das Haus:
Nassib lädt mich zu einem morgendlichen „Spaziergang“ ein. Dazu hat er extra für mich ein paar seiner Sportschuhe gewaschen und sie passen mir auch ganz gut. (Warum eigentlich? Meine gerade neu in China gekauften Allzweck-Sandalen sind doch eigentlich viel besser und überhaupt für alles geeignet. Aber er meint es ja gut und so darf ich die Schuhe nicht ausschlagen.)
Er erklärt mir unterwegs, daß die Hunde, die ich des nachts gehört habe, in Wirklichkeit Füchse waren. (Bellen Füchse tatsächlich so laut?)
Wir laufen zunächst ins Tal hinunter und dann einen Fahrweg den Berg hinauf. Dort führt er mich zu einer Steinmetzfirma. Die Firma gehört seinem Cousin George, der ca. zehn Leute beschäftigt. George erzählt mir, daß er jetzt zu Corona-Zeiten besonders viel zu tun hat und nur schwer den zahlreichen Aufträgen hinterherkommt.
Wir verabschieden uns bald und wandern weiter hinauf; der meist gar nicht vorhandene „Weg“ geht leicht bergauf. Fleißige Bienen und lebhafte Schmetterlinge begleiten uns. Vögel zwitschern vergnügt. Angenehme Vormittagsstimmung erfüllt mich. Schon lange gibt es keinen Verkehrslärm mehr.
Es gibt unterwegs viele Bäume und Büsche und ein paar einfache Gärten. Nassib fordert mich unterwegs ständig auf, alle möglichen Gemüse- und Obstarten zu probieren. Ungewaschen, aber ich muß gute Miene machen und darf es ihm nicht verweigern. Und es ist ja nur Mundraub. In einem größeren Garten-Grundstück finden wir einen jungen Mann, der hier alles in Ordnung hält. Auch hier wieder kostenloses Probeprobieren. Ich erinnere mich an Tomaten, Feigen, Trauben, Nüsse, Äpfel. Aber ich hatte ja auch noch kein Frühstück.
Danach geht es immer weiter den Berg hinauf, Nassib kommt mir kaum hinterher und ich muß jetzt immer öfter auf ihn warten, obwohl er zwanzig Jahre jünger ist als ich. (Aber fünfzig Kilo schwerer.)
Heiß wird es, obwohl noch immer erst Vormittag ist. Ich schwitze etwas, Nassib ist dagegen schon total durchnäßt. Aber er kennt keine Gnade, immer weiter rauf.
Er quatscht ununterbrochen. Besonders witzig empfinde ich es, wenn er mich auf die uns umgebende, eigentlich angenehme Stille der Natur hinweist und sie dabei mit seinem stundenlangen ununterbrochenen Gequatsche konterkariert. Auf alles und jedes weist er mich hin und beginnt ständig und jeden Satz mit „Look…“ (Sieh, dort, denk‘ mal…). Die kleinsten und unwichtigsten und/oder selbstverständlichen und für Jeden ganz leicht erkennbaren Dinge werden mir gezeigt und langatmig erklärt, und das oft mehrfach, nein, vielfach.
Er trägt schon fast von Anfang an einen schweren Ast mit sich rum, weil er Angst vor hier lebenden wilden Wölfen hat. Einen zweiten Ast, den er mir anbietet, lehne ich ab. Wölfe sind scheu und werden uns wohl eher nicht angreifen, noch dazu am hellichten Tag.
Ganz oben dann endlich der Höhepunkt: Eine kleine Kapelle und eine hohe weiße Statue der Heiligen Jungfrau Maria. Nassib ist christlich und hat mir schon mehrmals erklärt, daß die größte (und einzigrichtige!) Religion im Libanon das Christentum ist. Erst dann folgt von der Bedeutung her der Islam. Aber das ist für ihn keine Religion, genauso wenig wie der Buddhismus. (Er hat auch schon mehrmals mit Jesus persönlich gesprochen.)
Aha, deshalb sehe ich ständig und überall jede Menge Kirchen und nur ganz wenige Moscheen. Sehr angenehm. (Ich verabscheue Moscheen und vor allem das von ihnen fünfmal am Tag ausgesandte Geschrei abgrundtief!)
Die Aussicht ist phänomenal! Ein Ort zum Wohlfühlen. Ich empfinde ganz deutlich Magische Strahlen. Wenn nur Nassib nicht so viel und pausenlos quasseln würde. Hier würde ich gerne den restlichen Tag verbringen.
Ein sehr kleines und einfaches Restaurant gibt es auch. Nassib sagt mir, daß es tagsüber ohne Voranmeldung meistens geschlossen ist. Außer wenn kleinere oder größere Wallfahrer-Gruppen per Reisebus herkommen.
Logisch, auch hier oben muß ich den zufällig anwesenden Besitzer und seinen Bekannten begrüßen und viel quatschen; sie machen gerade alles sauber. Englisch ist im Libanon weit verbreitet. Eigentlich mehr als das traditionelle Französisch, das ich halt eher erwartet hätte. Nassib sagt mir dazu, daß in den größeren Städten das Französische überwiegt. Aber wie will man das überhaupt beurteilen? In den Schulen wird mehr Französisch gelehrt, im Geschäftsleben spricht man mehr Englisch. Wir hatten ja in meiner Firma früher gelegentlich Kunden aus dem Libanon, da war es meiner Erinnerung nach eher halbe/halbe. Auch an unseren Messeständen. Frankreich ist jetzt aber nicht mehr sehr beliebt, jedenfalls habe ich es so in den Gesprächen mit den Leuten gelegentlich herausgehört.
Ich kann gar nicht anders, ich muß mich wiederholen: Ein Ort der wundervollen Ruhe und eines glücklichmachenden Friedens, und die unglaubliche, paradiesische Aussicht kommt noch hinzu. Ich muß unbedingt noch einmal hierher kommen, für länger!
Auf dem Rückweg, endlich wieder bergab, leicht und beschwingt, machen wir natürlich noch ein paar weitere Besuche bei Freunden und zuletzt bei einer von Nassibs Cousinen in ihrem kleinen Laden in unserm Ort. Ist alles ganz schön, denn dadurch bekomme ich vom täglichen Leben viel mit.
Gegen viertel vor zwei sind wir zurück und endlich können wir unser redlich verdientes und schwer erarbeitetes Frühstück und Mittagessen nachholen. Machuls Frau Sylvana hat alles vorbereitet. Es gibt meinen heißgeliebten Humus (wird hier eigentlich „Hommos“ gesprochen) und dazu viel Tomaten, kleine Gurken, Rettich, Zwiebeln, schwarze und grüne Oliven und allerlei mehr gute Sachen. Und Fladenbrot natürlich. Danach wieder die kleinen Täßchen Kaffee, türkischen Kaffee – mit viel Kaffeesatz in der Tasse, wie ich ihn so sehr „liebe“.
Danach ruhen wir uns aus. Keine Moskitos tagsüber. Am späten Nachmittag brechen wir zu einem „Worship“ (Gottesdienst) auf. Nassib ist ja ein gläubiger Christ. Und „Phönizischer Abstammung“. Darauf legt er sehr großen Wert und ist auch sehr stolz darauf.
Wikipedia: „Die Phönizier […] waren ein semitisches Volk des Altertums, welches im 1. Jahrtausend v. Chr. die Levante bevölkerte. Der als Phönizien bezeichnete geografische Raum erstreckt sich entlang der östlichen Mittelmeerküste. […]“
Genau wie ich mag er keine Moslem-Leute und er läßt sich auf der halbstündigen Fahrt recht nachhaltig über sie aus.
Der Kia war übrigens bereits morgens verschwunden, er gehört einem Familienmitglied. Jetzt fahren wir mit Nassibs fünfundvierzig Jahre altem schwarzen 200er Mercedes, Baujahr 1975, W114, also ein „/8“, gesprochen „Strich acht“. Es ist ein Benziner.
Das arme alte Auto ist in einem noch bedauernswerteren Zustand als der arme Kia, aber der war und ist ja auch erst ein paar Jahre jung. Hier am Mercedes ist wirklich alles kaputt. Auch die im Libanon wichtige und eigentlich lebensnotwendige Hupe. (Halt, stopp, ich muß mich korrigieren: Das Kofferraumschloß funktioniert noch…)
Dazu ein immerwährender, beißender, unerträglicher Gestank im Innern, irgendwas der Abgasanlage im Motorraum ist undicht. Vielleicht ist es Benzingestank oder es sind Auspuff-Abgase oder eine Mischung aus beiden. Später tippe ich (als Oldtimer-Spezialist) aber doch mehr auf die Kofferraum-Dichtung, die ja allgemein nach so langer Zeit gerne porös werden und dann Abgas ins Innere reinlassen. Das kann schon sehr penetrant werden. Glücklicherweise sind alle vier Seitenscheiben offen, immer, die gesamte Zeit, alle Tage, das gesamte Jahr; wahrscheinlich lassen sie sich gar nicht mehr schließen.
Etwas sehr ähnliches hatte ich bereits 2010 auf meiner USA-Reise, wo die mir überlassene GoldWing ganz ähnliche Abgase zu mir hochschickte. Es wurde so unangenehm, daß ich nach ein paar Tagen die Reisleine zog und das Moped an den Freund meines Freundes zurückgeben mußte. Und stattdessen auf einen Ford-Mustang umsattelte.
Apropos, ich wundere mich: Die Frontscheibe hat keinen Riß, keinen Sprung, keinen Steinschlag; sie ist und bleibt die ganze Zeit über nur schmutzig, so wie das gesamte Auto. Hier ist wahrscheinlich noch nie irgendetwas gesäubert, gewaschen oder gar ordentlich instandgesetzt worden. Aber der Motor läuft wenigstens. Meistens. Der Anlasser zickt gerne mal. Immer mal wieder muß das Auto angeschoben werden oder Nassib läßt es anrollen, gerne auch im Rückwärtsgang. Die Prozedur tut mir jedesmal weh, denn Nassib geht da gnadenlos vor. Ab und zu arbeitet der Anlasser aber auch überraschend völlig zufriedenstellend, so als wäre nie was gewesen. Im Übrigen läßt Nassib nichts, aber auch gar nichts auf sein Auto kommen. „My Mercedes is a very good German product!“ Ich glaube, er liebt ihn – oder soll ich sagen: Die beiden lieben sich offensichtlich inniglich. Und es gibt hier noch unglaublich viele davon. Manche sehen noch schlimmer aus – aber sie fahren noch immer…
Ich wußte bisher nicht, wieviele verschiedene Geräusche ein Auto vor Schmerzen machen kann. Jetzt weiß ich es und ich kenne sie bald alle. Fast in jeder Linkskurve schleift vorne rechts Blech auf Eisen. Nassib hat mich bereits informiert: Die Bremsbeläge sind „fast“ abgefahren und er will sie „demnächst“ austauschen lassen. Eigentlich müßte er solange langsamfahren.
Die unverriegelbare Motorhaube wedelt beim Fahren dazu gutmütig auf und ab, als ob sie mit mir sprechen wollte – oder ruft das gemarterte Auto in Wirklichkeit um Hilfe? Nur der Sicherheitsriegel bewahrt sie noch vor dem Hochfliegen.
Die Straße ist weiterhin sauschlecht. Nassib rast noch mehr als gestern. Wobei ihn auch die kleinen Ortschaften nicht viel langsamer fahren lassen. Nur wenn ich mein Handy hebe, um ein Video zu machen, nimmt er etwas Gas zurück. Eigentlich müßte ich das Handy die ganze Zeit hochhalten und so tun, als ob ich filmen würde.
Am Ziel steht eine angenehm kühle, kleine hübsche Kirche. Wir parken. Ein paar Menschen kommen uns entgegen, innen ist die Kirche leer; die Andacht ist gerade vorüber. Nassib hat die Uhrzeit nicht beachtet.
Also den gleichen Weg zurück. Ich fühle mich immer mehr und überhaupt oft an „Die Schluchten des Balkan“ von Karl May erinnert. Sie sind hier tatsächlich so steil, schroff und tief, wie er sie uns beschrieben und wie ich sie mir immer vorgestellt habe. (Ja, ich weiß es, wir sind hier inmitten der Levante und nicht im Balkan.)
Heute Abend gibt es im Nachbarort bei seinen Eltern ein „Barbecue“. George, sein Bruder ist auch wieder dabei. Wieder wird allen Leuten verwundert erzählt, daß ich kein Fleisch mag, worauf mich alle erneut staunend und verblüfft beäugen. Ist das wirklich sooo schlimm?
Als wir endlich zuhause sind, ziehe ich mich gleich zurück. Bin müde.
Samstag, 08.08.2020
Am nächsten Morgen wache ich genauso zerstochen wie gestern auf, bleibe aber liegen, in der Hoffnung, Nassib nebenan bald zu hören. Sieben Uhr, acht Uhr, neun Uhr, zehn Uhr. Nassib schläft nebenan tief und fest. Sein Wecker beginnt derweil jeden Morgen sein Geschrei um sieben Uhr, das Nassib aber nie hört und das dann stundenlang immer wieder durch die Zimmer lärmt. Das Drecksding will nicht aufhören. Dabei wollten wir doch heute an den Strand zum Schwimmen. Unser Ziel ist etwas weiter entfernt, weil die in der Nähe liegenden „Strände“ meistens gar keinen Sand haben und oft bis ans Wasser zubetoniert sind. Außerdem befinden sie sich eher in muslimischer Hand, was es uns doch etwas schwierig machen würde, uns dort wohlzufühlen oder gar zu schwimmen. Wir fahren also lieber eine etwas weitere Strecke.
Im gesamten Haus gibt es keine Türen. Auf dem Weg ins Bad muß ich durch Nassibs Schlafzimmer. Er liegt da wie, hmm, wie soll ich es ausdrücken, ich bitte herzlich und vielmals um Entschuldigung, ich meine es wirklich nicht unartig, sein fast nackter Anblick erinnert mich halt daran, er liegt da, wie ein (sorry, Nassib), wie ein rosiges, fettes, totes Schwein. Ich mache mir immer mehr Sorgen, ob es ihm wirklich gutgeht und fasse schließlich allen Mut zusammen und gebe ihm schließlich ganz vorsichtig einen Stupser. Er öffnet sofort die Augen, er lebt! Also erst einmal alles okay. Ich bin erleichtert. Es ist immerhin zehn Uhr vorbei. Die Situation erinnert mich an ein Gedicht aus meiner Schulzeit:
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum, still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei. Dann kam ich um vier morgens wieder vorbei.
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum – gegen den Wind an den Baum,
und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.
Zum Frühstück gibt es Spiegelei „over easy“ (von beiden Seiten gebraten) und ein paar Kleinigkeiten, und dann brechen wir endlich auf – es ist bereits zwölf Uhr durch.
Machul und Sylvana, das syrische Pärchen aus dem Keller, äh, aus dem Souterrain, fahren heute mit. Wir sausen ca. zwanzig Kilometer den Berg hinunter nach Sidon und dann nochmal dreißig Kilometer auf der Schnellstraße weiter nach Süden, nach Tyros (Tyr). Unterwegs tanken wir schon wieder in einer Kaserne; Nassib darf als ehemaliger Offizier in allen Kasernen des Landes kostenlos tanken. (Und wenn er heimkommt, wird gerne noch ein bißchen Sprit von seinen beiden Mitbewohnern in Plastikflaschen – „für Notfälle“ – für ein kleines Motorrad umgefüllt. Und im Keller gelagert, was in mir doch einige Bedenken erzeugt. Schließlich hatten wir doch erst die schlimme Explosion in Beirut…)
Unterwegs müssen wir zweimal anhalten, damit Machul die Motorhaube immer wieder mit Draht festbinden kann. Sie öffnet sich schon wieder die ganze Zeit. Mehr als gestern, als wollte sie protestieren. Und jetzt bei Vollgas, so um die 130 km/h, sieht das äußerst gefährlich aus. Ich hab echt Angst!
Wir verwenden unterwegs eine Abkürzung:
Polizeiauto. Alter verbeulter Dodge Charger:
Video unserer Bergabfahrt:
Am Ziel befindet sich ein Hotel. Parkplatz übervoll. Zu meiner riesigen Verblüffung sehe ich einen blauen Lamborghini und einen schwarzen Brabus G-Klasse Mercedes, blitzsauber, wie geleckt, beide wie gerade aus dem Laden gekommen. Später noch ein Bentley. Unterwegs sind mir schon mehrmals ein paar Ford Mustang und noch ein paar mehr Camaro aufgefallen. Auch sonst gibt es unzählige neu aussehende teure Autos, Range Rover/Land Rover, natürlich Mercedes und BMW, ab und zu Porsche Cayenne und die „kleineren“ Porsche, oft ohne alle Schrammen – und dann als Kontrast die unzähligen verbeulten Wracks, („Rostlauben“ habe ich gerade gestrichen, denn Rost gibt es hier ja nicht), mit und ohne Nummernschilder. Besonders und auffallend viele, eigentlich unzählige uralte „Strich 8“ und jüngere Mercedesse. (Wow, die Rechtschreibprüfung flippt gerade mal wieder aus ob meines hier gewählten Mercedes-Plurals.)
www.blog.leo.org, FragenSieDr.Bopp: „[…]Und bei Mercedes wird – wohl in Anlehnung an Busse, Ibisse, Atlasse usw. – häufig die Pluralform Mercedesse verwendet. Diese Form halte ich auch für die beste, da sie sich naht- und mühelos in die Sprachsystematik des Deutschen einordnet. In meinen Augen weniger schön aber ebenfalls recht häufig ist die blässliche, jegliches Risiko scheuende Pluralvariante ohne besondere Endung: die Mercedes.“
Dazu muß ich als Autor noch etwas völlig Unwichtiges nachtragen: „Atlasse“! Wow. Ist das jetzt auf einmal richtig?! Als ich noch zur Schule ging, Ende der 50er Jahre, war es geradezu tödlich, „Atlasse“ statt „Atlanten“ zu sagen. Hätte ich dieses Unwort ausgesprochen, hätte sich die gesamte Klasse über mich totgelacht. Aber es gibt auch heute doch noch „Atlanten“: Beim Dativ der Landkarten-Atlasse. Und die Atlanten „in Form einer oft überlebensgroßen, männlichen muskulösen Figur, anstelle einer Säule oder eines Wandpfeilers aus Stein“ gibt’s ja auch noch. „Globus“ und „Globen“ ist dagegen geblieben. Und die „Kakteen“ sind auch geblieben. Warum ham’se die nicht auch in „Globusse“ und „Kaktusse“ geändert?? „Ananasse“ geht jetzt auch? Vielleicht gab es sie ja früher bereits? – Wie dem auch sei, ich hasse die neue und die ganz neue Rechtschreibung!
Aber egal, ich richte mich ja sowieso selten und überhaupt ungern nach der doofen „neuen“ Rechtschreibprüfung (von 2006 + 2018) meines ebenso doofen Computers und schreibe: Die Mercedes-Autos (grins) sind hier offensichtlich alle unverwüstlich. Man fährt im Übrigen wo und wie und so schnell oder langsam, wie man will oder wie es einem gerade gefällt.
Ist das überhaupt ein Lambo??:
Bei uns hilft Pappe gegen Eis auf der Scheibe und hier im Libanon schützt sie halt das Innere gegen zuviel Hitze. Ja, sieht irgendwie nicht gut aus.
Wir drei steigen aus und müssen lange am Eingang warten, bis Nassib endlich das Auto irgendwo geparkt hat und zurückkommt. Dabei gäbe es auch hier einen Valet-Service. Aber Nassib ist offenbar sehr sparsam, obwohl er ständig bekundet, über ausreichend genug Geld zu verfügen. Ich muß Eintritt für uns drei bezahlen, Nassib ist frei.
Der angenehme Sandstrand gehört zum Hotel und man kann sich dort auch alles zum Essen und Trinken kaufen. Wir verbringen hier ein paar Stunden mit Schwimmen und Rumsitzen. Der relativ weite Weg hat sich also doch gelohnt, denn so etwas ist im Libanon tatsächlich recht selten. Meistens ist „der Strand“, also das Ufer, bis ans Wasser zubetoniert. Wegen Covid ist zurzeit aber auch hier alles (der Service) stark eingeschränkt.
Nassib würde mich gerne mit einer hübschen jungen Libanesin verkuppeln, die er gerade kennengelernt hat, allein, wir mögen beide nicht. Aber zum mit ihr Quatschen über alles Mögliche ist Zeit (in Englisch) und ich genieße es auch.
Danach geht es exakt den gleichen Weg und im selben Fahrstil zurück. Fast alle anderen Fahrzeuge um uns herum fahren übrigens auch gerne so schnell. Inzwischen hat sich mein rechter Fuß eine tiefe Kuhle im Bodenblech geformt; er bremst schließlich ständig mit.
Airbags waren zur Zeit der Produktion dieses Mercedes‘ noch nicht erfunden; für Beifahrer schon rein gar nicht. Der Benzingestank bringt mich weiterhin fast um. Ich hab Angst.
Hier ein Video vom Rückweg in der beginnenden Dunkelheit:
Und kurz darauf auf der Autobahn:
Später in Sidon biegen wir ab und fahren wieder in die Berge rauf. Wir steuern noch einmal das Restaurant mit der Kapelle und dem Restaurant von vorgestern an, um dort gemütlich zu Abend zu essen.
Als wir dann gegen elf Uhr abends endlich zuhause sind, bin ich sehr erleichtert, mich gesund und unverletzt ins Bett legen zu können. Nassib bringt mir ein störrisches, grünes Moskitonetz, das ich irgendwie über mich legen soll, weil es keine Bettpfosten gibt. (Viel später, nach ein paar Wochen, zuhause, kommt mir der Gedanke, daß es sich dabei vielleicht um ein Insekten- und Schneckenabwehrnetz für ein Beet im Garten gehandelt haben könnte…) Aber immerhin besser als nix. Darunter wird es mir aber reichlich warm. Immer mal wieder gelingt es einer dieser vermaledeiten Sackratten (sprich Stechmücken) irgendwie bis zu mir vorzudringen und sich an mir zu laben. Andere Menschen, Einheimische, sind dagegen für Moskitos meist uninteressant, ihnen tun sie absolut nichts.
Sonntag, 09.08.2020
Heute passiert nicht viel. Einziger Tagesordnungspunkt: Besuch der Messe in einer Kirche in der Nähe gegen elf Uhr vormittags. Allein, wir kommen schon wieder zu spät! Jetzt schon zum zweiten Mal! Ich frage mich, wie kann man nur derart verpeilt sein? Hat er seine Medikamente nicht genommen? Dabei bräuchte ich göttlichen Zuspruch und innere Einkehr doch so dringend, um mein verkümmertes Seelenheil zu stärken und endlich wieder in Ordnung zu bringen.
Später „muß“ ich alles Mögliche in Nassibs Garten mit ihm zusammen pflücken und probieren. Sonst habe ich einfach keine besonderen Vorkommnisse mehr in Erinnerung. Ich lese nachmittags auf meinem Balkon und dort alleinsitzend in einem meiner mitgebrachten Bücher, entspanne mich und ruhe mich überhaupt von den bisherigen „Strapazen“ aus. Einfaches Abendessen unten im Keller bei Machul und Sylvana. Bereits um einundzwanzig Uhr liege ich brav in meinem Bettchen. Dipsi, Laa-Laa, Po und alle anderen Tubbies schlafen ja auch schon längst.
Montag, 10.08.2020
Heute wollen wir mal wieder eine (größere) Tour machen. Zuerst fahren wir zum Sommerpalast des Präsidenten (Palais de Beit Ed-Dine). Aber hier ist alles leer und verschlossen. Wegen Corona. Und der Präsident hat ja im Moment auch wichtigeres zu tun, als sich hier auszuruhen.
Nassib ist ehemaliger Offizier der libanesischen Armee und es gelingt ihm, daß wir nach einigem Hin und Her, und nachdem die beiden wachhabenden Soldaten telefonisch eine Genehmigung „von oben“ eingeholt haben, durch eine winzigkleine Tür und deshalb in stark gebückter (demütiger) Haltung eingelassen werden und wenigstens auf den Hof des Palasts dürfen. Insgesamt aber alles eher uninteressant.
Dann geht es weiter, zwanzig, dreißig Kilometer immer weiter in die Berge hinauf, die sich teilweise in Wolken verstecken. Aber nicht, ohne an einer hier ringsum berühmten heiligen Quelle angehalten und unsere Wasserflaschen mit dem wundertätigen Wasser aufgefüllt zu haben:
Am Schlagbaum des Nationalparks Barouk Cedar Forest (Al-Shouf Biosphere Reserve) müßten wir eigentlich Eintritt bezahlen, Nassib ist als Offizier im Ruhestand aber offenbar davon befreit – und er darf einen Gast kostenlos mitnehmen. Der Wächter ermahnt uns noch, spätestens bis achtzehn Uhr zurück zu sein, weil dann die Schranke abgeschlossen wird.
Weiter hinauf geht’s. Die „Straße“ ist jetzt sehr schmal und kurvig. Leitplanken kennt man im Libanon nicht, und hier schonmal gar nicht. Hoffentlich begegnet uns kein Auto! Ich habe Angst.
Aber es geht alles gut und wir parken unser Auto ganz oben vor einer letzten Sperre und ziehen uns unsere Sportschuhe an. Obwohl wir uns hier oben oft in den Wolken bewegen, creme ich mir noch rasch das Gesicht mit der vorhin in einer Apotheke gekauften Sonnenschutzlotion ein und dann laufen wir ein paar erstaunlich gut gepflegte Wege durch den Park. Wie der Name bereits aussagt, wachsen hier im Nationalpark hauptsächlich unzählige Zedern, der Nationalbaum des Libanon. Deshalb ist er auch auf der Libanon-Flagge abgebildet. (Zedern können leicht über tausend Jahre alt werden. Einige wenige sind sogar bis zu zweitausend Jahre alt!) Ich mag Zedern und Zedernholz schon immer. (Zeder war Bedingung beim Kauf unserer Sauna zuhause.) Leider kann ich auch später zuhause nicht herauskriegen, wie hoch wir hier sind, aber ich schätze, es sind mindestens mal so um die tausend Meter. Wenn nicht noch mehr.
(2023 finde ich dann heraus, daß der Trail so um die 6.000 Fuß hoch ist, also ungefähr 2.000 Meter.)
Warnschilder befehlen, daß man auf den Wegen bleiben muß, aber Nassib als Offizier „darf alles“, also laufen wir auch ein längeres Stück durch die steinige Wildnis. Wenn einem von uns hier etwas passierte, dürfte es schlecht mit Hilfe aussehen. Wie immer bin ich ihm oft voraus, während er dann weit zurückbleibt. Aber so langsam wie Nassib kann und will ich wirklich nicht Laufen. Das wäre mir zu anstrengend.
Irgendwann setzt Nassib sich „für ein paar Minuten“ an den Stamm eines Baumes. Ich laufe unterdessen weiter, um dann weiter vorne auf ihn zu warten – und warte dann lange auf ihn. Sehr lange. Da er nicht nachkommt, muß ich den ganzen Weg zurücklaufen – und er sitzt noch immer an derselben Stelle. Von weitem frage ich mich erneut und voller Sorge, ob er noch lebt, doch es ist alles okay, er bewegt sich schließlich als ich näherkomme und steht dann auch endlich wieder auf. Ich bin wirklich sehr erleichtert.
Zum Schluß, auf der ansteigenden Straße zurück zum Auto, hält Nassib ein runterfahrendes Auto an und schafft es, daß die sympathische Familie (Mama am Steuer, Papa und zwei kleine Töchter) wendet und uns beide darin zu unserem eigenen Auto hochfährt. „Aber nur mit Atemschutzmaske!“ sagt die Frau. Die beiden kleinen Mädchen haben etwas Angst vor uns. Dabei hätte ich uns das ganze lieber erspart und wäre gerne weiter hochgelaufen.
Oben laufen wir noch eine Runde, eigentlich wollen wir zur Bergspitze, was aber verboten ist. Dann geht es wieder runter zum Auto und ins nächste Dorf, wo wir nach einigem Suchen und Fragen eine mit Nassib befreundete Familie besuchen. Die 82jährige Oma kocht zusammen mit ihrer Enkeltochter an einer primitiven Feuerstelle Pfirsich-Marmelade, die in leere Gläser abgefüllt und später verkauft werden soll. Nassibs Freund ist allerdings leider nicht da.
Weiter geht es; zunächst eine kurvenreiche kleine Straße den Berg weiter hinauf bis zum Pass. Von weitem ist bereits eine beeindruckend gut aussehende Autobahnbrücke zu erkennen. Ich hoffe, daß wir ein Stück auf der Autobahn weiterfahren können. Dann muß ich vielleicht nicht mehr so viel Angst haben.
Doch meine Erwartung auf eine bessere Straße bleibt leider unerfüllt. Eine ordentliche vierspurige „Autobahn“ mit Betonmittelstreifen kommt zwar von Beirut bis hier auf den Berg hinauf – endet aber genau hier. Stattdessen verwandelt sie sich sich in unserer Richtung in einen starkbefahrenen Highway bergab. Die Verlängerung der Autobahn ist im Bau. Ich sehe unterwegs eine gewaltige neue Brücke. Aber bis zur Fertigstellung wird es wohl noch viele Jahre dauern. Ein Foto, das ich auf unserer Rückfahrt aufgenommen habe, füge ich hier ein:
Und so sausen wir den Berg auf dem Highway runter bis nach Zahlé in der berühmten Bekaa-Ebene. Jeder kämpft dabei gegen jeden. Gerne kommt man auch mal mit dem halben Auto auf die hinaufführende Gegenspur. Aber man nimmt das alles ganz gelassen, niemand regt sich groß auf, manchmal wird ein kurzes Hupsignal abgesetzt, vielleicht auch nur, um einen Bekannten zu grüßen…
Wikipedia: Die Bekaa-Ebene ist eine Hochebene im Libanon, die sich zwischen den Gebirgszügen des Libanongebirges und dem Anti-Libanon befindet. Sie wird auch als die Obst- und Gemüsekammer des Landes bezeichnet. Sie erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung im Osten des Landes.
In der Kaserne in Zahlé essen wir gegen neunzehn Uhr fast allein in der Offiziersmesse kostenlos zu Abend. Allerdings ohne Bier/Rotwein, das ich mir jetzt nach all den Strapazen gewünscht hätte.
Dann fahren wir im Dunkel der Nacht nochmal zwanzig, dreißig Kilometer bis nach Baalbek weiter. (Ja, das berühmte „Baalbek“.) Unsere Straße ist weiterhin stark befahren; sie geht stur immer nur geradeaus. Die syrische Grenze soll nur noch zwanzig Autominuten entfernt sein.
Hier in Baalbek suchen wir uns ein kleines Hotel und bekommen ein einfaches Zimmer für uns zwei für umgerechnet ca. sechzehn Dollar. Für den niedrigen Preis kann man natürlich kein direkt fließendes warmes Wasser erwarten. WiFi (W-LAN) und allen anderen Schnickschnack natürlich auch nicht.
Für warmes Wasser müßten wir offenbar erst den Ofen in der Ecke anheizen. Ich bin aber viel zu müde, um überhaupt erstmal herauszukriegen, womit. Holz, Kohle, Gas, Strom…? Also Katzenwäsche mit kaltem Wasser.
In der Nacht grüble ich ein wenig darüber nach, daß ich vor ein paar Jahren doch schon mal in Libanon war. Auf einer meiner Reisen durch die USA. Muß ich demnächst, nach meiner Rückkehr, mal googeln.
Dienstag, 11.08.2020
Baalbek. Wow, wie ich diesen Ort mein ganzes Leben schon „kenne“. Als hätte ich früher in einem anderen Leben hier schon einmal gelebt; vieles ist mir auf eine geheimnisvolle, nicht in Worten auszudrückende Weise vertraut. In vielen Büchern meiner Jugend (Karl May, Dr. Franz Sättler und einige andere) habe ich über diesen Ort gelesen.
Unser Hotel befindet sich in unmittelbarer Nähe der uralten römischen Tempelruinen, „Colonia Heliopolis“; es sind nur vier, fünf Gehminuten, „einen Steinwurf“, rüber bis zum Eingangstor.
Wikipedia: „Die Tempelanlagen von Baalbek enthalten einige der größten und am besten erhaltenen Beispiele für kaiserzeitliche römische Architektur im Nahen Osten und sind in ihrer kunst- und kulturhistorischen Bedeutung mit den antiken Städten Palmyra oder Gerasa zu vergleichen. Sie wurden vor allem im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. errichtet und befinden sich in der Stadt Baalbek im Libanon. Zu den Tempelanlagen gehören das gewaltige Jupiterheiligtum, der außergewöhnlich gut erhaltene sogenannte Bacchustempel und der Rundtempel mit seiner einmaligen Formgebung […].“
Aber erst einmal möchte ich weiteres Geld umtauschen. Dazu „müssen“ wir einen ganz bestimmten Handyladen aufsuchen, um wieder den günstigen Umtauschkurs zu bekommen. (Hier nochmal der Rat, niemals in einer Bank bzw. einer offiziellen Umtauschstelle tauschen!) Der Typ vom Hotel führt uns hin. (Ja, ohne sachkundige einheimische Hilfe würde mir hier sehr Vieles nicht gelingen.) Da ich kein Ladekabel dabei habe, kaufe ich auch gleich ein solches für ca. einen Dollar und kann endlich wieder mein Handy laden.
Schräg gegenüber dem Hotel (ja, hier ist der Dativ richtig, persönlich gefiele mir der Genitiv besser: „Schräg gegenüber des Hotels…“), also gegenüber befindet sich ein kleines ärztliches Laboratorium, und weil wir mit dem Besitzer, Herrn Dr. Jammal, bereits im Hotel in Berührung kamen, (es gehört ihm wahrscheinlich, oder es trägt ganz zufällig seinen Namen…), zeigt er uns sein gerade leerstehendes (ungewöhnlich sauberes) Wohnhaus direkt hinter seinem Labor, in dem demnächst seine erwachsene Tochter einziehen wird, und dann auch noch sein durchaus professionell aussehendes Laboratorium und dort ein paar Zeitungsberichte über ihn selbst. Ich nutze die Gelegenheit, einen gastfreundlich angebotenen Kaffee zu trinken und bei dieser Gelegenheit mal (kostenlos) meinen Blutdruck messen zu lassen. Danach lasse ich mich überreden, einen Labortest machen zu lassen, der mich dann insgesamt lächerlich wenige sechzehn Dollar kostet. Ergebnis: Logisch, alles okay. Mein Hausarzt bestätigt mir anschließend zuhause, daß sämtliche Werte offenbar fachmännisch und kunstgerecht ermittelt worden sind. (Meine Skepsis war also total unnötig und ungerecht. Entschuldigung, Dr. Jammal!)
Dann laufen wir endlich rüber zur wahrhaft imposanten Ausgrabungsstätte, die seit 1984 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Nassib spricht kurz mit den Wächtern im Kassenhäuschen – und der Eintritt (ca. acht, neun Euro) für uns beide ist erfreulicherweise erneut frei. Weil gerade Corona herrscht, sind wir tatsächlich die einzigen Besucher im gesamten weitläufigen Gelände. Wow! Erst als wir nach zwei Stunden mit dem Besichtigen fertig sind und dem Ausgang zustreben, kommen uns drei, vier arabisch aussehende Leute mit ihrem Guide entgegen. Und, für mich ganz erfreulich, es gibt keinen einzigen Souvenirverkäufer, die einen ja sonst unentwegt anbetteln. Auch nicht, als wir den Tempel wieder verlassen. (Ich kann doch nicht NEIN! sagen.)
Direkt am Eingang weist mich Nassib schon gleich auf ein riesiges Sechseck hin, das ich sonst nicht beachtet hätte. Später, zuhause, lese ich dann, daß dies das einzige Sechseck (Hexagon) im Grundriß von Tempeln und Kirchen ist (sein soll).
Aber das stimmt so gar nicht, wie so vieles im Internet. Ein guter Bekannter schreibt mir dazu und ich gebe es hier sehr gerne weiter:
Was die von Ihnen erwähnte „Einmaligkeit“ des sechseckigen Grundrisses eines alten sakralen Gebäudes in Baalbek angeht, gebe ich zu bedenken, dass es sehr wohl andere Beispiele gibt: So etwa die Johannes-Taufkapelle in Poitiers (Baptistère Saint-Jean Poitiers) aus dem 4./5. Jahrhundert, den Chor in der Kirche Santa Maria Maggiore in Monte Sant’Angelo (Apulien) aus dem 12.Jahrhundert oder auch die bekannte Sechseckkapelle des ehem. Klosters Großcomburg (Schwäbisch Hall) aus dem 12./13. Jahrhundert.
Bei dem Sechseck, das sie in Baalbeck sahen, handelt es sich um keinen Tempel und keine Kirche, sondern um den sechseckigen Vorhof des Altarhofs, der wiederum nur dem riesigen Jupitertempel vorgelagert war: Alles in allem ein einzigartiges Ensemble.
Mit herzlichem Dank an Herrn Dr. Rotter (www.ekkehart-rotter.de).
Es gibt hier ganz, ganz viele erstaunliche und ungewöhnliche Dinge zu bestaunen, die ich hier nicht aufzählen möchte; man kann sie ja leicht im Netzt nachlesen, und ich empfehle dies auch. Ich muß unbedingt noch einmal hierher kommen, dann aber für länger!
Über die alten Ägypter rätselt man ständig, wie die damals ihre Pyramiden gebaut haben. Warum fragt man sich eigentlich nicht, wie die Leute diese gewaltigen Bauten hier errichtet haben? Viele Steine sind bestimmt genauso schwer wie die in den Pyramiden. Oder noch schwerer. Sie sollen bis zu ca. 21,3 x 4,3 x 4,6 Meter groß und hunderte Tonnen schwer sein; den allergrößten hat man mit unglaublichen tausend Tonnen errechnet. Und dann habe ich auch noch von einem 1.650 Tonnen schweren Steingiganten im nahegelegenen Steinbruch gelesen. „Größter Steinblock der Antike“. Wow! Ich bin jedenfalls mal wieder fasziniert von der monumentalen Baukunst der alten Römer.
Im Übrigen war das hier damals der größte Tempel der Welt!
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Kurzer Einschub: Heute, an einem Samstag im Oktober 2020, also nur zwei Monate nach meiner Libanonreise und meinem Besuch in Baalbek finde ich ganz zufällig in den von meinem Vater hinterlassenen Fotos solche, die er selbst um 1920, also vor exakt einhundert Jahren, während seiner Reisen durch die Türkei, Libanon und Syrien dort in Baalbek aufgenommen hat.
Für Skeptiker: Sie sind auf der Rückseite ordentlich mit Ort und Datum beschriftet.
Ich überlege später: Hat er damals vielleicht sogar im selben Hotel wie ich übernachtet?
Ich will nicht versäumen, ein paar dieser Uralt-Fotos hier für interessierte Menschen einzufügen. Man sieht, die Situation hat sich zwischen den Ruinen eigentlich nur geringfügig geändert, nur daß man inzwischen „etwas aufgeräumt“ und Scheinwerfer installiert hat:
Und bei dieser Gelegenheit auch noch zwei weitere alte Fotos meines Vaters, die er auf derselben Reise damals in Hama in der Nähe von Homs aufgenommen hat, nicht weit von hier entfernt, wo die berühmten „Norias“ (hölzerne Mühlräder) unentwegt, seit zweitausend Jahren, Wasser aus dem Orontes in den oberen Aquädukt schaufeln. Auch diesen Ort habe ich besucht, ohne damals von der Reise meines Vaters zu wissen, vor ein paar Jahren, 2011, ganz kurz, nein, haarscharf vor Beginn des Bürgerkriegs dort; damals existierten die Räder noch – und drehten sich sogar. Heute dürften sie durch die Schergen des IS zerstört worden sein, wie so vieles in Syrien:
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Dr. Jammal empfiehlt uns ein nahegelegenes Restaurant und bringt uns beide in seinem (vergleichsweise) sehr ordentlichen und gepflegten S-Klasse Mercedes (W126) dort hin. Meine Einladung schlägt er aber leider aus, er hat schon Lunch gehabt. Schade, er ist sehr sympathisch und ich hätte ihn gerne noch vieles gefragt. Arbeit hat er ja auch genug.
Ich habe Hunger. Frühstück gab es ja mal wieder keins. Das Restaurant ist recht angenehm und es gefällt mir hier endlich mal wieder ganz gut.
Nassib läßt ganz viele Dinge für uns auffahren. Endlich gibt’s auch mal wieder ein kühles Bier, das auch ganz gut aussieht. Doch Enttäuschung, es ist bleifrei (ohne Alkohol). Ich vermeide es bereits mein ganzes Leben, solch eine Plörre zu trinken. Dann lieber gar nicht! Aber das Lokal hat moslemische Besitzer. Und jetzt habe ich echt fetten Durst. Also trinke ich es ausnahmsweise. Aber Genuß schmeckt anders.
Nassib bestellt unter vielen anderen Speisen auch schon wieder je ein Steak für uns beide, obwohl ich ihn schon so oft darauf hingewiesen habe, daß ich kein Fleisch mag – und libanesisches Steak schon gar nicht. Als ich es dann gezwungenermaßen probiere, schmeckt es tatsächlich so, wie ich mir vorstelle, daß eine meiner alten Schuhsohlen „schmecken“ könnte. Es ist auf jeden Fall genauso ungenießbar wie die in Thailand. Dort darf man auch kein Steak bestellen, auch nicht, wenn es angeblich aus Australien importiert worden ist (sein soll…). Nassib ahnt offenbar noch nicht einmal, wie saftig und angenehm ein vernünftiges Steak schmecken kann, so wie bei uns, aber das wird hier bei uns ja leider auch immer seltener. Da ich es nicht essen will, greift er sich kurzerhand den Teller und zieht es sich selbst rein.
Nebenan sind einige Tische besetzt, mit Leuten, die Wasserpfeife rauchen. Ich mag den Rauch, der sich im gesamten Lokal ausbreitet. Also kein Problem. Hier fühle ich mich wirklich wohl. Ich könnte den ganzen Nachmittag hier verbringen und dabei solch eine Wasserpfeife rauchen. Aber Nassib will weiter. Ich muß unbedingt noch einmal hierher kommen!
Als ich bezahle, ist es halb drei. Obwohl hier alles sehr teuer aussieht, ist alles ganz günstig. Aber Vorsicht: Auf der Rechnung stehen 100.000 libanesische Pfund, die ich auch bezahle. Offiziell umgerechnet würden man wahlweise ca. 68 Dollar von mir verlangen. Wegen meines persönlichen Umtauschkurses sind es dann aber nur vierzehn, fünfzehn Euro, wie mich Nassib beruhigt. Als unwissender Ausländer wird man halt oft und gern von Einheimischen ausgenommen. Aber das ist ja in vielen Ländern so.
Auf dem Kassenzettel werden die Libanesischen Pfund zum offiziellen Tageskurs in US-Dollar umgerechnet. Der US-Dollar ist hier im Libanon zweite Währung. Ich würde so also mehr als das Vierfache bezahlen. (67 Dollar statt ~15 Dollar.) Wow! Also uffbasse!!
Mein Handy ist inzwischen dank des neuen Ladekabels aufgeladen und ich kann endlich mal der Sache mit Libanon in den USA nachgehen. Es war mir auf meinem Motorrad-Trip im August 2013 von New York nach Niagara aufgefallen. „Lebanon, New Hampshire“. Ich erinnere mich jetzt auch immer mehr, der Ort war klein und total unwichtig und ich habe mich da auch nicht gerade wohl gefühlt. Und auf einer unserer Wohnmobil-Reisen muß ich auch mal dort durchgekommen sein. Aber okay, jetzt hier im richtigen Libanon fühle ich mich dafür umso besser.
Anschließend laufen wir zurück zu unserem neuen Freund, Dr. Jammal. Mit Vornamen heißt er Habib. Das ist ein Vorname oder oft auch ein Familienname, und bedeutet im Arabischen oft „Liebling“, so ähnlich wie „Habibi“, das ich von einer früheren Freundin kenne, weil sie mich oft so nannte. Ich durfte sie „Habibti“ nennen. Das erste sagt man zu einer männlichen Person, das zweite zu einem Mädchen bzw. einer Frau. Ich darf Dr. Jammal jedenfalls auch mit seinem sympathischen Vornamen anreden. Habib hat schon wieder sofort seine Arbeit fallen lassen, genauso wie vorhin, und wir plaudern noch ein bißchen. Ich mochte ihn auf Anhieb und ich bedaure, ihn schon wieder verlassen zu müssen. Deshalb hoffe ich, ihn irgendwann, auf einer weiteren Libanonreise, nochmal wiederzusehen. Erneut nehme ich mir vor, unbedingt noch einmal hierherzukommen, für länger. Dann verabschieden wir uns herzlich voneinander und starten unseren Mercedes.
Ähm, wir wollen ihn starten, doch nix passiert, geht nicht, nada, der Anlasser will mal wieder nicht. Also anrollen lassen. Zum Glück (bzw. mit entsprechender vorsorglicher Voraussicht) hat Nassib unser Auto gestern Abend hier an einer leicht abfallenden Stelle geparkt; ich muß etwas schieben. Aber auch das Anrollen klappt nicht. Ganz unten stellt sich heraus, daß unser nicht abschließbarer Tank über Nacht ausgesaugt worden ist (sein soll). (Kann ich mir gar nicht vorstellen, Benzin und Diesel sollen hier ganz billig sein; es würde sich gar nicht lohnen. Pfütze sah ich unter dem Auto auch keine.)
Ein zufällig vorbeikommender Rollerfahrer stoppt und bietet Nassib an, ihn zur nächsten Tankstelle zu fahren. Dann will noch eine Batterieklemme im Motorraum besser befestigt werden. Öl muß auch noch gecheckt und nachgefüllt werden und schon können wir endlich weiterfahren.
Endlich auf dem Weg, sehe ich hier in der Bekaa-Ebene zahlreiche improvisierte und lt. Nassib illegale Zeltlager geflüchteter Syrer. Fotos möchte ich nicht machen; Nassib würde auch gar nicht dafür anhalten. Obwohl er doch zwei Flüchtlingen aus Syrien Obdach gewährt. Ja, sehr widersprüchlich. Die Leute leben hier unter primitivsten und geradezu unwürdigen Verhältnissen, und sie tun mir wirklich sehr leid.
Unterwegs noch ein weiterer kurzer Stopp an einer „Werkstatt“, um die Batterieklemme besser befestigen, eine Sicherung (vom Scheibenwischer) mit einem dünnen Draht flicken, den Verschluß der Motorhaube etwas einfetten und schließlich noch Kühlwasser nachfüllen zu lassen. Das Ganze kostet dann umgerechnet weniger als einen Dollar. Auf jeden Fall ist die Frontscheibe wieder etwas durchsichtiger.
Später müssen wir erneut anhalten, um das überhitzte, kochende Kühlwasser etwas abkühlen zu lassen.
Danach will die Karre mal wieder partout nicht anspringen, obwohl Nassib das Auto mindestens einen Kilometer rückwärts den Anstieg zurückrollen läßt und dabei zigmal im Rückwärtsgang einkuppelt. Erst als er unten am Ende des Anstiegs im Motorraum etwas herumgefummelt hat, schafft er es, den Motor wieder zu starten und wir können endlich wieder weiterfahren.
Wir suchen lange am Nachmittag nach einem ganz bestimmten Ort, irren in der Gegend herum, nur um feststellen zu müssen, daß wir schon wieder falsch bzw. am Ende einer „Straße“ sind, (oder auch schon darüber hinaus, im Acker), und fragen unterwegs viele Leute. Ich selbst frage mich unterdessen immer öfter, was das alles soll. Ich bin ziemlich entnervt und tituliere Nassib immer öfter mit schlimmen Bezeichnungen, im Kopf. Aber ich weiß ja auch noch nicht, was da auf mich noch zukommt…
Endlich, gegen neunzehn Uhr erreichen wir, wider Erwarten, unser Ziel, Bechwat (Bechouat) und die dortige berühmte Kirche.
Wikipedia (aus dem Englischen übersetzt): „Bechouat […] ist ein libanesisches Dorf im Beqaa-Tal im Libanon. Das Dorf ist berühmt für das Heiligtum ‚Unserer Lieben Frau von Bechouat‘, ein Marienheiligtum, und als bedeutender Ort der christlichen Wallfahrt. Es wurden göttliche Wunder berichtet und ‚Unserer Lieben Frau von Bechouat‘ zugeschrieben. […]“
Eigentlich sind es zwei Heiligtümer, eine hübsche, saubere, beeindruckende kleine Kirche und eine ebensolche Kapelle direkt daneben. Ich spüre es sofort und sehr deutlich, daß das hier ein ganz besonderer Magischer Ort ist! Der etwas umständliche Weg hat sich gelohnt! Aba sowas von…!
Hmm, soo klein ist die Kirche dann aber doch nicht. Mir gefällt sie sofort und ich fühle mich hier sehr wohl. Nassib setzt sich ganz nach vorne; ich bleibe, wie immer, ganz hinten:
Die Kapelle nebenan ist wirklich klein, aber nicht zu klein:
Die Heilige Maria (Our Lady of Bechouat, Deir El Ahmar) blinzelt mir hier zu. Ich sehe es ganz deutlich! Und unser Herr Jesus hat mich vorhin schon angelächelt. Wahrlich ein Ort der Kraft, der Ruhe, Gelassenheit und Kontemplation! Energie strömt in meinen Körper; vielleicht passiert in meinem Körper ja auch ein Wunder?
Zwei junge Frauen kommen herein, beten kurz und singen ein wunderwunderschönes Lied. Nur für mich, denn ich bin inzwischen ganz allein mit ihnen! Bewegender geht nicht!! Ich möchte für immer hier bleiben!!! Da dies ja leider nicht möglich ist, muß ich unbedingt noch einmal hierher kommen, für länger!
(Es ist mir jetzt noch nicht direkt bewußt, aber später, im nächsten Jahr, 2021, in den Wirren von Corona und dem dadurch verursachten fürchterlichen Durcheinander und dem schmerzlichen Angebundensein werde ich mich immer mehr an diesen mir innerlich auf Anhieb so vertraut vorkommenden Ort zurücksehnen. Und immer deutlicher erkennen, daß dieser Ort und die Stunde hier eine Sternstunde für mich war!)
Wenn ich es mir wünschen könnte, dies wäre jetzt der rechte Moment und der richtige Ort zum Sterben.
Diese Kirche mit ihrer hübschen kleinen Kapelle und die hier gefühlten Empfindungen werden nie mehr aus meiner Erinnerung verschwinden. Danke mein lieber guter gütiger Schutzengel, daß Du mich hierher geführt hast!
Derart starke Magische Strahlen habe ich nur noch in einem ägyptischen Kloster gefühlt, als ein Mönch mich dort herumgeführt hat und ich wußte, daß ich dort vor vielen Jahrhunderten bereits gelebt habe. Die Gefühle wurden damals in mir dort so stark, daß mir Tränen gekommen sind.
Nassib wartet bereits draußen auf mich. Wohltuende Abendstimmung. Jetzt sind die Lampen an:
Voller Freude und Dankbarkeit, glücklich und entspannt bitte ich Nassib tief in meinem Innern um Entschuldigung für die wüsten Beschimpfungen heute Nachmittag auf den verschlungenen Wegen unserer Herreise. (Nur gut, daß er sie nicht gehört hat.) Ganz im Gegenteil, dieser Ort hier ist einer der wichtigsten in meinem Leben! Ich mag Magische Orte. Erst das kleine Restaurant auf dem Berg, dann unsere Wanderung auf dem Berg im Barouk Cedar Forest, heute Morgen auf den Spuren meines Vaters in Baalbek und jetzt Bechwat. Dies hier ist der Höhepunkt meiner Reise, nein, seit langem, seit ganz, ganz vielen Reisen!
Während unseres Besuches bricht langsam die Dämmerung herein und wir beschließen, gleich hier im kleinen Hotel neben der Kirche zu nächtigen. Unser Zimmer für zwei Personen kostet dann überraschende vier Dollar. Ich lege zwar keinen Wert auf billige Hotelzimmer, aber dieses hier ist doch akzeptabel, recht erstaunlich, denn ich sehe keine größeren Mängel. Zwei ganz normale Betten, Flachbild-Fernseher mit funktionierender Fernbedienung, Ventilator, Kleiderschrank, in der Dusche warmes Wasser und zum ersten Mal im Libanon sogar mit Duschvorhang, großer Balkon mit ganz viel Aussicht nach Süden, Parkplatz vorm Haus, also alles okay. So billig habe ich noch nie übernachtet, wahrscheinlich überhaupt noch nie in meinem Leben. Nassib packt unterdessen ein paar Reste unseres Mittagessens aus; ich bin noch satt und mag ja auch grundsätzlich keine Reste essen.
BTW: Nassib braucht immer mindestens eine halbe Stunde im Bad. Morgens, mittags, abends, nachts. Ich weiß nicht, warum.
Übrigens, noch etwas fällt mir hier beim Schreiben mal wieder ein: Es waren auf der gesamten Reise keine Kirchenglocken zu hören. Hier vorhin nur kurz und nicht störend, eher angenehm. Und Moscheen mit ihren völlig bekloppten Lautsprecher-Quälereien habe ich auch auf der gesamten Reise so gut wie nie hören müssen.
Nassib zappt sich heute Abend durch über hundert arabischsprechende TV-Programme, die für mich genauso unverständlich wie z.B. Pokerturniere bei uns im Fernsehen sind. (Ganz zu schweigen von unseren unglaublich langweiligen Dart-Weltmeisterschaften.) Als ich endlich gerade so ganz langsam am Wegnibbeln bin, weckt er mich mit der Nachricht aus dem Fernseher auf, daß die Arbeit im zerstörten Hafen Beiruts schon wieder teilweise aufgenommen werden konnte. Das Leben geht also weiter. Beruhigt kann ich mich Umdrehen und versuchen, weiterzuschlafen.
Mittwoch, 12.08.2020
Trotz Nassibs nächtlicher Fernsehorgie war dies meine bisher angenehmste Nacht. Nicht so warm – nachts kühlt es ein paar wenige Grad ab – und vor allem keine Moskitos, obwohl ich die Balkontür wie immer etwas aufgeschoben hatte und direkt am Fenster lag. Ruhig war es sowieso. Die Straße endet hier, also kein Durchgangsverkehr. Trotzdem habe ich nachts eine halbe Stunde wachgelegen und überlegt:
Nassibs abenteuerliches Fahren gefällt mir nicht. Ich kann mich nicht dran gewöhnen! Ich habe sehr oft blanke Angst! Nein, fast immer! Ich fahre ja bekanntermaßen auch gerne schnell, manchmal vielleicht auch zu schnell, aber niemals so unbedacht und nur sehr selten derart lebensgefährlich. Und der Abgasgestank macht mir auch Angst um meine Gesundheit. Mein Rückflug wäre eigentlich erst in weiteren zwei Wochen und Nassib will mich auch gerne noch lange durch sein Land fahren, doch ich mag nicht mehr. Das ist mir heute Nacht klar geworden. Ich muß die Sache abbrechen. Ich will heim! Sofort!
Vor allem gab es vorgestern auf dem Herweg ein besonders unangenehmes Erlebnis: Nassib hatte am Nachmittag oben auf dem Bergpass die falsche Auffahrt auf die Schnellstraße genommen und wollte dann nicht erst einmal ein paar Kilometer in der entgegengesetzten (falschen) Richtung weiterfahren, um dann schließlich über eine Ausfahrt ordentlich zu wenden. Nein, stattdessen entdeckte er einen Durchbruch in der betonierten Mittelstreifenbetonmauer, wo unser Auto gerade so durchpaßte, hielt an und quetschte sich durch, wobei hinter uns und vor uns die schnellen Autos auf der Überholspur an uns vorbeirasten. Und statt dann wenigstens möglichst zügig durchzufahren, zögerte er etwas und fuhr viel zu langsam durch. Dadurch standen wir sekundenlang quer zu den von beiden Seiten zu den auf uns zurasenden Fahrzeugen. Die Autos mußten stark abbremsen. Ich dachte, mein Herz würde stehenbleiben. Ich hatte Riesenangst! Ich bin ja oft, hm, „risikoaffin“, weshalb manche Motorradkumpels schonmal nicht hinterherkamen oder nicht mehr mit mir fahren wollen, und auch sonst, aber Nassibs Fahrweise gefällt mir nicht.
Es war ja insgesamt ganz schön und sehr informativ mit ihm und meine Entscheidung fällt mir auch sehr schwer und tut mir auch wirklich sehr leid. Der Libanon ist eigentlich ein ganz angenehmes und interessantes Land zum Reisen, vorausgesetzt, man hat einen guten Führer wie Nassib. Er erklärte mir immer wieder alles Mögliche und gab sich auch redlich Mühe mit mir. Aber diese ständige Angst beim Fahren und die beharrlichen Auspuffabgase waren wirklich nicht mehr länger zu ertragen und deshalb ziehe ich kurzentschlossen die Reißleine. Entscheidungen fallen einem ja oft schwer, ich bin hin- und hergerissen. Aber ich bleibe dann endgültig bei meinem nächtlichen Entschluß. Mein bisheriger, leicht abgeänderter Wahlspruch trifft halt doch nicht immer zu: More risk, more fun! Das hier war und ist mir dann doch zuviel „Risk“.
Meinen ursprünglichen Arbeitstitel „Mein Trip nach Tripolis“ kann ich jetzt aber knicken und muß mir nun stattdessen etwas anderes aussuchen. Aber nach Tripolis komme ich hoffentlich später noch.
Ich benutze eine (hoffentlich ausnahmsweise erlaubte) kleine Hilfsnotlüge, wohlwissend, daß bei jeder Lüge ein kleines Einhorn-Baby sterben muß. Nassib sage ich also, daß meine Frau zuhause krank ist und mich dringend braucht. Es geht ihr gerade auch wirklich nicht allzu gut, sie hat in den letzten Jahren immer mal wieder mit ein paar Problemen zu kämpfen und muß dann immer für zwei, drei Tage ins Krankenhaus. Jetzt auch wieder. Die Nachbarin hat sie hingefahren, aber das muß ich Nassib ja nicht unbedingt sagen. Er würde die Wahrheit nicht verstehen. Deshalb verwende ich jetzt gerne diese kleine List. Hinzu kommt, daß es Hannelore zuhause gar nicht gut geht. Nassib ist ein außerordentlich lieber und hilfsbereiter Kerl und ich will ihn auf gar keinen Fall kränken oder gar verletzen, für ihn ist seine Fahrweise halt völlig okay. Deshalb hat er auch auf meine Empfehlungen und Bitten, langsamer bzw. vorsichtiger zu fahren, immer mit totalem Unverständnis (und verstohlenem Kopfschütteln) reagiert. Und er ist (war) selbstlos bereit, mir volle drei Wochen seiner Lebenszeit zu schenken. Wer täte das sonst für mich???! Niemand.
Also werden die restlichen zwei Wochen Libanon kurzentschlossen gecancelt.
Nachtrag Ende 2022: Ja, war unnötig. Total falsche Entscheidung! Ich hätte einfach nur einen Leihwagen für uns buchen sollen. Mit uns beiden als Fahrer. Dann hätte ich Nassib ab und zu mal zeigen können, wie man ordentlich Auto fährt. – Aber das ist mir erst jetzt bewußt geworden, nachdem ich schon das dritte Mal im Libanon war…
Okay, Nassib willigt schließlich ebenso verwundert wie ungläubig in meinen Wunsch ein, mich bitte zurückzubringen, und wir machen uns auf den Rückweg. Das hier vom Hotelchef angebotene Frühstück (fünf Dollar für uns beide) ist Nassib morgens zu teuer und so fahren wir mal wieder ohne ein solches ab. (Ich frage mich unterwegs mal wieder, warum ich immer so rasch nachgebe. Auf ein Frühstück hätte ich wirklich bestehen sollen!)
Logisch, noch ein Kurzbesuch von Kirche und Kapelle:
Der „fahrbereite“ Firmenwagen des Hotels:
Beim morgendlichen Herumgehen fällt es mir wieder auf: Der Platz um Kirche und Kapelle ist sehr sauber, noch nicht einmal ein Zigarettenstummel liegt herum. Überhaupt, viele Orte und Stellen im Libanon, gestern auch in Baalbek, sind in Bezug auf Müll oft viel sauberer als bei uns. Selten, wirklich ganz selten mal ein Graffito. Wir packen, bezahlen und verabschieden uns herzlich vom Chef.
Kurz hinter dem Ortsrand sehe ich links plötzlich jede Menge graue mannshohe Betonkugeln. Da sie mir rätselhaft erscheinen, sehe ich später zuhause mal nach und erfahre, daß hier ein religiöses Projekt im Gange ist, um einen riesigen „Betonrosenkranz“ zu bauen, den größten der Welt. 2006 wurde hier zuerst ein Maroniten-Kloster gebaut und 2011 wurde dann damit begonnen, diese „Kugeln“ zu erstellen
www.lebanontraveler.com: „Der rekordverdächtige Rosenkranz des Libanon in Deir El Ahmar. Der Rosenkranz des Libanon ist 600 m lang und besteht aus 59 leuchtenden Perlen für sechs Vaterunser zur Beichte und 53 Ave-Maria zum Gebet und zur Kontemplation. Er führt schließlich zum Kreuz der Auferstehung und zu einem großen Amphitheater für Gebete und Feiern im Freien. Ein Raum unter dem Kreuz ist der Betrachtung des Allerheiligsten Sakraments gewidmet.“
Im Internet: „rosary of lebanon“ eingeben. Dort sieht man ein paar Fotos unter „Bilder“.
Bei meinem nächsten Besuch hier an diesem wundervollen Ort werde ich sie mir mal ganz in Ruhe ansehen.
Die Straße bergab ins Tal bis zur Hauptstraße entpuppt sich als gerade neu fertiggestellt und endlich geht es mal ohne Hoppeln, Schütteln, Knarzen, Quietschen. Es sind aber leider auch nur etwa zehn Kilometer.
Hier unterwegs sehe ich das einzige (private!) Windrad auf dieser Reise. Wozu auch, Strom ist im Libanon sehr billig. Stromausfälle sind allerdings die Regel, jeden Tag, jede Nacht. Trinkwasser, Benzin/Diesel, Internet, Handy, alles auch sehr billig.
Militärischer Checkpoint. Einer von vielen:
Bekaa-Ebene, Richtung West. Außerordentlich fruchtbar. Hier wächst alles! Auch ein paar Weinberge gibt es hier. Hinter den Bergen liegt Beirut:
Wikipedia: „Die Ebene ist die nördliche Fortsetzung des Jordangrabens und damit Teil des Großen Afrikanischen Grabenbruchs. Sie ist ungefähr 120 km lang und 8 bis 12 km breit und liegt eingebettet zwischen dem Libanongebirge und dem Anti-Libanongebirge auf einer Höhe von ca. 900 m…“
Wir nehmen die absolut gleiche Strecke wie vorgestern hierher. Zunächst nach Zahlé, den Berg hinauf und dann wieder bergab. Alles genau wie vorgestern. Einziger Unterschied: Heute sind die hohen Berge nebenan sonnig, kein Wölkchen. Heute hätten wir beim Wandern von da oben eine Superaussicht gehabt.
Hier füge ich mal ein Video bei, das ich auf unserer Rückfahrt von Zahlé Richtung Nassibs Zuhause gemacht habe. Hmm, es sind vier Teile, alles zusammen in einem Teil war wohl zu viel für den Handyspeicher. Er nimmt längstens etwas über acht Minuten auf. Sorry. Wahrscheinlich ist dies hier die meistbefahrene Straße im Libanon, Beirut – Baalbek. Wahnsinn, was hier alles unterwegs ist:
Wir kommen mittags zuhause an und es gibt endlich auch mal wieder was zum Essen. Gut gestärkt sausen wir anschließend runter nach Sidon zum dortigen MEA-Laden und tauschen mein Ticket um; ich bezahle für die Umbuchung schlappe fünfzig Dollar (ungefähr 42 Euro). Nassib hat mir diese Vorgehensweise völlig selbstlos empfohlen. Leider liegen meine Dollars zuhause bei Nassib, deshalb muß ich per Kreditkarte bezahlen. Ich kann es erst gar nicht glauben: Telefonisch war es nämlich zunächst erst gar nicht möglich und als es dann in der Hotline doch ging, war es (mit fünf-, sechshundert Euro) unglaublich und überhaupt unakzeptierbar teuer. Ich bin doch nicht blöd! Nassib hat sich erneut als immer hilfsbereit und geradezu unbezahlbar erwiesen. Bei Schwierigkeiten, gerade in einem arabischen Land, braucht man solch einen guten Freund!
Leider gibt es hier in der Stadt mal wieder ein unliebsames Erlebnis: Eine Frau blockiert mit ihrem Land Rover direkt vor uns die rechte Abbiegespur an einer roten Ampel. Da dürfte sie eigentlich nicht stehen, denn wie in vielen Ländern darf man im Libanon bei einer roten Ampel trotzdem rechts abbiegen. Und weil Nassib wegen ihr anhalten muß und nicht abbiegen kann, steigt er aus und schnauzt die arme Frau heftig an. Ich habe Angst, daß er sie schlägt. Wieder eingestiegen will er das gegnerische Auto kurzerhand rammen und so wegschieben, weil die Arme nur einen knappen Meter und damit viel zu wenig vorgerückt ist! Nur mit Mühe kann ich ihn davon abhalten. Aber er fährt wütend mit den rechten Rädern auf den hier sehr hohen Bürgersteig und quetscht sich, weiter umsichschreiend, am Land Rover vorbei. Und biegt befriedigt ab. Dabei hätte es doch nur noch ein, zwei Minuten gedauert. Wow, so einen Anfall hat er bisher noch nicht gehabt! Ich hab echt Angst.
Dann tauschen wir mein restliches libanesisches Geld in Dollars zurück, natürlich wieder bei einem von Nassibs Freunden, und fahren ohne weitere Vorkommnisse zurück.
Nachmittags packe ich meine Siebensachen und lege mich vorsorglich noch für ein Stündchen hin.
Abends kommen noch Nassibs Cousin George (aus der Steinmetzfirma) und dessen Papa zu uns und wir genießen ein wirklich üppiges Abendessen mit BBQ und recht viel italienischem Rotwein. Ich fühle mich ein wenig an Asterix & Obelix erinnert, wo nach dem guten Abschluß der Abenteuer regelmäßig ein großes Festmahl stattfindet. Der griechische Philosoph Poseidonios erzählt uns dazu: „Wenn sie essen, sitzen sie auf Wolfs- oder Hundefellen am Boden, in einem Kreis und an einem langen Holztisch. Nahe der Stelle, wo sie essen, ist das Feuer, auf dem Kessel mit Fleisch stehen und über dem Spieße mit Fleisch hängen.“ Quelle: Wikipedia.
Gegen zweiundzwanzig Uhr gehe ich Schlafen.
Donnerstag,13.08.2020
3:00 Uhr nachts. Mein Wecker macht Radau. Ich wecke Nassib. Eine halbe Stunde später fahren wir ab. Es geht schon wieder wie irrsinnig den Berg hinunter nach Sidon am Mittelmeer und dann auf der Schnellstraße nach Norden. Ich habe Angst.
Solch eine Nachtfahrt schenkt einem weitere, dringend notwendige Erkenntnisse in Bezug auf den libanesischen Verkehr: Uns auf der Schnellstraße entgegenkommende Autos fahren grundsätzlich und immer mit grellem Fernlicht. (Auf einer Landstraße „oft“.) Nassib muß dann jedes Mal heftig abbremsen, weil wir schmerzhaft geblendet werden und wegen unserer schmutzigen Scheibe kaum noch etwas erkennen können. Und weil bei uns am Auto nur noch ein altersschwacher Scheinwerfer recht wenig Licht spendet. Ich habe weiterhin Angst.
Außerdem dürfen wir dunkelgekleidete und oft ohne jegliches Licht fahrende und deshalb fast unsichtbare Zweiradfahrer (Moped und Roller) nicht übersehen. Unglaublich! Es passiert wirklich oft, daß Nassib sie erst im letzten Moment sieht und dann einen blitzschnellen kleinen Schlenker machen muß. Ich kann gar nicht verstehen, warum die sich so völlig unnötig derart großer Lebensgefahr aussetzen! Das macht mir Angst!
Doch alle meine Gebete werden oben erhört und wir erreichen den Flughafen „mit Mühe und Not“ und unverletzt und ohne irgendwen/-etwas überfahren zu haben morgens gegen viertel nach vier. Alhamdulillah. Gottseidank. (Nun ja, eigentlich Allah sei Dank…)
Nassib bringt mich noch in das kleine übersichtliche Flughafengebäude und dann verabschieden wir uns herzlich voneinander. Shukran jazilaan, Nassib! Vielen Dank für alles, Nassib! Klar, logisch, natürlich bedauere ich es, daß ich schon wieder heimfliege. So vieles habe ich auf mich genommen, um endlich hierher zu kommen. Und Nassib hat alles Mögliche für mich getan. Und jetzt zieh ich den Schwanz ein und mach einen ängstlichen Rückzieher. Und dabei mag ich ja eigentlich risikoreiche Urlaube. Aber es ist besser so. Diese Todesängste beim Fahren will man nicht haben und ich kann sie auch nicht länger ertragen. Das will niemand! Auch ich nicht! Andere Menschen, die meisten anderen, hätten nicht so lange und so geduldig durchgehalten.
Zuhause rechne ich mal unsere Wegstrecke nach: Wir dürften insgesamt so etwas über achthundert Kilometer zusammen zurückgelegt haben. Der Libanon ist wirklich recht klein. In etwa so wie Zypern. Oder halb so groß wie Hessen. (Ob das stimmt?? So klein kam mir der Libanon jetzt auch wieder nicht vor… Muß es irgendwann man nachrechnen.)
Check-in und Paßkontrolle im Flughafen sind schon wieder erstaunlich einfach und schnell. Ich warte noch zwei Stunden am Gate. Wir hätten also gerne noch länger schlafen können. Dann besteige ich endlich den Flieger. Diesmal muß ich mich mit der Economy-Klasse begnügen, ich habe diesen Flug ja erst ganz kurz vor meinem Abflug gebucht. Business wäre zu teuer geworden. Sind ja auch nur wieder vier Stunden Flugzeit. Hier gibt es übrigens die gleichen Verpflegungs-Schachteln wie vorne in der Business-Class auf dem Herweg. Aber, ich habe schon wieder insoweit Glück, daß ich ganz vorne in der zweiten Economy-Reihe sitze – und der Platz direkt neben mir wird nach dem Rollen auch noch freigemacht, weil der Typ sich umsetzt. So habe ich es während des Fluges doch noch relativ bequem und nach der Landung komme ich schneller raus.
Wieder reist eine Gruppe THW-Leute mit uns, diesmal ohne erkennbaren Hund – und sie dürfen die Business-Sitze belegen, was natürlich völlig okay ist, denn sie hatten bestimmt genug Arbeit, Kummer, Leid und Stress bei den Aufräumarbeiten an der Explosionsstelle ertragen müssen.
Wir starten fahrplanmäßig gegen 7:15 Uhr in einem neuwertigen A321neo.
Frankfurt erreichen wir gegen 10:20 Uhr. Paßkontrolle, der lange Fußmarsch bis an die Gepäckbänder und den gerade herausplumpsenden Koffer greifen. (Logisch, mußte ja so sein: Er ist einer der ersten auf dem Band! grins + freu) Durch den Grünen Kanal und nix wie raus. Mein Taxi wartet bereits auf mich und gegen zwölf Uhr bin ich wohlbehalten wieder zuhause. Wow! Besser geht nicht! Hamdullilah. (Gott sei Dank.)
Den doofen Pflicht-Coronatest im Flughafen nach Ankunft erspar ich mir und begebe mich stattdessen lieber freiwillig in „Häusliche Quarantäne“. Muß mich ja jetzt sowieso erst einmal ausruhen und von den Strapazen erholen – und ganz schön viel Arbeit nachholen. Und eingefangen hab ich mir ja sowieso nichts. (Was sich im Laufe der nächsten vierzehn Tage auch tatsächlich als richtig herausstellt.)
Also alles mal wieder gut überstanden. Adeste Fideles… (Nun freuet euch, ihr Christen, singet Jubellieder…)
P.S.: Sowohl meine Frau als auch Hannelore sind sehr erfreut, daß ich vorzeitig heimkehre. Irmgard kann ich am nächsten Tag „gebessert“ aus dem Krankenhaus abholen und Hannelore ist auch bald wieder besser drauf. Von den beiden aus gesehen, war es also ganz vernünftig, die Reise abzubrechen.
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Ein Lebensmüder. Der Lkw fährt ganz normal durch die Stadt! Und der Typ sitzt locker auf seinem Moped und spielt an seinem Handy. Nicht zu fassen!
Ich habe auch ein paar Videos bei YouTube eingestellt. Hier sind sie abrufbar:
https://www.youtube.com/watch?v=U31SEWyQmRI&list
https://www.youtube.com/watch?v=2yPjsvxFyu0
https://www.youtube.com/watch?v=UudCWPm8OR8
https://www.youtube.com/watch?v=6RtoXsxUd2g
https://www.youtube.com/watch?v=bVCQxUzCiMI&t=118s
https://www.youtube.com/watch?v=49Ge4L3-Fws
https://www.youtube.com/watch?v=joTXNCQQfuA&t=68s
https://www.youtube.com/watch?v=WJsqaNP57pk&t=4s
https://www.youtube.com/watch?v=qdpuh8pnq3M&t=145s
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Mein Rat nach all den vielfältigen Erfahrungen meiner Reise: Wer den Libanon (später, nach Corona) besuchen möchte, sollte es unbedingt tun. Er ist für uns Deutsche ein eigentlich angenehmes Land. Ich empfehle allerdings, daß es eher eine geführte Gruppenreise sein sollte, in der alles organisiert wird. Dann kann man nichts falsch machen. Und trotzdem ist es dann mal keine dieser weichgespülten und alltäglichen Langweiler-Reisen, wie sie sonst üblich sind und wie wir sie alle längst zur Genüge kennen. Zum Beispiel Kanarische Inseln, Türkei, Spanien, Südafrika, Thailand usw. Also eher wie eine Reise nach Indien, Mexiko, Sri Lanka, Vietnam, Südamerika…
Mein Eindruck zur Ammoniumnitrat-Explosion in Beirut am 4. August 2020: Ich habe gelegentlich mit Libanesen (und Libanesinnen) über die Explosion gesprochen. Jeder wußte natürlich davon. Das war aber auch alles. Direkt Betroffene kannte keiner von ihnen. Im Epizentrum und im Umkreis von vielleicht fünf Kilometern war und ist es das Ende der Welt. Apokalypse. Aber außerhalb dieses Kreises gab es keine sichtbaren oder spürbaren Folgen und das Leben war total unverändert.
Weitere Info: Kurz nach der Explosionskatastrophe ist die gesamte Regierung des Libanon am 10. August 2020 eben wegen dieser Explosion zurückgetreten und hat damit das Land erneut in eine schwere Krise, „die schwerste seit dem Bürgerkrieg“, gestürzt. Am 1. September 2020 wurde der ehemalige libanesische Botschafter in Berlin zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Außer dieser politischen Krise gibt es eine weiterhin schwieriger werdende Finanzkrise und dazu auch noch die sich wieder verschärfende Coronakrise und eine sehr starke Inflation. Ich bedauere die Menschen im Libanon.
Zur Explosion habe ich diesen wichtigen und geradezu haarsträubenden Artikel bei Wikipedia gefunden:
Sollte man unbedingt lesen! Ist wirklich außerordentlich informativ. Und enthält viele kaum zu glaubende Fakten wie es dazu kam.
Oder hier ganz kurz zusammengefaßt:
www.DerLibanon.de: „Das Ammoniumnitrat war als Sprengstoffmaterial 2013 auf dem moldauischen Küstenschiff ‚Rhosus‘ von Georgien nach Mosambik unterwegs. Das lecke Schiff sollte unterwegs in Beirut Waren aufnehmen. Die libanesischen Behörden ließen es wegen seines Zustandes nicht mehr auslaufen. 2014 gaben die Besitzer das Schiff auf. Später wurde das Ammoniumnitrat in das Lagerhaus Nummer 12 gebracht. Trotz Warnungen blieb es dort, bis es schließlich zur schrecklichen Explosion kam.“
Banken sind die unsichtbare Macht im Staate. Im Bürgerkrieg (1975-1990) wurde die halbe Stadt zerstört. Nur die Straße, in der fast alle Banken ihren Sitz hatten, blieb größtenteils verschont – weil dort alle Kriegsparteien ihr Geld deponiert hatten.
Viele wirklich weltweit arbeitende ganz wichtige und ganz reiche Geschäftsleute, Hotelmanager, CEOs, Banker, Unternehmer, Ärzte, stammen aus dem Libanon. Libanesen sind schon seit langer Zeit ausgezeichnete Kaufleute. Das dürften aber auch alles ordentlich erzogene Christen sein. (So wie Terroristen meistens Moslem-Leute sind: siehe bei Wikipedia „Islamistischer Terrorismus“ u. a.)
Beirut konnte man früher durchaus mit anderen teuren Hauptstädten vergleichen. Banken, Luxusgeschäfte, Luxushotels, Sterne-Restaurants, alles war da. Auch die Uferpromenade (Corniche) ist (war) der in Marseilles, Nizza, Alexandria sehr ähnlich. Früher, in den fünfziger und sechziger Jahren galt der Libanon als „die Schweiz des Nahen Ostens“. Die vielen Bürgerkriege und Kämpfe untereinander, nicht zuletzt auch die schreckliche Hisbollah, haben dann aber alles kaputt gemacht und das Land ist wieder in die frühere bittere Armut gefallen, und das leider jedes Jahr mehr.
www.qantara.de: „Der Libanon gehört zu den Staaten weltweit, in denen Vermögen am ungerechtesten verteilt sind. So besitzen die sieben libanesischen Milliardäre zusammen umgerechnet mehr als elf Milliarden Euro (Stand: 2019). Die reichsten zehn Prozent aller erwachsenen Libanesen verfügen über mehr als 70 Prozent des gesamten Privatvermögens.“
Aktuell sollen es inzwischen fast 62% Muslime, 30% Christen sowie 8% Drusen sein. Die Islamleute vermehren sich halt überall wie die, ich bitte um Entschuldigung, wie die Karnickel.
Dort, wo in und um die Orte herum viel Müll rumliegt, ist meistens Moslem-Land. In den christlichen Ortschaften ist es deutlich sauberer.
Der Libanon ist mit etwas über 10.000 km² relativ klein. Die Niederlande oder die Schweiz sollen etwa viermal so groß sein, Belgien etwa dreimal so groß.
Das Land soll lt. Nassib über sehr große Erdöl- und Gasvorräte verfügen, die aber zurzeit sämtlich nur mit wenig Bemühung gefördert werden, wenn überhaupt. Die Streitereien in der Regierung sollen hauptsächlich schuld daran sein.
Achtzehn (18) anerkannte Religionsgemeinschaften gibt es im Libanon. Da sind die Streitereien untereinander ja bereits vorprogrammiert. Hinzu kommt eine unglaublich verschachtelte Korruption und dann noch die ständigen Machtkämpfe der vielen verfeindeten politischen Interessengruppen. Dies alles und noch mehr problematische libanesische/arabische Besonderheiten lassen einfach keine vernünftige Politik im Land zu. Es ist erstaunlich, daß es doch noch immer irgendwie weitergeht.
Aktuell aus dem Internet: „Das Land am Mittelmeer leidet seit langer Zeit unter einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die viele Libanesen in die Armut getrieben hat. Die Corona-Pandemie und die schwere Explosion haben die Lage weiter verschärft. Demonstranten werfen der politischen Elite des Landes immer wieder Korruption und Selbstbereicherung vor.“
Anmerkung von mir: Selbstbereicherung? Machen das nicht fast alle Politiker? Jeder? Weltweit!? Und jegliche mögliche persönliche Vorteilnahme doch sowieso! Aber im Libanon ist die Raffgier wirklich sehr nachteilig für das gebeutelte Land.
Diese schrecklichen Politiker an der Spitze sind allesamt Anführer großer, starker, unglaublich reicher Clanfamilien, die auf nichts davon verzichten wollen und die allesamt ihre Machtanteile beibehalten wollen.
Und ganz schrecklich ist die vom Iran gesteuerte Hisbollah, die über allem schwebt und an den Fäden zieht.
Deshalb wird der Libanon niemals gesunden und nach meiner persönlichen Einschätzung stattdessen immer weiter „den Bach runtergehen“. Ich bedauere dieses an sich schöne Land zutiefst.
Weitergehende Informationen zum Libanon gibt’s hier: www.DerLibanon.de
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Steckdosen für Eurostecker ohne Probleme. Überall 220 Volt.
Ich habe mir die Zähne immer mit dem Wasser aus dem Wasserhahn geputzt. Den manchmal kolportierten Salzgehalt des Leitungswassers kann ich nicht bestätigen. Wer Angst hat, soll sich halt die üblichen Plastikwasserflaschen kaufen.
Eiswürfel und Salat haben mir (bzw. meinem Verdauungstrakt) keinerlei Probleme gemacht.
Höchste Sorgfalt beim Geldwechsel beachten! Nicht und niemals in der Bank! Schlechter, nein, sehr schlechter Umrechnungskurs. Lieber einen Einheimischen zurate ziehen, auch wenn dessen Hilfe vielleicht etwas kostet!
Selbstfahren geht nicht. Wahrscheinlich gibt es auch gar keine Vermieter für uns Westmenschen. Update: Nach meiner Rückkehr habe ich es mal gecheckt. Doch, man kann (könnte) hier Autos mieten, was ich doch für recht erstaunlich halte. (Haben die Vermieter keine Angst um ihre Autos?!) Aber ich bleibe dabei, man sollte es vernünftigerweise eher nicht machen. Selbstfahren im Libanon ist Hardcore. Thailand und Bangkok zum Beispiel ist dagegen Kinderspielplatz. Und die unzähligen Checkpoints dürften auch etwas schwierig zu passieren sein, weil man oft mit den Soldaten sprechen muß. Und wenn es doch sein soll, dann nur mit der besten (teuersten) Versicherung! Und einem gutem Navi, falls es so etwas dort überhaupt gibt, denn die Beschilderung ist miserabel. Für uns Westleute ganz bestimmt. Zumal es in den kleinen Orten oft gar keine Straßennamen gibt. Auch das Auswärtige Amt rät davon ab, allein durchs Land zu reisen oder sich einen Mietwagen auszuleihen.
Mittelstrich, Seitenlinie, Leitplanken gibt es auf den normalen Straßen grundsätzlich nicht. Auch auf den Schnellstraßen sind sie meistens nur noch zu ahnen. Ampeln nur extrem selten in den Städten. Polizei auch nur selten. Ich habe überhaupt nur zwei, drei schmutzige, klapprige und verbeulte Polizeiautos (Dodge Charger) gesehen. Primitive militärische Checkpoints gibt es dagegen oft.
Keinerlei Geschwindigkeitskontrollen, kein Laser, keine Blitzer, keine Radarfallen gesehen.
Bei wenig Verkehr „darf“ man auch bei Rot langsam durchfahren. Naja, wirklich dürfen darf man natürlich nicht, aber man macht es halt.
Regen gab es keinen. Es war immer sonnig und warm. Nachts immerhin leichte Abkühlung. Angenehm.
Insgesamt ist der Libanon recht billig. Solang man meine obigen Ratschläge zum Geldumtausch beherzigt.
Von Hisbollah, PLO, IS und anderen streitenden Parteien habe ich nichts mitbekommen. Von Corona auch nicht.
Und zu guter Letzt: Im Libanon braucht man starke Nerven. (Thailand ist besser, sehr viel besser, und schöner und grüner und angenehmer und überhaupt… Die Menschen dort sind meistens viel zutraulicher. Thailand war (vor Corona) halt das Paradies!)
Für den Fall, daß wirklich jemand unter Euch eine Reise in den Libanon machen möchte, diese Highlights hatte ich mir vorher rausgesucht und kann sie deshalb gut weiterempfehlen:
Vielleicht mache ich ja doch nochmal eine Tour in den Libanon. Jetzt, wo ich weiß, wie dort der Hase läuft, könnte ich mich vielleicht, unter Umständen, eventuell, möglicherweise, vorsichtig, gaanz voorsichtig, an einen solchen Gedanken gewöhnen. Um dann alles nachzuholen. Aber erstmal muß Nassib ein anderes Auto haben! Ich bin mir dabei sicher: Natürlich würde es wieder ein Mercedes werden!!! 100 Prozent! Mal abwarten…
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Heute, am Sonntag, 23. August 2020, beglückwünscht mich Nassib zu meiner rechtzeitigen Entscheidung, unsere Reise vorzeitig abzubrechen. Ursprünglich wäre ich ja erst zwei Wochen später, Donnerstag, 27. August 2020, heimgeflogen. In den letzten Tagen hätten sich die Corona-Fälle wegen der Explosionskatastrophe auch im Libanon wieder erschreckend stark erhöht und es gebe aktuell einen neuen Lockdown. Man spreche in den Nachrichten inzwischen sogar schon von „italienischen Verhältnissen“. Nassib überlegt gerade ganz aktuell, ob er vielleicht zu Freunden in Jordanien flüchten sollte.
Das libanesische Innenministerium teilte mit, dass das öffentliche Leben ab Freitag 21. August für zwei Wochen weitgehend stillgelegt werde, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Bis zum 7. September soll zudem eine Ausgangssperre von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens gelten. Geöffnet bleiben Krankenhäuser und Lebensmittelläden sowie der Flughafen von Beirut.
Also (ausnahmsweise) mal alles richtig gemacht. (freu)
Nachtrag 2: Oktober 2020. Nassib lädt mich erneut zu sich ein. Würde inzwischen ja auch ganz gerne, um alles Nichtgetane endlich nachzuholen. Ist mir aber wegen sich täglich/stündlich ändernder Corona-Bedingen zu riskant. Warte lieber bis zum nächsten/übernächsten/überübernächsten Jahr…
Nachtrag 3: Juli 2021. Inzwischen beschlossene Sache. Nächstes Jahr, 2022, werden wir beide die große Tour tatsächlich nachholen und vor allem auch endlich alles ansehen, so, wie es ursprünglich geplant war. Bis dann ist Corona überschaubar geworden. Der alte /8 darf und soll dann zuhause bleiben, und ich werde uns ein „anständiges“ Auto mieten.
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Gerade im Netz gefunden, ich muß es hier noch nachtragen, es ist so wahr:
Viel zu spät begreifen viele
die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit und Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum Mensch, sei zeitig weise.
Höchste Zeit ist´s! Reise, reise!
(Angeblich von Wilhelm Busch – glaub ich aber nicht so recht.)
Heutiger Kalenderspruch:
Wenn Du einen Flip verloren hast, weine nicht!
Du hast doch noch den Flop.
(Konfutse)
Ende
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Sollten sich auf meinen Fotos zufällig erkennbare andere Personen befinden, die dieses nicht wünschen, dann bitte ich hiermit
schon im Voraus um Entschuldigung und um Nachricht an mich unter
virmond@t-online.de
Die Personen werden selbstverständlich sofort unkenntlich gemacht,
oder die betreffenden Fotos werden von mir umgehend gelöscht.
© WILFRIED VIRMOND 2002 – 2020
Sorry, ich bin oldschool und verwende deshalb größtenteils die alte Rechtschreibung
Alle Rechte vorbehalten – All rights reserved
Written with my own heart blood in EU
> Libanon 1 <
>>> Wilfried Virmond
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